Gene aktivieren oder stilllegen, defekte Zellen abbauen, neues Gewebe aufbauen – der menschliche Organismus ist ständig in Arbeit. So werden zum Beispiel auch Signale ausgesendet, um eine Krankheit zu bekämpfen und das oft schon lange, bevor die Krankheit bemerkt wird. Das geschieht zum Beispiel über DNA-Moleküle, die aus körpereigenen Zellen freigesetzt werden, im Blut zirkulieren und von anderen Zellen als Botschaft zur Stimulierung einer Abwehrreaktion erkannt werden. Forschende des Instituts für Computational Biotechnology der TU Graz haben sich diese Biomarker, zunutze gemacht und gemeinsam mit Wissenschaf- tern des Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib), der Medizinischen Universität Graz und der CNA Diagnostics GmbH eine Methode zur Sepsis-Früherkennung entwickelt. Anhand von Biomarkern kann eine Sepsis bereits zwei bis drei Tage vor Auf- treten der ersten klinischen Symptome mit hoher Genauigkeit diagnostiziert werden. Die Methode kann die Überlebenschance von Sepsis-Patienten maßgeblich erhöhen.
Klassifizierungsalgorithmen als Grundlage
„Unser Team hat 24 Biomarker identifiziert, mit denen eine bakterielle oder durch Pilze hervorgerufene Sepsis mittels Klassifizie- rungsalgorithmen in einem früheren Stadium als bisher nachgewiesen werden kann“, erklärt der Leiter des Instituts für Computa- tional Biotechnology der TU Graz, Univ.-Prof. Dr. Christoph W. Sensen.
Für ihre Arbeit nutzten die Bioinformatiker anonymisierte Plasmaproben, die von den Arbeitsgruppen um Univ.-Prof. Dr. Robert Krause, dem Co-Direktor von BioTechMed-Graz, und Univ.-Prof. Dr. Peter Neumeister an der Med Uni Graz zur Verfügung gestellt wurden. Die Proben stammten von Personen, bei denen eine Sepsis durch Bakterien oder Pilze mit Nachweis dieser Erreger im Blut, eine Influenza oder ein Lymphom diagnostiziert wurde, sowie von gesunden Personen. Sie bildeten die Grundlage für die Entwicklung jener Algorithmen, mit denen die Marker schlussendlich identifiziert und der Marker-Satz entwickelt werden konnte. „Dieser Datensatz kann Personen im frühen Sepsis-Stadium und solche mit ersten klinischen Anzeichen von gesunden Personen und von Personen mit anderen Krankheiten unterscheiden. Innerhalb der Patientengruppe, für die die Marker entwickelt wurden, betrug die Diagnosegenauigkeit knapp 90 % im Zeitraum von zwei Tagen vor den ersten klinischen Anzeichen bis zwei Tagen nach der Diagnose mit den Standardmethoden. In Blindstudien mit Patientengruppen, die nicht in die Markerentwicklung einbe- zogen wurden, betrug die Genauigkeit bis zu 81 %“, so Sensen.
Zulassungsverfahren läuft
Die Forschenden entwickelten im Zuge ihrer Studien auch eine neue Form eines quantitativen Echtzeit-PCR-Tests. Für das Verfah- ren ist bereits bei der U. S. Food and Drug Administration (FDA) in Washington eine Zulassung für die Vereinigten Staaten bean- tragt worden. Die Arbeiten für die Zulassung in Europa werden gerade aufgenommen. Sensen hofft, dass die Tests bald großflä- chig zum Einsatz kommen. Mittlerweile gibt es Daten aus China, die belegen, dass auch Covid-19-Erkrankte mit schwerem Krank-
heitsverlauf im Endstadium häufig eine Sepsis als Sekundärerkrankung aufwiesen. Umso mehr sind Sensen und sein Team an einer Zusammen- arbeit mit Biobanken wie BBMRI-ERIC und Krankenhäusern interessiert, die den Forschenden Plasmaproben von Covid-19-Patienten zur Verfü- gung stellen. „Basierend auf dem Forschungsprogramm zur Sepsis- Früherkennung könnten wir damit diagnostische Werkzeuge für die schnellere Identifizierung von Hochrisiko-Patienten und eine Strategie für ein frühzeitiges Eingreifen bei den ersten Anzeichen von Sepsis entwi- ckeln, die bei zukünftigen Pandemien eingesetzt werden können, um die Folgen der Infektion für die Betroffenen zu verringern“, so Sensen.
rh