Trotz der hohen Prävalenz von depressiven Erkrankungen bleiben diese oft unerkannt und somit unbehandelt. Psychiatrische Rehabilitation kann wesentlich zur Förderung der Genesung von depressiven Patienten beitragen, nachdem sie adäquat therapiert wurden.
Autor: Dr. Anastasios
Konstantinidis, MSc.
Ärztlicher Leiter, Zentrum
für seelische Gesundheit
MULDENstraße, Linz;
Klinische Abteilung für Allgemeine Psychiatrie, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Universität Wien, Wien
Depression ist eine der häufigsten psychiatrischen Erkrankungen. Weltweit stellen depressive Erkrankungen eine der häu- figsten Ursachen, die zur Erwerbsunfähigkeit führen, dar. Seit 2002 besteht die Möglichkeit, in Österreich eine psychiatri- sche Rehabilitation zu erhalten. Die Teilnahme der betroffenen Patienten an einer Rehabilitation kann ihre Genesung, aber auch ihre erneute Integration in ihrem gewohnten sozialen und Arbeitsumfeld fördern und dadurch einer chronischen Inva- lidität entgegenwirken.
Hohe Prävalenz
Depressionen treten bei Menschen aller sozialen Schichten, Kulturen und Ethnizitäten auf. Die verschiedenen epidemiolo- gischen Studien berichten über eine Lebenszeitprävalenz von 16 bis 26 %. Anhand verschiedener epidemiologischer Stu- dien zum Thema zeigt sich im Laufe des 20. Jahrhunderts eine Erhöhung der Inzidenz für depressive Erkrankungen. Dies wird teilweise mit den veränderten Lebensumständen wie der zunehmenden Beschleunigung des Informationsprozesses und der Überforderung der Coping-Mechanismen der einzelnen Individuen in Verbindung gebracht. Trotz der hohen Prä- valenz von depressiven Erkrankungen bleiben diese oft unerkannt und somit unbehandelt. Studien berichten, dass nur 20 % der depressiven Patienten eine medizinische Behandlung erhalten. Heutzutage wird eine multifaktorielle Ätiopathogene- se für die Depression angenommen. Genetische, biologische, psychologische sowie soziale Faktoren tragen somit, im Sin- ne des Biopsychosozialen Modells, zur Entstehung der Erkrankung bei. Laut dem derzeit international gültigen Diagnosti- zierungskatalog ICD-10 liegt eine Depression vor, wenn über die Zeitdauer von mindestens zwei Wochen mindestens zwei der drei Hauptsymptome – gedrückte Stimmung; Interesse-/Freudelosigkeit; Antriebsstörung/Müdigkeit – sowie mindes- tens zwei weitere Symptome wie zum Beispiel Konzentrationsstörungen, vermindertes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle, Hemmung/Unruhe, Schlafstörungen, Appetitstörungen, Suizidideen beim Patienten vorhanden sind. Die Verwendung von Selbstbeurteilungsfragebögen, wie dem WHO-Fragebogen zum Wohlbefinden (WHO-5: fünf Fragen) oder dem Major-De- pression-Inventory (MDI: zehn Fragen), können bei der Stellung der Diagnose eine Hilfe sein. Derzeit wird im Rahmen der Depressionstherapie die Kombinationsbehandlung mit Psycho- und Pharmakotherapie empfohlen, da sich diese als wirk- samer als eine Monotherapie mit Psychopharmaka bzw. Psychotherapie erwiesen hat.
Ziel einer antidepressiven Behandlung ist die Remission der depressiven Symptomatik. Bei der Anwendung einer medika- mentösen Behandlung unterscheidet man drei Verlaufsstadien: die Akuttherapie, welche bis zum Erreichen einer Remissi- on der depressiven Symptomatik dauert; die Erhaltungstherapie, die vier bis sechs Monate nach der Remission dauert; und die prophylaktische Therapie, welche Monate bzw. lebenslang dauern kann.
Heute stehen mehrere antidepressive Substanzen zur Auswahl. Obwohl mehrere chemisch erzeugte Substanzen einen an- tidepressiven Effekt aufweisen, weist bei den pflanzlich hergestellten Medikamenten nur Johanniskraut eine effiziente anti- depressive Wirkung auf. Eine antidepressive Monotherapie sollte generell angestrebt werden. Die antidepressive Behand- lung soll in einer adäquaten Dosierung und über eine adäquate Dauer – vier bis acht Wochen – verordnet werden. Eine mögliche Reduktion des Plasmaspiegels der verordneten Antidepressiva durch die gleichzeitige Einnahme von anderen Medikamenten oder Rauchen soll bei mangelnder Wirkung des angewendeten Antidepressivums angedacht werden, zum Beispiel bei Duloxetin und Rauchen. Die Auswahl des Antidepressivums sollte individuell nach der vom Patienten berichte- ten aktuellen Symptomatik, aber auch mit Bedacht auf das Nebenwirkungsprofil der jeweiligen Substanz erfolgen. Empfeh- lungen bezüglich der medikamentösen Therapie von depressiven Patienten kann man im Konsensus Statement der Öster- reichischen Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie und Biologische Psychiatrie finden: www.oegpb.at.
