PRAXIS I Wahlarzt

Woher kommt der

Wahlarztboom wirklich?

FotoS: adobe stock/ Jeanette Dietl

Schnellere Termine, längere Patientengespräche, die Möglichkeit, eine langfristige Beziehung zum Arzt aufzu- bauen – das sind für Patienten die häufigsten Kriterien beim Arztbesuch tiefer in die Geldtasche zu greifen. Doch was motiviert Ärzte, auf einen Kassenvertrag zu verzichten?

Eine aktuelle Masterarbeit aus dem Fachbereich Integriertes Versorgungsmanagement an der Fachhochschule Burgenland hat das Thema zumin- dest für ein Bundesland genauer unter die Lupe genommen. Neben einer Literaturstudie wurde eine quantitative und qualitative Untersuchung durchgeführt, die belegt, dass auch im Burgenland der Trend zum Wahlarzt ungebrochen anhält. „Das Gesundheitswesen hat eine Kapazitätsgren- ze erreicht und das ist auch im niedergelassenen Versorgungsbereich und vor allem im vertragsärztlichen Bereich spürbar. Sowohl Vertragsärzte als auch Spitalsambulanzen sind überlastet, was in Folge die Tendenz zum Wahlarzt unterstützt“, bringt es die Autorin der Masterarbeit, Janine Hendler, BA, auf den Punkt.


Ambulante Versorgung im Burgenland

Das Burgenland verfügt über rund 600 niedergelassene Ärzte. Etwa die Hälfte davon sind Wahlärzte. Eine Ausnahme ist der Bezirk Eisenstadt, hier ist die Zahl der Wahlärzte mittlerweile doppelt so hoch wie die der Kassenärzte. Zur Entlastung der Spitalsambulanzen – aber keineswegs als Er- satz der Hausarztordination – wurde unter anderem eine Akutordination im Krankenhaus Oberwart und im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Eisenstadt eingerichtet. Patienten haben die Möglichkeit, Montag bis Freitag von 17 Uhr bis 22 Uhr im Spital einen Allgemeinmediziner aufzusu- chen. Personen ohne Überweisung eines niedergelassenen Arztes werden der Akutordination zugewiesen und erstbehandelt. Die Patienten können dann im Krankenhaus weitergeleitet werden oder zu einem Facharzt verwiesen werden. Von 22 Uhr bis 7 Uhr stehen Telefonärzte sowie die Ret- tung zur Verfügung.

„Der Großteil der Burgenländer ist mit der Gesundheitsversorgung zufrieden. Einzig der Fachärztemangel und eine spürbare Zweiklassenmedizin in Bezug auf Wartezeiten werden immer wieder kritisiert. Mithilfe einer besseren Organisation, optimierten Abläufen sowie kostenlosen Vorbereitungs- kursen für angehende Mediziner versucht man dem vorhergesagten Fachärztemangel vorzubeugen und die burgenländische Gesundheitsversor- gung sowie die Zufriedenheit der Einwohner aufrechtzuerhalten oder zu verbessern“, beschreibt Hendler aktuelle Strategien.


Befragung burgenländischer Patienten

Mit Hilfe eines Fragebogens, der über soziale Netzwerke verbreitet und mit einer quantitativen Befragung ergänzt wurde, sammelte Hendler aussa- gekräftige Ergebnisse über die Arztwahl seitens der Patienten in ihrem Bundesland. Innerhalb des Befragungszeitraums von zwei Monaten haben 207 Personen an der Befragung teilgenommen, davon hatten 197 ihren Wohnsitz auch im Burgenland. Über 90 % der Teilnehmer waren bereits bei einem Wahlarzt in Behandlung. Der am häufigsten aufgesuchte Wahlarztbereich war die Gynäkologie, gefolgt von Zahnmedizin und

Dermatologie sowie Innere Medizin. 26 % der Befragten gaben an, auch zu einem Allgemeinmediziner im Wahlarztsystem zu gehen. Die Gründe für die Entscheidung beantworteten die Patienten mit schneller Terminvereinbarung (94 %), Empfehlung

(86 %), hohem Einfühlungsvermögen (83 %) sowie kürzeren Wartezeiten vor Ort (81 %). Etwa die Hälfte der Pateinten, die einen Wahlarzt im Bur- genland aufsuchen, verfügen über keine Zusatzversicherung. „Die Zahlungsbereitschaft hinsichtlich einer wahlärztlichen Behandlung liegt für 60 % der Befragten zwischen 61 Euro und 150 Euro“, ergänzt Hendler den finanziellen Aspekt. Die Auswertung der Daten zeigt, dass der Großteil der Be- fragten unter 30 Jahren nicht bereit dazu ist, mehr als 100 Euro für eine wahlärztliche Behandlung zu bezahlen. Hingegen gibt der Großteil der Be- fragten über 50 Jahre an, für einen Betrag von bis zu 200 Euro für eine wahlärztliche Behandlung aufzukommen.

„Am häufigsten suchen Patienten zwischen 40 und 49 Jahren einen Wahlarzt auf. Deutliche Unterschiede ortet die Forscherin in Bezug auf die Be- weggründe: „Während bei den unter 39-Jährigen eher die schnellere Terminvereinbarung im Fokus steht, legen die Befragten ab 40 Jahren in erster Linie Wert auf das Einfühlungsvermögen des Arztes. In Hinblick auf den Bildungsstand der Befragten zeigt sich, dass der Großteil derer, die nie in wahlärztlicher Behandlung standen, den Pflichtschul- oder Lehrabschluss als höchsten Bildungsabschluss angaben.


Was burgenländische Wahlärzte denken

Einig sind sich die befragten Ärzte, dass das Gesundheitswesen an eine Kapazitätsgrenze gelangt ist. Die Gründe, als Wahlarzt zu ordinieren, fass- ten die befragten Ärzte wie folgt zusammen: Patientenanforderungen, rechtliche Vorgaben, Verdienstchance und die Work-Life-Balance. Verträge

mit Krankenkassen gelten zunehmend als unattraktiv, da das Entgelt für viele in keiner Relation zum Arbeitsdruck steht.

Jene Befragten, die bereits als Vertragsarzt tätig waren, betonten, dass sich in ihrer neuen Rolle als Wahlarzt vor allem die Beziehung zum Patienten verändert habe. Alle befragten Ärzte wollen im Zuge ihrer Behandlung den Patienten in den Mittelpunkt stellen, eine Beziehung mit ihnen aufbauen und eine qualitativ hochwertige Behandlung gewährleisten. Dazu ist mehr Zeit erforderlich, die es im Vertragsarzt-System nicht gäbe. Eine partizipative Entscheidungsfindung wird zunehmend von Ärz- ten und Patienten gewünscht – ein Umstand, der im Wahlarztsektor einfacher zu realisieren ist.


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Quelle: Das Gesundheitswesen im Wandel – Gründe für die Wahlarztkonzentration im Burgenland, Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades „MSc“. Studiengang „Integriertes Versorgungsmanagement“, Janine Hendler, BA, FH Burgenland, 2018