Fortbildung & Klinik I Gastkommentar

FotoS: zvg, istockphoto/ janiecbros

Schuster, bleib bei deinem Leisten

Wie viel Vertrauen kann man der Wissenschaft schenken?

Viel ist von der Rehabilitation der Wissenschaftler die Rede, die einem Zeitgeist von „Fake News“, der politischen Lüge, des ideologischen Funda- mentalismus, der pseudoreligiösen Machtlegitimationen und des dumpfen Weltvereinfachertums entgegenwirken. Das Coronavirus schien etwas geschafft zu haben, was zuvor fast unmöglich erschien: die öffentliche Bloßstellung der intellektuellen Unredlichkeit von Rechtspopulisten. Ganz anders die Wissenschaftler, deren Aussagen im Vergleich zu denen ihrer politischen Vorgesetzten und anderer Machtträger so ungewohnt ehrlich, faktenbezogen und wahrhaftig erscheinen, dass so mancher von ihnen es sogar zu größerer öffentlicher Beliebtheit geschafft hat. Zudem sind es, was leider schnell vergessen wird, die Wissenschaftler, die für die immensen Fortschritte in der Covid-19-Forschung des letzten Jahres verantwort- lich sind und uns versprechen, uns so aus der Corona-Krise herauszuführen.


Nanophysiker auf Covid-19-Spuren

Dass jedoch auch Wissenschaftler mal in die intellektuelle Falle der Vermessenheit und Ignoranz geraten, zeigt der Fall des Nano- und Festkörper- physikers Roland Wiesendanger von der Universität Hamburg. Wiesendanger ist ein sehr renommierter Physiker, der im Jahr 2020 die beachtliche Menge von elf wissenschaftlichen Publikationen zu Themen wie Spectroscopic Signature of the Stark-shifted Tamm-type Surface State of La(0001) oder Discovery of Magnetic Single- and Triple-q States in Mn/Re(0001) publiziert hat, zwei davon sogar in Physical Review Letters, die von den meisten Wissenschaftlern als eine der renommiertesten Zeitschriften auf dem Gebiet der Physik angesehen wird. Eine zwölfte Arbeit erregt jedoch besondere Aufmerksamkeit. Sie trägt den – als einzige seiner Publikationen deutschsprachigen! – Titel „Studie zum Ursprung der Coronavirus- Pandemie“ (www.researchgate.net/publica-tion/349302406StudiezumUrsprungderCoronavirus-Pandemie). Hier bewegt sich Wiesendanger als (Einzel-)Autor auf einem für ihn ganz neuen Gebiet: der Erforschung des Ursprungs des Virus Sars-CoV-2. Und er kommt zum spektakulären Er- gebnis, „dass sowohl die Zahl als auch die Qualität der Indizien eindeutig für einen Laborunfall am virologischen Institut der Stadt Wuhan als Ursa- che der gegenwärtigen Pandemie sprechen“.

Man wundert sich: Wie kommt ein fachfremder Nanophysiker zu einer derart umstrittenen Behauptung, die unter Virologen und Experten der WHO weitestgehend abgelehnt wird? Wiesendanger selber schreibt in seinem Text: Es gibt „keine wissenschaftlich basierten strikten Beweise“ für seine Theorie zur Herkunft des Coronavirus, vielmehr biete er „Indizien“ auf der Basis von wissenschaftlichen Artikeln, Veröffentlichungen in Medien und sozialen Netzwerken und Gesprächen mit internationalen Wissenschaftlern. Die beschränkte Argumentationskraft seiner Quellen hält ihn nicht da- von ab, eine derartig umstrittene Aussage mit hohem Grad an Überzeugung zu treffen, während Experten die Wahrscheinlichkeit ihres Zutreffens doch als eher niedrig einstufen. Nun besteht die wissenschaftliche Methode ja gerade darin, immer wieder auch Zweifel am bestehenden Kon- sens anzubringen, damit sich Irrtümer nicht allzu lange halten. Und die Pandemie ist schließlich eines der drängendsten Probleme aktuell, wes- halb es so wichtig ist, keine falschen Annahmen darüber zu machen und ihre Ursprünge im Detail zu verstehen.


Populistische Denkströmungen

Und das geht nur über den wissenschaftlichen Diskurs. Doch die Studenten der Uni Hamburg haben recht, wenn sie schreiben: „Die ‚Studie‘ von Herrn Wiesendanger der Uni Hamburg entspricht nicht den wissenschaftlichen Standards, die wir von einer Universität erwarten. Sie spielt statt- dessen nur Verschwörungstheoretikern in die Hände und schürt anti-asiatischen Rassismus.“ Sie selber müssen sich an die „Richtlinien für die An- fertigung wissenschaftlicher Arbeiten“ halten, wo unter anderem steht: „Eine starke Häufung wörtlicher Zitate sollte vermieden werden, da sonst der Eindruck entsteht, dass der Verfasser eigenständige Formulierungen scheut.“ Wiesendanger scheint diese Richtlinien nicht gelesen zu haben: Er integriert vielmehr mehrseitige wörtliche Auszüge aus seinen Quellen, um die Kraft seiner Argumente stärker erscheinen zu lassen, teils fällt es sogar schwer, die vom ihm selbst stammenden Absätze zu identifizieren. Wissenschaftliche (peer-reviewed) Artikel sind bei seinen Quellen in der Minderheit: Artikel in Print- und Onlinemedien, inklusive solche in sozialen Medien, die gar keiner kritischen Durchsicht unterliegen, sind mit über 30 von 71 Quellen in der (relativen) Mehrheit. Wiesendanger macht auch nicht halt vor Quellen mit klarer Nähe zu Verschwörungstheorien. Damit entfernt sich sein Papier endgültig von anerkannten wissenschaftlichen Standards.

Leider sind eben auch Wissenschaftler nicht gewappnet vor populistischen Denkströmungen, wenn sie einmal ihr Fachgebiet verlassen, dort aber mit der gleichen Überzeugungskraft aufzutreten beanspruchen wie auf ihrem Fachgebiet. Hier ist die Öffentlichkeit aufgerufen, dem Einhalt zu ge- bieten. Die Universität Hamburg hat sich in dieser Sache leider kaum mit Ruhm bekleckert, sondern dieser „Studie“ (eher eine reichlich verworre- ne Medienrecherche) vielmehr mit einer offiziellen Pressemitteilung der Universität noch eine bedeutende Plattform geboten, was am 19. Februar sogar zu einer „Bild“-Schlagzeile führte: „Deutsche Professor sicher: Corona war LABOR-UNFALL in China“. Da sollte man doch wirklich höhere Ansprüche an die Wissenschaftler haben. Denn wie wir sehen, sind auch diese nicht vor der Hybris der populistischen Rechthaberei gewappnet.