MEDIZIN | Fieber

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Fieber bei erwachsenen Patienten

Mehrere wissenschaftliche Beiträge behandeln die Frage der diagnostischen Genauigkeit der oralen Thermometrie zur Fiebererkennung bei erwachse- nen Patienten. Eine Studienreview.

Die orale Thermometrie wird seit Langem in verschiedenen klinischen Bereichen eingesetzt, da sie schnelle, sichere und bequeme Messungen er- möglicht, die einfach durchzuführen und wenig anfällig für Bedienungsfehler sind. Mithilfe von Schlüsselbegriffen führten Kiekkas, Aretha, Tzenalis und Stefanopoulos eine Literaturrecherche1 in CINAHL, PubMed, Web of Science, Scopus und Cochrane Library durch. Eingeschlossen wurden methodenvergleichende Studien, die zwischen Januar 1990 und Dezember 2020 in englischsprachigen, von Experten begutachteten Zeitschriften veröffentlicht wurden, die orale Temperaturmessungen mit invasiven Thermometern verglichen und an Patienten ≥18 Jahren durchgeführt wurden. Die methodische Qualität der ausgewählten Studien wurde mit QUADAS-2 bewertet.


Keine Sicherheit

Kiekkas, Aretha, Tzenalis und Stefanopoulos wählten sechzehn Artikel für den Einschluss aus. Das Risiko einer Verzerrung wurde bei den meisten von ihnen als gering eingestuft. Die quantitative Synthese ergab, dass die gepoolte mittlere Mundtemperatur um 0,07 °C niedriger war als die Kerntemperatur, wobei die 95%-Grenzen der Übereinstimmung zwischen – 0,22 °C und 0,08 °C lagen. Die gepoolte Sensitivität und Spezifität für die Erkennung von Fieber (in den meisten Studien definiert als Kerntemperatur ≥38 °C) lag bei .53 (95 % Konfidenzintervall, .39-.66) bzw. .98 (95 % Konfidenzintervall, .97-.99). Eine Sensitivitätsanalyse ergab, dass die Temperatur stärker unterschätzt wurde, wenn die Rektaltemperatur als Re- ferenzstandard verwendet wurde. Daraus ergibt sich folgende Schlussfolgerung: Trotz ihrer zufriedenstellenden Genauigkeit, Präzision und Spezifi- tät hat die orale Thermometrie eine geringe Sensitivität für den Nachweis von Fieber, was zu einer hohen Anzahl falsch-negativer Messwerte und zu Unsicherheiten beim Ausschluss von Fieber bei Patienten führt, die sich als nicht fieberhaft erweisen. Für die klinische Praxis ergeben sich dar- aus folgende Erkenntnisse: Die orale Thermometrie kann nicht als Ersatz für invasive Thermometrie-Methoden bei hospitalisierten erwachsenen Pa- tienten empfohlen werden, wenn man die hohe Inzidenz von Fieber bei diesen Patienten und die möglichen negativen Auswirkungen von überse- henen Fieber auf die Patientendiagnose und die Behandlungsergebnisse bedenkt.


