MEDIZIN | Thrombosen

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Krebs und

Thromboserisiko

Wie hoch ist das Risiko von onkologischen Patienten für venöse oder arterielle Throm- bosen, wenn eine Therapie mit Checkpoint- Inhibitoren begonnen wird?

Patienten mit Krebserkrankungen haben generell ein erhöhtes Risiko für Thrombosen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Dieses Risiko wird ei- nerseits durch patientenspezifische Faktoren und die Tumorerkrankung selbst beeinflusst, andererseits kann aber auch die Krebstherapie, also etwa chirurgische Eingriffe, eine Strahlentherapie oder spezielle chemotherapeutische Medikamente, zu einer Erhöhung dieses Risikos führen. In den vergangenen Jahren werden zunehmend sogenannte Immuncheckpoint-Inhibitoren zur Therapie verschiedenster Krebserkrankungen einge- setzt. Eine Kohortenstudie unter der Leitung von Dr. Florian Moik und Dr. Cihan Ay an der Klinischen Abteilung für Hämatologie und Hämostaseolo- gie an der Universitätsklinik für Innere Medizin I der MedUni Wien/AKH Wien hat untersucht, ob es unter der neuen Immuntherapie auch zu einem erhöhten Auftreten von venösen und arteriellen Thrombosen und Thromboembolien kommt.


Stimuliertes Immunsystem zu einer erhöhten Thromboseneigung?

Immuncheckpoints sind Kontrollpunkte des Immunsystems. Sie bestehen aus Oberflächenproteinen, die von T-Lymphozyten und anderen Immun- zellen sowie zahlreichen Geweben im Körper exprimiert werden. Die Aufgabe dieser Checkpoints ist es, wie eine Bremse eine zu starke oder inad- äquate Immunreaktion zu verhindern. Die Entwicklung und das Wachstum von Krebs gehen häufig mit einer Suppression des Immunsystems Hand in Hand. Manche Krebszellen sind in der Lage, Immuncheckpoints zu aktivieren und damit zu verhindern, dass sie von T-Lymphozyten zerstört werden. Immuncheckpoint-Inhibitoren sind monoklonale Antikörper, die diese Bremse zu lösen und damit eine verstärkte Immunreaktion möglich machen. Checkpoint-Inhibitoren werden als neuer Meilenstein der Immuntherapie gegen maligne Tumoren angesehen. Im letzten Jahrzehnt wur- den verschiedene Therapeutika entwickelt und zugelassen. Studien konnten zeigen, dass diese Aktivierung des Immunsystems zu einer Verbesse- rung der Prognose bei Betroffenen mit malignen Melanomen, Lungenkrebs, Nierenzellkarzinomen und anderen Tumorarten führen kann.

Immuncheckpoint-Inhibitoren verursachen eine systemische Entzündungsreaktion mit möglichen Einflüssen auf das Gerinnungssytem, die bis jetzt in Studien noch nicht ausreichend untersucht worden sind. Große randomisierte Studien hatten die Entwicklung von thrombotischen Komplikatio- nen wie TVTs und arteriellen Thrombosen bis jetzt noch nicht im Fokus, mehrere kleine Studien berichten von einer Inzidenz thrombotischer Kom- plikationen von 6 % und 18 %, die Datenlage ist aber nicht ausreichend, um Rückschlüsse für die Behandlung zu ermöglichen.


Kohortenstudie zur Thrombosehäufigkeit bei Checkpoint-Inhibitoren

Moik und Ay konnten in Kooperation mit der Klinischen Abteilung für Onkologie, der Universitätsklinik für Dermatologie sowie der Anstaltsapotheke des AKH Wien in einer nun veröffentlichten Studie im Top-Journal „Blood“ erste Daten zu Häufigkeit, klinischen Konsequenzen und möglichen Risi- kofaktoren für thrombotische Komplikationen bei dieser neuartigen Krebstherapie liefern. Dazu wurden Daten zu venösen Thrombosen und Throm- boembolien und arteriellen Thromboembolien bei Patienten gesammelt, die zwischen 2015 und 2018 an der MedUni Wien/AKH Wien mit einem Im- muncheckpoint-Inhibitor behandelt wurden.

