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MEDIZINPRODUKTE  | Orthopädie 

Stoßwellentherapie in der Orthopädie

2020 ist ein Jahr der Jubiläen im Feld der Stoßwellentherapie.

Am 8. Februar 1980 – vor 40 Jahren – fand die erste klinische Nieren- steinzertrümmerung als extrakorporale Lithotrypsie (ESWL) im Klinikum Großhadern in München statt. Im Jahr 1995 – vor nunmehr 25 Jahren – wurde die deutschsprachige internationale Gesellschaft für extrakorpora- le Stoßwellentherapie DIGEST e.V. geboren.


Anerkannter Standard

Die extrakorporale Stoßwellenlithotripsie hat sich aufgrund ihrer Nichtin- vasivität und geringer Nebenwirkungen in der Urologie innerhalb kürzes- ter Zeit durchgesetzt und ist heute anerkannter Standard zur Behand- lung der Urolithiasis. Anfang der 80er-Jahre zeigte sich, bei der Untersu- chung möglicher Nebenwirkungen bei Beschuss von Knochen, dass Stoßwellen einen positiven Effekt auf die Knochenheilung haben. Basie- rend auf diesen Ergebnissen wurde zehn Jahre später die extrakorporale

Stoßwellentherapie (ESWT) zur Behandlung von Pseudoarthrosen erfolgreich eingesetzt. Inzwischen ist sie im orthopädischen Bereich nicht nur bei der Kalkschulter, dem Fersensporn oder dem Tennisellenbogen etabliert, sondern findet auch bei neueren Indikationen ihren Stellenwert. Durch die rasante Entwicklung und aufgrund des breiten therapeutischen Fensters bieten sich in- zwischen vielfältige Anwendungsmöglichkeiten.


Physikalische Grundlagen

In der medizinischen Anwendung sind Stoßwellen definiert als akustische Impulse mit charakteristischem Verlauf über die Zeit. Einer nur wenige Nanosekunden dauernden Anstiegszeit auf Drücke bis 100MPa folgt ein nur Mikrosekunden dauernder Abfall auf Normaldruck. Anschließend erfolgt eine Phase mit Zuganteil, um dann wieder auf Normaldruck auszuklingen. Eine medizini- sche Therapie mit Stoßwellen besteht aus mehreren Hundert bis einigen Tausend solcher Schallereignisse, die bis zu achtmal pro Sekunde (8 Hz) abgegeben werden.

Zur Erzeugung von Stoßwellen werden verschiedene Methoden verwendet. Im Wesentlichen sind derzeit drei verschiedene Er- zeugungsprinzipien im Einsatz, das elektrohydraulische, das elektromagnetische und das piezoelektrische Erzeugungsprinzip.


Physiologische Grundlagen

Die extrakorporal erzeugten Stoßwellen ermöglichen verschiedene klinische Anwendungen, die vor allem auf den physiologi- schen Effekten der Stoßwellentherapie basieren. Ausgiebige Grundlagenforschung konnte zeigen, dass sich das anfänglich an- genommene mechanische Wirkmodell der Stoßwelle mit Verursachung von Mikroläsionen in der Zielregion nicht als zutreffend erwies. Vielmehr handelt es sich um eine biologische Antwort des Gewebes, ohne Schäden zu verursachen. Hierzu zählt nicht nur eine Permeabilitätsänderung der Zellemembran, sondern durch eine Aktivierung der Mitochondrien auch eine Steigerung der ATP-Synthese. Weitere positive Effekte, die der ESWT zuzuschreiben sind, sind die Ausschwemmung von Substanz P, die Freisetzung von NO und Wachstumsfaktoren sowie ein bakterizider und entzündungshemmender Effekt. Auch die Angio- und Vaskulogenese spielen neben der Beeinflussung der Migration und Differenzierung von Stammzellen eine wichtige Rolle. Somit kommt es zu einer Regeneration des betroffenen Gewebes.


Orthopädische Indikationen

Grundsätzlich wird bei der ESWT eine radiale von einer fokussierten Stoßwelle unterschieden. Die radiale Stoßwelle gleicht eher einer Druckwelle mit nur geringer Eindringtiefe und bietet sich somit für Weichteilindikationen an, wohingegen sich die fokussier- te Stoßwelle durch besonders kurze Schallimpulse von sehr hoher Energie auszeichnet und somit zielgerichtet auf einen be- stimmten Punkt angewandt werden kann. Therapien in Knorpel- oder Knochennähe ist somit die Domäne der fokussierten ESWT. Für viele Indikationen bietet sich eine Kombination aus beiden Verfahren an. Zu den bekannten Indikationen gehören neben der Fasciitis plantaris und dem Fersensporn die radiale und ulnare Epicondylitis, das Impingementsyndrom der Schulter, die Tendi- nosis calcarea, Pseudoarthrosen sowie die Achillodynie. Weitere Einsatzmöglichkeiten bestehen beim Jumper’s Knee, dem Tibi- akantensyndrom, der Bursitis trochanterica sowie bei therapieresistenten myofaszialen Schmerzsyndromen im Rückenbereich.

Peripher die Orthopädie streifende Indikationen und teilweise noch experimentell sind der Einsatz bei Wundheilungsstörungen, chronisch offenen Wunden, peripheren Nervenläsionen und Cellulite. Bei jeglicher Anwendung der Stoßwellentherapie wäre für den Patienten ein multimodales therapeutisches Konzept wünschenswert. Dies bedeutet, aus einer Kombination von begleiten- den Maßnahmen wie prp (platelet rich plasma), Akupunktur, Manualmedizin, Physiotherapie und weiteren anwenderspezifischen Möglichkeiten eine individuelle Therapiestrategie für den Patienten zu erarbeiten.

Bei korrekter Indikationsstellung und Ausführung zeichnet sich die ESWT als Therapie ohne bisher bekannte schwerwiegende Nebenwirkungen aus. Zeitlich begrenzte Nebenwirkungen, die meist in Form von behandlungsbedingten Schmerzen, oberfläch- lichen Hautreaktionen, Hämatom- oder Petechienbildung auftreten, können durch fachgerechte Anwendung reduziert werden.