MEDIZIN | Antibiotika 

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Antibiotikanutzung und das Mikrobiom

Das menschliche Mikrobiom enthält mehrere Hun- dert Bakterienspezies – viele davon sind nicht oder nur sehr schwierig kultivierbar und wurden erst kürzlich genetisch identifiziert.

AUTORIN: Assoz. Prof. PD. Dr. Vanessa Stadlbauer- Köllner

Klinische Abteilung für Gastroenterologie und Hepatolo- gie, Universitätsklinik für Innere Medizin, Meduni Graz, Österreich und Center of Biomarker Research in

Medicine (CBmed)

vanessa.stadlbauer@medunigraz.at


Aufgrund seiner genetischen Vielfalt und großen Stoffwechselkapazität wird das Mikrobiom heute als eigenes Organ gesehen. Der größte Teil der biologischen Masse befindet sich im Dickdarm, aber auch der gesamte restliche Verdauungstrakt, der Urogenitaltrakt, die Haut und sogar die Atemwege sind von einem Mikrobiom besiedelt, das jeweils eine spezifische Zusammensetzung und Funktion aufweist.


Einfluss auf die Diversität

Viele Medikamentenklassen beeinflussen die Zusammensetzung des Mikrobioms: Protonenpumpenhemmer, Statine, Antibiotika, Blutdrucksenker und Antidepressiva gehören laut Analysen großer Kohorten zu den am stärksten Mikrobiom-verändernden Medikamenten. Jedes vierte getestete Medikament hatte in Laborversuchen einen starken Einfluss auf das Wachstum und die Funktion von wichtigen Bakterienstämmen des menschli- chen Mikrobioms. Manche Medikamente können die Diversität des Mikrobioms senken, wodurch die Kolonisationsresistenz des Mikrobioms (Resili- enz) gegenüber pathogenen Keimen abnimmt und potenziell pathogene Keime bessere Wachstumsbedingungen vorfinden. Folgen davon können eine Darmbarrierestörung, vermehrte bakterielle Translokation, Inflammation und metabolische Auswirkungen sein und dadurch eine Dysbiose verursachen.

Klassischerweise erwartet man sich von Antibiotika, dass sie das Darmmikrobiom beeinflussen. Antibiotika-assoziierte Durchfallerkrankungen tre- ten in 5 % bis 25 % aller Antibiotikabehandlungen auf, in Abhängigkeit von Patientenalter und verwendeter Substanzgruppe. Antibiotika führen zu einer starken Reduktion der Diversität des Darmmikrobioms, dadurch nimmt die Kolonisationsresistenz gegenüber pathogenen Keimen ab. Zur Vermeidung der Antibiotika-assoziierten Diarrhoe sind Maßnahmen wie der gezielte Einsatz von Antibiotika („antibiotic stewardship“), gute Hände- hygiene und auch der Einsatz von Mikrobiom-modulierenden Therapien möglich.


Probiotika und Durchfallerkrankung

Probiotika – das sind lebende Mikroorganismen, die, wenn sie in ausreichender Menge konsumiert werden, gesundheitsfördernde Effekte haben – sind in diesem Zusammenhang gut untersucht. Eine Metaanalyse der Cochrane-Gruppe aus dem Jahr 2017, die 31 Studien mit 8.672 Teilnehmern umfasst, zeigt, dass Probiotika das Risiko einer Clostridiodes difficile-assoziierten Durchfallerkrankung (CDAD) um 60 % reduzieren können. Die Inzidenz von CDAD betrug 1,5 % in der probiotischen Gruppe im Vergleich zu 4 % in der Kontrollgruppe mit Placebo oder ohne Behandlung. In Studien, in denen Teilnehmer mit einem hohen Risiko für die Entwicklung von CDAD

(> 5 %) eingeschlossen waren, ist der potenzielle Nutzen noch ausgeprägter, mit einer durchschnittlichen Risikoreduktion um 70 %. Die berichte- ten Nebenwirkungen waren gering (Bauchkrämpfe, Übelkeit, Blähungen, Fieber und Geschmacksstörungen) und traten bei Patienten in der Kon- trollgruppe häufiger auf. Die Cochrane Meta-Analyse schließt daher mit der Empfehlung, dass bei Menschen mit hohem Risiko für eine Clostridi- odes difficile, das sind insbesondere ältere Menschen in Regionen mit hohem Infektionsrisiko, die Prophylaxe mit Probiotika erwogen werden soll.

Auch bei Kindern zeigte eine andere Cochrane-Metaanalyse von 33 Studien mit insgesamt 6.352 Teilnehmern im Alter von drei Tagen bis 17 Jah- ren, dass Probiotika das Auftreten eines Antibiotika-assoziierten Durchfalls verhindern können. Die Inzidenz von AAD in der Probiotikagruppe lag bei 8 % im Vergleich zu 19 % in der Kontrollgruppe. Bei hochdosierten Probiotika betrug die Inzidenz von AAD in der Probiotikagruppe 8 % im Ver- gleich zu 23 % in der Kontrollgruppe. Basierend auf hochdosierten Probiotika ergibt sich eine NNT (Number needed to treat) zur Verhinderung ei- nes Durchfalls von sechs. Diese niedrige „Number needed to treat“ bei gleichzeitigen im Vergleich zu anderen Therapien relativ günstigen Kosten von Probiotika sollte diesen vorbeugenden Ansatz sehr attraktiv für Gesundheitssysteme machen.


Rechtzeitiger Therapiebeginn

Es gibt auch Hinweise darauf, dass Probiotika die Dauer von Durchfall moderat verkürzen können, und zwar um fast einen Tag – das klingt zwar wenig, ist aber bei vulnerablen Gruppen wie Kindern und älteren Personen gerade in Zeiten von überlasteten Krankenhäusern ein durchaus rele- vanter Effekt. Probiotika hatten in diesen Studien keine schwerwiegenden Nebenwirkungen. Leichte Nebenwirkungen wie Hautausschlag, Übelkeit, Blähungen und Verstopfung traten immer wieder auf.

Der Zeitpunkt des Beginns der Therapie besonders wichtig ist. Wird mit der Verwendung von Probiotika innerhalb der ersten 48 Stunden nach Be- ginn einer Antibiotikagabe gestartet, kann eine Durchfallerkrankung am effektivsten vermieden werden. Wenn man erst nach einer Antibiotikagabe eine Prophylaxe mit Probiotika beginnt, wird die Regeneration des Darmmikrobioms nicht beschleunigt, sondern möglicherweise sogar verzögert, wie eine experimentelle Arbeit an gesunden Probanden zeigte.

Für die Praxis bedeutet das, dass die Einnahme eines Probiotikums zur Prophylaxe einer Durchfallerkrankung durch Antibiotikagabe besonders bei vulnerablen Patienten unbedingt erwogen werden soll – am besten ab dem Start des Antibiotikums. Das Probiotikum soll zwei bis drei Stunden zeitversetzt zur Antibiotikagabe eingenommen werden. Hochdosierte Präparate mit mehr als einer Milliarde Keime pro Dosis wirken besser. Die Zu- lassung als Arzneimittel, diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke oder Nahrungsergänzungsmittel macht aus aktueller Sicht keinen Unterschied in der Wirksamkeit.