MEDIZIN | Ernährung 

Portionsgrößen – ein gewichtiger Faktor

Die Größen der Portionen bei Mahlzeiten sind über die vergangenen Jahrzehnte deutlich gewachsen. Das be- einflusst die Kalorienaufnahme und spielt eine wesentliche Rolle für die Prävalenz von Übergewicht und Adi- positas. Eine Trendumkehr ist notwendig.

AUTOR:

Univ. Prof. Dr. Jürgen König

Department für Ernährungswissenschaften, Bereich „Spezielle Humanernährung“,

Universität Wien

www.univie.ac.at


Ob bei Frühstück, Mittagessen oder Abendessen – jeder Mensch trifft tagtäglich eine Vielzahl an Essentscheidungen. Den Großteil davon unbewusst. Dabei beein- flussen zahlreiche Faktoren, was und wie viel wir zu uns nehmen. Neben Alter, Stress und Sport spielen auch Teller- und Besteckgröße sowie die Größen der Por- tionen eine Rolle. Letztere sind im Laufe der vergangenen 50 Jahre sowohl bei ver- packten Lebensmitteln als auch beim Speisenangebot des Außer-Haus-Konsums kontinuierlich gestiegen. So hat sich beispielsweise in den USA das Angebot an

größeren Portionen bei bestimmen Produkten in den Supermärkten seit 1970 etwa verzehnfacht. Darüber hinaus ist die Oberfläche der Speiseteller seit 1960 um rund ein Drittel größer geworden. Die Portionsangaben in Rezeptbüchern haben ebenfalls zugelegt.


Wahrnehmungsänderung

Problematisch an dieser Entwicklung ist dabei nicht die Existenz großer Portionen an sich, sondern die Tatsache, dass die größeren Portionen rela- tiv schnell als neue „Norm“ und somit adäquate Verzehrmenge angesehen werden, um satt zu werden. Diese adaptierte und verzerrte Wahrneh- mung wird als „Portion Distortion“ bezeichnet. Durch sie kommt es nicht nur einmalig, sondern auch langfristig zu einer vermehrten Aufnahme von Nahrungsmitteln und damit von Kalorien. In der Wissenschaft hat sich für diese Neukalibrierung der Begriff „Portion Size Effect“ (PSE) etabliert. Be- kannt wurde dazu etwa eine Studie aus dem Jahr 2005, in der die Hälfte der Teilnehmenden unwissentlich Suppe aus sich selbst nachfüllenden Schüsseln aßen. Sie konsumierten schlussendlich 73 % mehr Suppe als diejenigen, die normale Schüsseln hatten und waren dennoch der Mei- nung, nicht mehr gegessen zu haben. Sie fühlten sich auch nicht satter als die übrigen Personen der Studie. Ähnliche Ergebnisse lieferte eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2014. Sie belegte, dass die Verdoppelung der Portionsgröße zu einer um 35 % höheren Verzehrmenge führt. Bei sämt- lichen Untersuchungen zeigt sich, dass der PSE unabhängig von Alter, soziodemografischen Merkmalen oder Informationsgrad bzw. Interesse an gesunder Ernährung ist. Über die dauerhaft erhöhte Kalorienaufnahme steigt in weiterer Folge das Risiko für Übergewicht und Adipositas. Die da- mit einhergehenden Begleiterscheinungen wie ein höherer sozialer, psychischer und körperlicher Druck belasten das Gesundheitssystem zusätz- lich. In seinem 2014 veröffentlichten Bericht „Overcoming Obesity: An Initial Economic Assessment“ schätzte das McKinsey Global Institute die durch Adipositas bedingten weltweiten Kosten auf etwa 2.000 Milliarden Dollar. Darüber hinaus prognostizierten die Autoren, dass bei einem gleichbleibenden Anstieg der Fallzahlen bereits im Jahr 2030 etwa die Hälfte aller Erwachsenen weltweit an Adipositas erkrankt sein wird.