Psychiatrische Rehabilitation
Das Ziel einer Rehabilitation ist, den Genesungsprozess des Patienten zu fördern, mit dem Ziel, eine rasche Wie- derherstellung der Gesundheit des Patienten erreichen zu können, damit eine erneute Teilnahme des Patienten am alltäglichen und beruflichen Leben ohne körperliche oder seelische Beeinträchtigung möglich ist. Depressive Zustände führen zu einer Reduktion der Lebensqualität mit Einschränkung der Arbeitsfähigkeit und sogar mögli- chem Ausfall der betroffenen Patienten aus länger bestehenden beruflichen bzw. sozialen Netzwerken. Auch nach einer ambulanten oder stationären psychiatrischen Akuttherapie haben viele Patienten Schwierigkeiten, sich erneut sozial und beruflich zu integrieren. Lange Krankenstände, bis zur Erwerbsunfähigkeit, sind die Folgen. Die psychiatrische Rehabilitation sollte dem entgegenwirken.
In Österreich bestehe derzeit die Möglichkeit, eine psychiatrische Rehabilitation im stationären sowie im ambulan- ten Setting zu absolvieren. Die erste stationäre psychiatrische Rehabilitationseinrichtung ging im Jahr 2002 in Bad Hall (Zentrum für psychosoziale Gesundheit Sonnenpark Bad Hall) in Betrieb. 2010 wurde erstmalig eine ambu- lante Rehabilitationseinrichtung in Leopoldau, Wien, eröffnet (Zentrum für seelische Gesundheit (ZfsG) LEOpol- dau). BBRZMed hat anschließend weitere ambulante Zentren in Linz und Wien eröffnet (ZfsG MULDEnstraße, Linz; ZfsG SIMmering, Wien). Obwohl mittlerweile mehrere Zentren für stationäre oder ambulante Rehabilitation von verschiedenen Anbietern zur Verfügung stehen, werden die ambulanten Einrichtungen nur in Ballungszentren (Graz, Linz, Salzburg, Wien, Wiener Neustadt) angeboten.
Bei der psychiatrischen Rehabilitation unterscheidet man weiters zwischen Phase-II- und Phase-III-Rehabilitation. Die Phase II kann sowohl stationär als auch ambulant absolviert werden und umfasst derzeit eine Therapie im Ausmaß von 142 Stunden, verteilt über einen Zeitraum von sechs Wochen. Die Phase-III-Rehabilitation kann nur nach erfolgreicher Absolvierung einer Phase-II-Rehabilitation beantragt und wahrgenommen werden. Diese wird nur ambulant angeboten und hat die weitere Förderung des Genesungsprozesses, besonders im Rahmen einer erneuten Integration des Patienten in seinem gewohnten sozialen und beruflichen Umfeld, zum Ziel. Eine Phase- III-Rehabilitation hat derzeit ein Ausmaß von 100 Therapiestunden und kann maximal ein Jahr dauern. Die Teilnah- me an einer Phase-III-Rehabilitation bedingt keine Krankenstandsmeldung und der Patient kann diese mit der Teil- nahme an weiteren beruflichen Maßnahmen oder mit der erneuten Aufnahme seiner Arbeitstätigkeit kombinieren.
Für eine erfolgreiche Teilnahme des Patienten in einer psychiatrischen Rehabilitation soll der Patient über eine ge- wisse körperliche und psychische Stabilität verfügen. Da mehrere Therapieangebote in Gruppen abgehalten wer- den, ist zusätzlich eine Gruppenfähigkeit des Patienten essenziell. Vorerfahrungen in Psychotherapie sind nicht notwendig, können aber die Genesung des Patienten weiter fördern.
Ambulante Rehabilitation hat den Vorteil, dass der Patient sein gewohntes Umfeld nicht verlassen muss. Dies er- leichtert dem Patienten auch die Planung von weiteren Therapien nach Absolvierung des Rehabilitationsprogram- mes. Betreuungspflichten können während einer ambulanten Rehabilitation wahrgenommen werden und ermögli- chen somit die Teilnahme an einer Rehabilitation einer Gruppe von Personen, welche früher davon ausgeschlos- sen wurden. Stationäre Rehabilitation ist vorteilhaft für Patienten, bei denen ein Milieuwechsel indiziert ist. Auch im Falle einer Überforderung durch eine tägliche Anreise und Abreise zur Rehabilitationseinrichtung oder durch die Bewältigung von Therapieprogramm und Alltagsaufgaben wäre ein stationäres Setting zu bevorzugen.
