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Regeneration messbar machen
Sportmediziner Dr. Lutz Graumann erläutert, wie sich Regenera- tion dank einer neuen Generation medizintechnischer Geräte und Software nicht nur messbar machen lässt, sondern dadurch auch die Basis für eine personalisierte Betreuung und eine bes- sere Skalierbarkeit medizinischer Dienstleistungen entsteht.
Für den Part „Bewegung und Sport“ gibt es eine sehr aktive Forschung mit Erkenntnissen dazu, wie Training noch besser dosiert, gesteuert und individualisiert werden kann. Die Variable „Regeneration“ ist dagegen nach wie vor eine große Unbekannte, mit nur wenigen gut erforschten Konstanten.
Wie lässt sich beurteilen, ob die Meditations- oder Yoga-Übungen bei einer bestimmten Person wirklich einen entspannenden Effekt haben oder ob ein halbstündiger Spaziergang eine viel größere Wirkung hätte?
„Sehr viele Gadgets auf dem Markt geben heute eine pseudowissenschaftliche Genauigkeit in puncto Schlafmessung vor. Überprüft und hinter- fragt man die von Wearables, Pulsgurten oder Smartwatches gelieferten schön anzusehenden Grafiken, bleibt jedoch oft nicht mehr viel von de- ren Aussagekraft übrig“, erläutert Graumann. „Daher raten Mediziner vom Einsatz solcher Wearables ab, die nur mittels Accelerometrie die Rege- neration quantifizieren. Bei Wearables und Smartwatches, welche die Belastung und Regeneration mittels Accelerometrie und Photoplethysmo- graphie (PPG) bestimmen – also Bewegung und Herzfrequenz integrieren – nimmt die Genauigkeit im Zuge des technischen Fortschritts zu. Aktu- ell ist allerdings die Herzfrequenzvariabilität (HRV) einer der vielversprechendsten Marker für die Regulation des autonomen Nervensystems (ANS) und somit auch für den Wechsel von Belastung und Regeneration. Sie erfordert jedoch die Aufzeichnung eines EKG-Signals, um die RR- Intervalle – den zeitlichen Abstand zwischen den R-Zacken zweier Herzschläge – im EKG zuverlässig zu erfassen.“
Faktoren, die die HRV beeinflussen, umfassen: physische Aktivität (Bewegung / Sport), Stressempfinden, emotionale Prozesse, Regeneration, Lage- oder Richtungswechsel, Atmung (forciertes Ein- oder Ausatmen) sowie das autonome Nervensystem (ANS). Da sowohl psychische als auch physische Effekte die HRV beeinflussen, eignen sich Langzeitmessungen am besten für die Analyse und Diagnose, da hier kurzzeitige Ef- fekte nicht zu falsch positiven oder negativen Ergebnissen führen. Für ein möglichst genaues Bild der HRV sollte das verwendete Gerät zudem Daten mit einer Frequenz von mindestens 250 Hz, besser jedoch von 500 Hz erfassen.
Langzeit-EKGs werden alltagstauglich
Medizinisch genaue Daten für eine aussagekräftige HRV-Analyse liefert die neueste Gene- ration von EKG-Rekordern, wie beispielsweise Bittium Faros. Mit solchen Lösungen lassen sich nicht nur der Puls und die Herzströme (EKG), sondern auch die Atmung, der Kreislauf und die Bewegung überwachen. Die Atemfrequenz wird mittels respiratorischer Sinus- arrhythmie aus dem EKG abgeleitet und ein Accelerometer im Gerät erfasst die Bewegung.
Die Entwicklungsfortschritte zeigen sich nicht nur in den Möglichkeiten zur Datenerhebung und -auswertung. Früher wurden Langzeit-EKGs in der Regel nur für kritische medizinische Diagnosen wie Herzprobleme durchgeführt, denn die Untersuchung war nicht nur aufwen- dig und teuer, sondern die EKG-Holter waren auch klobig, unbequem zu tragen und mit vielen Elektroden versehen, die von Fachpersonal angelegt werden mussten. Durch die neue Gerätegeneration wird der Einsatz von Langzeit-EKGs auch für neue Anwendungs-
gebiete attraktiv. Moderne EKG-Rekorder sind sehr kompakt und ermöglichen zusammen mit einer Patch-Elektrode Langzeit-EKG-Aufnahmen für jeweils bis zu sieben Tagen. Dabei können die Anwender körperlich aktiv sein, Sport treiben und duschen, ohne den Rekorder entfernen oder die Aufnahme stoppen zu müssen. Die Geräte sind zudem sehr einfach zu bedienen, sodass die Anwender zum Beispiel auch eigenständig einen Zeitstempel setzen können, wenn sie selbst eine Veränderung – wie Herzpochen – feststellen.
Nicht nur die verwendete Messmethode, sondern auch die gezielte Auswahl der Algorithmen beeinflusst die Aussagekraft von Schlaf- und Rege- nerationsanalysen. Hier eignet sich der Einsatz einer speziell auf die Auswertung der Schlaf und Stressanalyse ausgelegten Software. „Ein Vorteil bei der Nutzung von Software eines Medizintechnik-Experten ist es, dass die Softwareplattform durch die anonymisierten Werte tausender Analy- sen Vergleichswerte schafft. Auf diese Weise kann man sehen, ob eine Person im Vergleich zu Peers mit ähnlichem Alter und Lebensumständen besser oder schlechter abschneidet“, ergänzt Graumann.
Individualisierte Beratung und skalierbare Services
Die neuen, kompakten und einfach bedienbaren EKG-Rekorder zeichnen sich dadurch aus, dass sie genauso qualitativ hochwertige Daten liefern wie kompliziert verkabelte Holter-EKG früherer Generationen. So sind sie für medizinische Diagnosen, beispielsweise bei Herzkrankheiten, ein- setzbar. Gleichzeitig können sie aber auch für Coaching und Lifestyle-Beratungen eingesetzt werden. Zum einen sind sie günstiger als Vorgän- gergenerationen, sodass Ärzte und Coaches mehrere Geräte zeitgleich einsetzen können. Auf der anderen Seite ist die Bedienung so einfach, dass die Anwender sie selbst anlegen und bedienen können. Die im Langzeit-EKG gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen eine datengestützte personalisierte Diagnose und Beratung – nicht nur bei akuten Krankheitsbildern, sondern auch wenn es darum geht zu ermitteln, ob Regenerati- onsstrategien wirken oder angepasst werden sollten.
rh