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Funktioneller Mangel trotz Normalwerten
Die Bestimmung von Schilddrüsenhormonen im Blut zählt zu den Routineunter-suchungen in der Arztpraxis.
Die Spiegel der Hormone T3 und T4 sowie des schilddrüsenstimulierenden Hormons TSH geben Aufschluss darüber, ob eine Über- oder Unter- funktion der Schilddrüse besteht. Die hormonelle Balance kann jedoch auch bei normalen Blutwerten gestört sein. Denn wie stark die Schilddrü- senhormone in ihren Zielgeweben wirken, hängt auch von der Funktion der dortigen Hormontransporter, der für die Verstoffwechslung verantwort- lichen sogenannten Deiodinasen und Hormonrezeptoren, ab. Bei welchen Krankheitsbildern solche lokalen Faktoren eine Rolle spielen und wel- che therapeutischen Möglichkeiten sich daraus in Zukunft ergeben könnten, diskutieren Experten kürzlich im Vorfeld des Kongresses der Deut- schen Gesellschaft für Endokrinologie e. V.
Lokale Kontrolle der TH-Wirkung
Kindliche Entwicklungsstörungen können – ebenso wie Herz-Kreislauf- oder Stoffwechselprobleme beim Erwachsenen – durch einen Mangel oder einen Überschuss an Schilddrüsenhormonen verursacht werden. Vor allem die von der Schilddrüse produzierten Hormone T3 und T4, die zu den Schilddrüsen-(Thyroid)-Hormonen (TH) gehören, haben einen weitreichenden Einfluss auf die Entwicklung und die Funktion des Körpers. Wie ge- nau die Wirkung der Schilddrüsenhormone in den Zielgeweben vermittelt und moduliert wird, erforscht seit rund eineinhalb Jahren der Sonderfor- schungsbereich (SFB)/Transregio 296 „Lokale Kontrolle der TH-Wirkung“ (LOCOTACT). Über 80 Kliniker und Grundlagenforscher mehrerer deut- scher Universitäten und Forschungsinstitute arbeiten in diesem Forschungsverbund zusammen. „Im Rahmen von LOCOTACT konzentrieren wir uns auf drei wichtige Zielorgane von TH: Gehirn, Herz und Leber“, sagt DDr. Dagmar Führer, Direktorin der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel am Universitätsklinikum Essen und Sprecherin des SFB/Transregio 296. In allen drei Bereichen konnten bereits wichtige neue Er- kenntnisse gewonnen werden, etwa dazu, welche Rolle TH-Rezeptoren bei der Steuerung so unterschiedlicher Prozesse wie der Blutdruckregula- tion, der embryonalen Herzentwicklung oder der Vermehrung von Leberzellen spielen.
Neue Therapieansätze finden
Diese Hormonrezeptoren befinden sich im Inneren der Zielzellen und stellen nur eine von mehreren Ebenen der Wirkungskontrolle dar. Zuvor wird bereits die Aufnahme von TH in die Zellen durch spezielle Transportproteine in der Zellmembran reguliert. „Zwei dieser Transporter sind essenziell dafür, dass TH in Muskel- und Gehirnzellen gelangt und dort wirken kann“, erklärt Führer. Wie eine an LOCOTACT beteiligte Arbeitsgruppe her- ausgefunden hat, beeinträchtigt das Fehlen oder die mangelnde Funktion dieser TH-Transporter die Gehirnreifung und -entwicklung – sowohl bei Mäusen als auch bei Menschen. So geht etwa das seltene Allan-Herndon-Dudley-Syndrom (AHDS), eine schwere erbliche Entwicklungsstörung, auf Mutationen in dem TH-Transportergen MCT8 zurück. Nicht zuletzt wird die Hormonwirkung auch durch Enzyme, sogenannte Deiodinasen, be- einflusst, die Schilddrüsenhormone sowohl aktivieren als auch deaktivieren können. In weiteren Studien sollen nun verschiedene Möglichkeiten
ausgelotet werden, die lokale TH-Kontrolle auf all diesen Ebenen nicht nur zu verste- hen, sondern auch konkret zu modulieren. „Wir hoffen, dadurch langfristig neue Thera- pieansätze für seltene Erkrankungen, aber auch Volkskrankheiten wie die nicht-alkoho- lische Fettleber, Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erreichen“, so Führer.
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