FORTBILDUNG & KLINIK I Notärzte

FOTOS: ZVG, ISTOCKPHOTO/ OLLO

Indikation zum Notarzteinsatz

Die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Re- animation und Intensivmedizin (ÖGARI) publizierte als not- fallmedizinische Fachgesellschaft im Rahmen ihres Jahres- kongresses ein Positionspapier zur „Indikation für den Not- arzteinsatz“. Es zeigt Entwicklungspotenziale und Lö- sungsansätze auf, um die – in Österreich in Länderkompe- tenz stehende – Notfallversorgung langfristig auf hohem Niveau sicherzustellen.

AUTOR:

Prim. Univ.-Prof. Dr. Helmut Trimmel, MSc

Leiter der Anästhesie, Notfall- und Allgemeine Intensivmedizin

LK Wiener Neustadt


Die prähospitale Notfallmedizin in Österreich ist mehrstufig aufgebaut und stützt sich neben der sanitätsdienstlichen Versorgung auf rasch verfügbare notärztliche Behandlung. Das System ist zu jeder Zeit sowohl mit bodenge- bundenen als auch tages- und witterungsabhängig mit Luftrettungsmitteln flächendeckend verfügbar. Aktuell ist ein diensthabender Notarzt für die Versorgung von rund 55.000 Einwohnern zuständig, rund 130 Notarztein-

satzfahrzeuge (NEF) sowie bis zu knapp 40 Notarzthubschrauber (NAH) stehen bundesweit zur Disposition. Von Notärzten erwarten sich die Men- schen vor allem ein rasches Eintreffen am Notfallort und medizinisch-fachliche Kompetenz. In der prähospitalen Versorgung stehen für die Patien- ten Symptomkontrolle, wirksame Schmerzbehandlung, angemessenes und einfühlsames Verhalten, Aufklärung über weitere notwendige Schritte sowie die Auswahl des richtigen Zielkrankenhauses im Vordergrund.


Die Problematik liegt im Detail

Seit Jahren ist zu beobachten, dass die Zahl der Rettungs- und Notarzteinsätze österreichweit kontinuierlich ansteigt. Die Gründe finden sich in ei- ner zunehmend ausgedünnten Regelversorgung im niedergelassenen Bereich, fehlenden mobilen Diensten, in demografischen Veränderungen und einem gestiegenen Anspruchsverhalten der Bevölkerung sowie wohl auch in zunehmender Rechtsunsicherheit der Leitstellen in Hinblick auf Qualifikation und Einsatz des nichtärztlichen Rettungsdienstes. Daraus resultiert letztendlich ein hoher Anteil retrospektiv nicht-indizierter bzw. be- reits noch während der Anfahrt stornierter Notarzteinsätze.

Angesichts des Status quo ist es dringend erforderlich, die Abfragen in den Leitstellen und die daraus abgeleitete Ausrückordnung zu präzisieren, um Notärzte weitestgehend zu indizierten Einsätzen zu disponieren. Bei den absoluten Fehleinsätzen – das sind jene ohne Patientenkontakt wie etwa Stornos – muss eine Rate von weniger als 10 % angestrebt werden. Relative Fehlberufungen, das sind jene, wo keine notärztliche Interventi- onsnotwendigkeit erforderlich ist, sollten deutlich unter 25 % liegen.

Die Etablierung eines bundesweit einheitlichen und verbindlichen Indikationskatalogs für Notarztrettungsmittel soll Klarheit bezüglich des effiziente- ren Einsatzes von Notärzten in der prähospitalen Notfallversorgung schaffen. Notfallabfragesysteme müssen besser in der Lage sein, nicht dringli- che Notfälle von dringlichen zu unterscheiden und eine angemessene Versorgungsstufe („Level of Care“) zu empfehlen.


Qualifikation des nichtärztlichen Personals

Rettungs- und Notfallsanitätern, aber auch Leitstellenpersonal muss im Rahmen ihrer Ausbildung in erster Linie mehr klinische Erfahrung in der Be- urteilung des Patientenzustands vermittelt werden. Das 2002 verlautbarte Sanitätergesetz, das die Ausbildung und den Tätigkeitsumfang regelt, ist

mittlerweile in die Jahre gekommen: Reformbedarf ist hier dringend gegeben. In einem ersten, kurzfristig umsetzbaren Schritt braucht es aber grundsätzlich nicht ein Mehr an Kompetenzen auf gesetzli- cher Basis, sondern mehr klinische und prähospitale Erfahrung am Patienten, also Ausbildung, um sich auf dieser Basis eine bessere Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit anzueignen. Mittel- bis langfristig muss für das nichtärztliche Personal ein Berufsbild er- reicht werden, was natürlich mit einer deutlichen Intensivierung und auch Verlängerung der Ausbildung einhergeht.