Als venöse Thrombose wurden die tiefe Beinvenenthrombose, die Pulmonalarterienembolie und Venenthrombosen im Splanchnikus-Gebiet defi- niert. Als arterielle Thrombose/Embolie wurden das akute Koronarsyndrom, der ischämische Insult und periphere arterielle Embolien als Endpunkt zusammengefasst. Insgesamt waren 672 Patienten inkludiert, das mittlere Alter lag bei 64 Jahren, 39 % waren Frauen. Die meisten Patienten waren nur leicht in ihrer täglichen Routine eingeschränkt, aber bei über 80 % war der Primärtumor bereits metastasiert, die mittlere errechnete 10-Jahres- Überlebensrate lag nur bei 2 %. Die häufigsten Tumorarten waren das maligne Melanom (30,4 %), das nicht-kleinzellige Bronchialkarzinom (24 %), das Nierenzellkarzinom (11 %), das Plattenepithelkarzinom des Kopf-Hals-Bereichs (10 %) und das Urothelkarzinom (5 %).

Viele der Patienten wiesen bereits eine Vorgeschichte einer TVT (12 %) oder einer arteriellen Thrombose (9 %) auf, 36 % standen unter einer Thera- pie mit Antikoagulantien oder Plättchenhemmern. Die verwendeten Checkpoint-Inhibitoren waren Nivolumab (42 %), gefolgt von Pembrolizumab (40 %), Ipilimumab (6,7 %), Ipilimumab in Kombination mit Nivolumab (6 %), Atezolizumab (4,5 %) und Avelumab (0,9 %). Die mittlere Beobach- tungsdauer der Patienten lag bei 8,5 Monaten.


Thrombosen mit erhöhter Mortalität assoziiert

Das Ergebnis: „Die kumulierte Häufigkeit für venöse Thromboembolien betrug 12,9 % und für arterielle Thrombosen 1,8 %. Dieses Risiko scheint unabhängig von der zugrunde liegenden Krebserkrankung und dem verwendeten Immuncheckpoint-Inhibitor zu sein, nachdem in diesen Sub- gruppen ähnliche Thromboseraten beobachtet wurden“, erklärt Moik. „Patienten, die mit Immuncheckpoint-Inhibitoren therapiert werden, sind oft bereits vortherapiert und haben meist fortgeschrittene Krebserkrankungen. Wir hätten ein signifikantes Risiko für Thromboembolien erwartet, aber in den groß angelegten Therapiestudien der Immuncheckpoint-Inhibitoren wurde darüber bisher nicht berichtet“, so Studienleiter Cihan Ay. Das Auftreten venöser Thromboembolien war mit einer schlechteren Prognose sowie kürzerer Zeit bis zur Tumorprogression assoziiert. Zudem führten sie häufig zu Therapieverzögerungen oder sogar Therapieabbrüchen und zogen ein signifikantes Risiko für Rezidiv-Thrombosen und Blutungen während der Antikoagulationsbehandlung nach sich. „Die Ergebnisse unterstreichen die ungünstige Auswirkung von venösen und arteriellen Thromboembolien auf den klinischen Verlauf von Patienten mit Krebs“, fasst Studienautor Moik zusammen.


Aufschlag für weitere Studien

Eine der Limitationen der Studie war, dass ein Vergleich mit Patienten fehlte, die nicht mit Checkpoint-Inhibitoren behandelt worden waren. „Ob das hohe beobachtete Thromboserisiko kausal mit der Immuncheckpoint-Inhibitor-Therapie zusammenhängt oder das zugrunde liegende Basisrisiko dieser Patientengruppe widerspiegelt, lässt sich im Rahmen dieser Studie nicht beantworten.“

Unabhängig davon sei es aber wichtig, Bewusstsein für diese Komplikationen zu schaffen, besonders im Hinblick auf die hohe Effektivität dieser neuen Krebstherapie.

„Diese Arbeit dient daher als Basis für künftige Studien, um Patienten zu identifizieren, die von einer Thromboseprophylaxe insbesondere

zur Verhinderung venöser Thromboembolien profitieren könnten.“


ja