Die Frage nach der Motivation von Patienten ist für den physiotherapeutischen Prozess eine wesentliche. Dabei ist der Grad der sichtbaren Eigenmotivation von Menschen von vielen inneren und äußeren Faktoren abhängig und nur zu einem begrenzten Teil durch eigene Bestrebungen veränderlich. Ich möchte in diesem Artikel drei Patientengruppen charakterisieren, ohne dabei eine Typologie vorzu- schlagen. Diese Muster haben sich in der praktischen Beobachtung gezeigt und finden Unterstützung in der Fachliteratur. Sie zeigen uns auf, dass es recht unter- schiedliche Bindungswünsche gibt. Für uns als Physiotherapeuten bedeutet das, dass wir die therapeutische Beziehung darauf abgestimmt gestalten sollten.
Eigenmotivation hoch
Werfen wir zunächst einen Blick auf jene Patientengruppe, bei der wir eine deutliche Eigenmotivation erkennen können. Oft wird bereits in der Ana- mnese erkennbar, dass es einen sichtbaren inneren Antrieb gibt, sich aktiv in die Therapie einzubringen. Persönliche Ziele und Erwartungen kön- nen formuliert werden und es gibt einen guten Zugang zum Selbstwirksamkeitserleben. Sie nehmen ihr eigenes Erleben und ihre Meinung als wichtige Referenz und fordern eine Beziehung auf Augenhöhe, in der physiotherapeutisches Denken und Handeln auch kritisch hinterfragt wird. Problematisch kann dies werden, wenn das physiotherapeutische Rollenverständnis hierarchisch geprägt ist – ich also mit meiner Expertise glaube zu wissen, was gut für die Patienten ist. Es gilt, eine Balance zwischen der kognitiven Dimension (z. B. erklären, begründen, diskutieren) und dem Fördern des unmittelbaren Erlebens (z. B. wahrnehmen, spüren, fühlen) zu finden.
Motivation von außen abhängig
Anders verhält es sich mit jenen Patienten, die ihre Orientierung tendenziell im Außen suchen. Es ist zu beobachten, dass diese Patientengruppe weniger auf ihr eigenes Potenzial und ihre individuellen Ressourcen vertraut oder sich deren auch gar nicht bewusst ist. Wir merken bald, dass uns als Physiotherapeuten viel Verantwortung zugeschrieben wird – in einem impliziten oder ausgesprochenen Auftrag, die Patienten zu heilen. Die Motivation ist hier durchaus von den Patienten ausgehend, aber vom Gegenüber abhängig: „Ich will, dass es mir besser geht, und darum begebe ich mich ganz in Ihre Hände.“
Für Physiotherapeuten mit einer starken Motivation, helfen zu wollen, kann diese Dynamik zur Verausgabung führen. Eine gute Beziehung einzuge- hen bedeutet hier primär zu sehen, dass dieser Mensch Hilfe sucht und braucht – und sich die Patienten darin wahrgenommen fühlen sollen. Das kann durchaus heißen, auch der körperlichen Behandlung mehr Raum zu geben und sich weniger an der kognitiven Dimension zu orientieren. We- sentlich ist, dabei die aktive Rolle der Patienten immer wieder in den Vordergrund zu heben und somit Abhängigkeiten zu vermeiden. Auf längere Sicht können wir als Physiotherapeuten dazu beitragen, dass sich ein Gespür für sich selbst und vermehrte Eigenaktivität entwickeln (Empowerment).
Stark eingeschränkte Motivation
Das dritte Muster lässt sich als gravierend eingeschränkte Motivation zusammenfassen und betrifft vor allem Patienten im intramuralen Bereich. Diese Patienten sind in ihren Möglichkeiten zur Eigenmotivation stärker bis maximal beeinträchtigt und können oft kein eigenes Anliegen formulie- ren. Als Physiotherapeuten haben wir hier zuallererst den Auftrag, ein verlässliches und annehmendes Gegenüber zu sein. Die Etablierung der the- rapeutischen Beziehung steht im Mittelpunkt, auch ein nachgehender Modus kann hier zu unserer Arbeit gehören. Die Erfahrung hat gezeigt, dass aus entsprechender Empathie und dem Geben von Raum erstaunlich stabile und förderliche Arbeitsbeziehungen auch zu schwer betroffenen Menschen wachsen können.
Physiotherapeutische Angebote funktionieren hier primär als Strukturgeber und Möglichkeit, gute Erfahrungen in Bezug zum eigenen Körper zu sammeln. Zu viel vom Patienten zu wollen, schlägt schnell in Überforderung oder Abbruch der Therapie um. Auch ist es meist kontraproduktiv, die Physiotherapie auf der Symptomebene zu halten – das Fördern von Ressourcen steht mehr im Vordergrund. Auf körperlicher Ebene bedeutet dies häufig das Erleben von Stabilität, Sicherheit und Aktivität. Ob Berührung möglich und sinnvoll ist oder es eher darum geht, gemeinsam ins Bewe- gen und Tun zu kommen, hängt dabei von vielen individuellen Faktoren ab. Schwierig für uns kann es insbesondere dann werden, wenn wir den Fortschritt oder die Sinnhaftigkeit der Physiotherapie in deutlichen Veränderungen zu einem vorgegebenen Zeitpunkt sehen. Vielmehr sind wir ge- fragt, uns zurückzunehmen, um dem Patienten die Möglichkeit zu geben, im eigenen Tempo Schritte zu tun oder innezuhalten.
Wenn es uns gelingt, unsere eigenen Vorstellungen und Erfahrungen hintanzuhalten, können wir uns einfacher dorthin öffnen, wo unsere Patienten stehen. Das ist leichter gesagt als getan, sind wir doch von Lebenserfahrung geprägt. Wir haben unsere eigenen Muster, in Beziehung zu treten und sie zu vermeiden. Der physiotherapeutische Prozess wird tendenziell dann schwierig, wenn die Beziehungswünsche und Erwartungen von Pa- tient und Physiotherapeut stärker divergieren bzw. von unserer Seite nicht moduliert werden können. Dies kann dazu führen, dass stark eigenaktive Patienten als Bedrohung für die eigene Expertise, hilfesuchende Patienten als klammernd oder klebend bzw. schwerer betroffene Menschen als schwierig oder uncompliant erlebt werden. Daher ist es gut und wichtig, uns selbstreflexiv zu erkunden, um damit an einen Nullpunkt für die Bezie- hungsgestaltung heranzukommen. Er erscheint mir als wünschenswerte Basis für unseren sozialen Beruf.