In einer Rehabilitationseinrichtung arbeiten mehreren Professionen miteinander, um die bereits am Anfang der Re- habilitation gesetzten Ziele gemeinsam mit dem Patienten erreichen zu können. Diese multiprofessionelle interdis- ziplinäre Arbeit wird vom zuständigen Mediziner beobachtet und koordiniert.
Das Therapieprogramm besteht bei allen Zentren aus verschiedenen Therapiemodulen aus den verschiedenen Therapierichtungen. Ein personalisiertes Therapieprogramm wird in Zusammenarbeit mit dem Patienten im Rah- men der ersten Tage in der Rehabilitation erstellt. Folgende Berufsgruppen und Therapiemodule sind im Rahmen einer psychiatrischen Rehabilitation möglich:
• Ergotherapie: Ziel der Ergotherapie ist es, den Patienten bei der erneuten Durchführung von für sie bedeutungs- vollen Handlungen/Betätigungen behilflich zu sein. Diese können aus den Bereichen Selbstversorgung, Produkti- vität/Arbeit oder Freizeit/Erholung kommen. Dadurch wird den Patienten eine erneute aktive Teilhabe im Alltag, Freizeit und Beruf, ermöglicht. Im Rahmen der Therapie werden verschiedene Materialien benutzt, welche kreativ von dem Patienten eingesetzt werden sollen, unter anderem Holz, Ton, Speckstein, Farben oder ein Seidentuch.
• Medizin: Die Mediziner koordinieren die Therapien des Patienten und überprüfen den Therapieerfolg. Falls indi- ziert, kann eine bestehende medikamentöse Einstellung adaptiert werden sowie bei medikationsfreien Patienten eine medikamentöse Therapie neu begonnen werden.
• Pflege: Die Pflege unterstützt die Mediziner bei ihrer Tätigkeit, zum Beispiel bei Blutdruck- oder Blutzuckermes- sungen. Zusätzlich berät sie aktiv die teilnehmenden Patienten zu relevanten Gesundheitsthemen und unterstützt diese während ihrer Teilnahme an der Rehabilitation.
• Physiotherapie: Ziel bei den Angeboten der Physiotherapie ist es, die Bewegungs- und Funktionsfähigkeit des menschlichen Körpers wiederherzustellen, zu verbessern oder aufrechtzuerhalten. Wesentliches Element in der psychiatrischen Rehabilitation ist das Wiederfinden von Freude an Bewegung. Angebote können auf die Kräfti- gung der Muskulatur, die Erhöhung der körperlichen Ausdauer oder die Verbesserung der Bewegungskoordinati- on zielen.
• Psychologie: Obwohl bereits vor der Teilnahme an einer Rehabilitation eine Diagnosestellung erfolgt sein muss, kann man im Rahmen der Rehabilitation weitere spezifische psychologische Testungen veranlassen, welche auch zu einer Anpassung der Diagnose des Patienten führen können. Einzelgespräche, aber auch die Einsetzung von psychologischen Trainingsprogrammen zur Förderung der Kognition – zum Beispiel kognitives Training – oder Entspannung – zum Beispiel Biofeedback – runden die Arbeit der Psychologie ab.
• Psychotherapie: Während der Rehabilitation nehmen die Patienten an Gruppentherapien und Einzeltherapie teil. Je nach Zentrum werden verschiedene Gruppentherapien angeboten. In den Zentren des BBRZMed werden in den Gruppentherapie-Angeboten Verhaltenstherapie-basierende Manuale eingesetzt. Diese beinhalten psycho- edukative Elemente, aber auch Interventionen zur Förderung von Achtsamkeit oder sozialen Kompetenzen des Patienten.
• Sozialarbeit: Die Arbeit der Sozialarbeiter zielt auf die Stärkung, Wiederherstellung und Sicherung der Autono- mie der Patienten ab. Informationen zum geltenden Sozialrecht, aber auch Unterstützung bei der Planung des er- neuten beruflichen Einstieges, sind möglich. Zusätzlich wird Hilfe bei der Anmeldung/Wahrnehmung von weiteren fördernden Sozialangeboten angeboten.
• Weitere Berufsgruppen, unter anderen Sportwissenschaftler, Kunsttherapeuten, Musiktherapeuten: Zusätzlich kann, je nach Einrichtung, eine Reihe von zusätzlichen Therapien angeboten werden, wie zum Beispiel Musikthe- rapie, Kunsttherapie oder Entspannungsyoga.
Fazit
Psychiatrische Rehabilitation kann wesentlich zur Förderung der Genesung von depressiven Patienten beitragen. Diese kann, je nach Klinik, von einer erneut beginnenden Teilnahme des Patienten im täglichen sozialen Leben bis zur Erlangung der Berufsfähigkeit reichen. Wichtig ist jedoch, dass Depressionen rechtzeitig erkannt und vor der Teilnahme an einer Rehabilitation adäquat therapiert werden. ■