Infrarot-Thermometrie

Kiekkas, Stefanopoulos, Bakalis und Kefaliakos2 untersuchten in einer weiteren Studie die Übereinstimmung der Infrarot-Thermometrie der Schlä- fenarterie mit anderen Thermometermethoden bei Erwachsenen. Nicht-invasive Thermometriemethoden zielen darauf ab, Patientenkomfort und Benutzerfreundlichkeit mit einer zufriedenstellenden Genauigkeit der Temperaturmessung zu verbinden. Die Infrarot-Thermometrie der Schläfenar- terie basiert auf der Erfassung der von dieser Arterie im Stirn- und Schläfenbereich abgestrahlten Wärme. Mithilfe einer Literatursuche wurden Da- ten aus zwanzig Studien zum Methodenvergleich extrahiert, die zwischen 2002 und 2015 veröffentlicht wurden. Die methodologische Qualität der ausgewählten Studien wurde bewertet. In acht Studien wurden die Temperaturmessungen der Schläfenarterie mit jenen der Lungenarterie, der Harnblase, des Ösophagus oder des Nasopharynx über den gesamten Temperaturbereich verglichen. Die Genauigkeit und Präzision der Thermo- metrie der Schläfenarterie überstieg in drei bzw. sechs Studien die empfohlenen Werte von 0–3 °C. Ebenso wurde in neun Studien, in denen die Temperaturmessungen in der Schläfenarterie mit denen im Mund und im Ohr verglichen wurden, eine zufriedenstellende Übereinstimmung festge- stellt. Was Fieber und Hypothermie betrifft, so war die Spezifität von Schläfenthermometern zur Erkennung dieser Erkrankungen zwar zufriedenstel- lend, ihre Sensitivität jedoch gering. Diese Erkenntnisse sprechen nicht dafür, dass die Schläfenthermometrie die üblichen invasiven und nichtinva- siven Thermometermethoden bei erwachsenen Patienten ersetzen kann. Angehörigen der Gesundheitsberufe wird in dieser Studie empfohlen, die Infrarot-Thermometrie der Schläfenarterie bei Erwachsenen zu vermeiden bzw. hinsichtlich der Genauigkeit und Präzision der Messwerte vorsichtig zu sein, bis verbesserte Geräte entwickelt werden.


Temporalscanner

Zu ähnlichen Ergebnissen, wenn auch weniger strengen Schlussfolgerungen kommen Geijer, Udumyan, Lohse und Nilsagård3. Sie haben im Rah- men einer Meta-Analyse Temperaturmessungen mit einem Schläfenthermometer (TAT) systematisch überprüft. Der primäre Endpunkt war die Messgenauigkeit, ausgedrückt als mittlere Differenz ± 95 % LoA (Limits of Agreement). Ein sekundäres Ergebnis war die Sensitivität und Spezifität bei der Erkennung von Fieber. Die gepoolte Differenz betrug –0,19 °C (95 % LoA –1,16 bis 0,77 °C), mit mäßiger Qualität der Evidenz. Die gepoolte Sensitivität betrug 0,72 (95 % CI 0,61 bis 0,81) mit einer Spezifität von 0,94 (95 % CI 0,87 bis 0,97). Die Subgruppenanalyse ergab einen Trend zur Unterschätzung der Temperatur bei fiebrigen Patienten. Es gab eine große Heterogenität unter den eingeschlossenen Studien mit einem breiten LoA, was die Qualität der Evidenz reduzierte. Die Schlussfolgerungen ergaben, dass die TAT nicht genau genug ist, um eine der Referenzmetho- den wie rektale, Blasen- oder invasivere Temperaturmessmethoden zu ersetzen. Die Ergebnisse ähneln jedoch denen von Ohrthermometern, so- wohl in dieser Meta-Analyse als auch im Vergleich mit anderen. Es scheint also, dass die TAT das Ohrthermometer ersetzen könnte, allerdings mit dem Vorbehalt, dass beide Methoden ungenau sind.


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REVERENZEN:

1 Panagiotis Kiekkas, Diamanto Aretha, Anastasios Tzenalis, Nikolaos Stefanopoulos. Diagnostic accuracy of oral thermometry for fever detection in adult patients: literature review and meta-analysis. J Clin Nurs. 2022 Mar;31(5-6):520-531. doi: 10.1111/jocn.15968. Epub 2021 Jul 18.

2 Panagiotis Kiekkas, Nikolaos Stefanopoulos, Nick Bakalis, Antonios Kefaliakos. Agreement of infrared temporal artery thermometry with other thermometry methods in adults: systematic review. J Clin Nurs. 2016 Apr;25(7-8):894-905. doi: 10.1111/jocn.13117. Epub 2016 Jan 27.

3 Håkan Geijer, Ruzan Udumyan, Georg Lohse, Ylva Nilsagård. Temperature measurements with a temporal scanner: systematic review and meta- analysis. BMJ Open. 2016 Mar 31;6(3):e009509. doi: 10.1136/bmjopen-2015-009509.