Mittelfristiges Ziel muss es also sein, die klinische Qualifikation des nichtärztlichen Personals generell, und vor allem jene der Notfallsa- nitäter, durch eine quantitativ und qualitativ verbesserte Ausbildung zu erhöhen, damit zukünftig die entsprechenden Kompetenzen übertragen und notärztliche Ressourcen freigespielt werden können.


Versorgungsstrukturen optimieren und koordinieren

Aber auch die extramurale ärztliche Regelversorgung muss drin- gend verbessert und gestärkt werden. Dies könnte zum Beispiel durch einen entsprechenden Versorgungsauftrag an Primärversor- gungszentren zur akutmedizinischen Unterstützung erreicht und diese damit besser in die Versorgung von Akutfällen integriert wer- den. Eine möglichst enge Zusammenarbeit zwischen der prähospi- talen Notfallmedizin und der übrigen extramuralen Versorgung (Akut- bzw. Regelversorgung) ist anzustreben.


Systemübergreifende Qualitätssicherung etablieren

Innerhalb der Rettungsorganisationen und Leitstellen sollte – dem Beispiel Tirol folgend – in jedem Bundesland ein nachhaltiges, un- abhängiges ärztliches und rettungsdienstliches Qualitätsmanage- ment etabliert und umgesetzt werden. Integraler Bestandteil jedes standardisierten Notrufabfragesystems muss ein umfangreiches Qualitätsmanagementsystem sein. Die Basis dessen wäre jedoch zunächst eine österreichweit einheitliche Dokumentation der Ret- tungs- und Notarzteinsätze. Auch dazu hat die ÖGARI bereits ei- nen Vorschlag unterbreitet.

Der 10-Punkte-Forderungskatalog

der Sektion Notfallmedizin der ÖGARI

1. Implementierung und kontinuierliche Weiterentwicklung eines bundeseinheitli- chen, verbindlichen Indikationskatalogs zum Notarzteinsatz.

2. Schaffung gesetzlicher Grundlagen und Finanzierung einer quantitativ und quali- tativ verbesserten Ausbildung der Rettungs- und Notfallsanitäter sowie des Leitstel- lenpersonals.

3. Schaffung der gesetzlichen Grundlagen auf Bundesebene zur Sicherstellung ei- nes Berufsschutzes für Berufssanitäter und Leitstellenpersonal als Konsequenz der umfassenderen Ausbildung.

4. Verbindliche Präsenz von Notfallsanitätern während der Versorgung und des Transports von Notfallpatienten. Festschreibung entsprechender Verfahrensanwei- sungen durch die Rettungsdienstbetreiber.

5. Implementierung einer abgestuften und qualifizierten prähospitalen Versor- gungsstruktur durch mobile Dienste, ärztlichen Bereitschaftsdienst sowie Rettungs- und Notarztdienst nach bundeseinheitlicher Vorgabe unter Zusammenarbeit aller Stakeholder des Gesundheitswesens.

6. Implementierung eines – von Rettungsorganisationen und Leitstellen unabhängi- gen – ärztlichen Leitungsteams für jedes Bundesland.

7. Lenkung der Patientenströme als ärztlich unterstützte Aufgabe zentraler Leitstel- len unter Einsatz standardisierter und qualitätsgesicherter Werkzeuge.

8. Etablierung eines bundesweit einheitlichen, elektronisch unterstützten Dokumen- tationsstandards zur Sicherstellung eines umfassenden, ergebnisorientierten Qualitätsmanagements.

9. Förderung der Entwicklung von unterstützenden Systemen der prähospitalen Versorgung wie Telenotarzt-Systeme, verpflichtende Visitentätigkeit der PHCs, Im- plementierung von ACNs, First-Responder-Systemen und Vergleichbarem.

10. Forschungsförderung in der prähospitalen Notfallmedizin sowie Unterstützung von Registern zur Förderung der wissenschaftlichen Evaluierung und Qualitätssi- cherung – z. B. Reanimationsregister. Einrichtung eines Lehrstuhls für präklinische Notfallmedizin an den medizinischen Fakultäten österreichischer Universitäten.

_______________________________________________________________________________________________________________________________ QUELLEN:

1) Baubin, M., Neumayr, A., Eigenstuhler, J., Nübling, M., Lederer, W., & Heidegger, T. (2012). Patientenzufriedenheit in der prähospitalen Notfallmedizin. Not- fall+ Rettungsmedizin, 15(3), 225-233.

2) Troppmair T, Egger J, Krösbacher A et al. Evaluierung der NEF-Fehl- und Übergabeeinsätze im Raum Innsbruck. Die Anaesthesiologie 2022;71:272-280].

3) Prause G, Wildner G, Gemes G, Zoidl P, Zajic P, Kainz J, Pock M, Trimmel H. Notfall Rettungsmed 2017; 20:501–508

4) Mayr B. Strukturierte bzw. standardisierte Notrufabfrage. Leisten die Systeme tatsächlich, was sie vorgeben zu leisten? Hintergrund. Zusammenfassung. Ab- stract Notfall Rettungsmed. 2020;23:505–512