Portionskontrolle als Lösung

Um dem komplexen Geschehen der Entwicklung einer so multifaktoriellen Krankheit wie Adipositas wirksam gegenzusteuern, ist es erforderlich, die soziale Norm wieder Richtung kleinere Portionsgrößen zu verschieben. Man spricht dabei von Portionskontrolle. Wissenschaft und Behörden sind sich darüber einig, wie wichtig diese bei der Reduzierung der Kalorienaufnahme ist. Das McKinsey Global Institute befand Portionskontrolle sogar als effektiver im Kampf gegen Übergewicht und Adipositas als etwa die Einführung spezifischer Steuern auf Nährstoffe oder Lebensmittel, eingeschränkte Werbemaßnahmen oder Erweiterungen der Lebensmittelkennzeichnung. Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenar- beit und Entwicklung (OECD) verweist in ihrem 2019 veröffentlichten Bericht „The Heavy Burden of Obesity: The Economics of Prevention“ auf die Relevanz von kleineren Portionsgrößen. Zudem empfehlen auch die WHO-Regionalbüros für Europa, bei der Zubereitung von Speisen zu Hause auf die Portionsgrößen zu achten und diese gegebenenfalls zu verkleinern. Eine Empfehlung, die vor dem Hintergrund von vermehrtem Homeoffice und nach wie vor sinkender körperlicher Aktivität und Bewegung ebenso hohe Aktualität hat.


Hand als Maß

Doch wie groß ist nun eine ideale Portion? Ganz trivial ist diese Frage nicht. Wie viel Energie ein Mensch pro Tag benötigt, ist schließlich individuell verschieden. Das hängt unter anderem von Alter, Geschlecht, Größe, Gewicht und Aktivitätslevel ab. Es gibt jedoch ein paar Richtwerte, um Portio- nen besser einzuschätzen und damit in der Regel zu reduzieren: Als Orientierung bietet sich die eigene Hand an, weil sie im Laufe des Lebens proportional mitwächst (siehe Illustration).


Downsizing fördern

Auch die Gebindegröße beeinflusst die Portionskontrolle. Hier ist es sinnvoll, Großpackungen aufzuteilen oder zu kleineren Gebinden zu greifen. Wird beispielsweise eine 250-ml-Dose eines zuckergesüßten Getränks anstatt der 500-ml-Flasche getrunken, werden nur halb so viele Kalorien aufgenommen. Und dem bewussten Genussmoment tut das keinen Abbruch. Schließlich ist das Genusserlebnis nicht mengengebunden. Vielmehr zählen Achtsamkeit, Konzentration und Zeit neben zeitweiliger Askese zu den wesentlichen Eckpfeilern des Genießens. Genuss und Völlerei gehen nicht konform. Positiv ist zudem, dass der Portion Size Effect nicht nur in Richtung größerer, sondern auch hin zu kleineren Portionen eintritt. Die Ex- position gegenüber kleineren Portionsgrößen setzt demnach einen Rekalibrierungsmechanismus in Gang, der sich ebenfalls nachhaltig auf die Auswahl und die Aufnahme von Lebensmitteln bzw. Kalorien auswirkt.

Vor dem Hintergrund einer zunehmend mehrgewichtigen und adipösen Weltbevölkerung ist es aus gesundheitspolitischer Sicht daher dringend

erforderlich, verstärkt Maßnahmen zur Förderung kleinerer Porti- onsgrößen zu ergreifen. Damit soll es den Menschen erleichtert werden, ihre Kalorienzufuhr besser zu kontrollieren und idealer- weise nachhaltig zu reduzieren. Die wissenschaftliche Evidenz für einen positiven Einfluss derartiger Maßnahmen ist jedenfalls gegeben. Es gilt daher, die Trendumkehr bei Portionsgrößen weiter voranzutreiben und kleinere Portionen wieder zur Norma- lität zu machen.

FOTOS: PHILIPP SCHÖNAUER, ADOBE STOCK/MARTINA, GRAFIK: QUELLE EUFIC

f.eh im Dialog „Portion Size Matters: Reden wir über Portionsgrößen“

16. Mai 2023, 10–15 Uhr

Hybridveranstaltung: Wien & online

Details zum Programm und Anmeldung: www.forum-ernaehrung.at/dialog-2023

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Literatur:

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