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Rund 42.000 Menschen erkranken in Österreich jährlich an Krebs1. Die Überle- bensrate konnte in den letzten Jahren durch moderne Behandlungskonzepte und Medikamente bei vielen Krebsarten deutlich verbessert werden. Allerdings bleiben die Therapien bei Krebs trotz des medizinischen Fortschritts in vielen Fällen körperlich und psychisch sehr anstrengend. Die Betroffenen leiden oft noch lange nach der Primärtherapie an Nebenwirkungen wie etwa Schmerzen.
Durch die rasche Entwicklung neuer Therapiemodalitäten hat sich die Behand- lungsperspektive für viele onkologische und hämatologische Erkrankungen im letzten Jahrzehnt erheblich verbessert. Neben einer größtmöglichen Effektivität
stellt das Hauptziel einer modernen onkologischen Therapie zunehmend auch den Erhalt oder die Wiederherstellung einer möglichst guten Le- bensqualität während der Therapie und in der Phase der onkologischen Nachsorge dar.
Zielgerichtete und individualisierte Therapien
Strahlentherapie, Chirurgie und auch die onkologische Systemtherapie haben sich in den letzten Jahren rasant entwickelt: Moderne Technik und interdisziplinäre Zusammenarbeit ermöglichen eine immer genauere und schonendere Anwendung der Strahlentherapie. Im Bereich der chirurgi- schen Onkologie gewinnt die Roboter-assistierte Operation immer mehr an Bedeutung, wie etwa bei Prostatakrebs oder Enddarmkrebs. Durch den Einsatz von zielgerichteten oralen Therapien und Verwendung von sogenannten Immuntherapien wurde die Systemtherapie revolutioniert – die klassische Chemotherapie tritt indikationsabhängig zunehmend in den Hintergrund.
Die Effektivität einer onkologischen Behandlung lässt sich mit den modernen Therapien merklich steigern. Zum Teil gelingt es, weiter fortgeschritte- ne Krankheitsstadien zu chronifizieren. Aber auch diese Therapien bringen – wenn auch andere – Nebenwirkungen und Langzeitfolgen für die be- troffenen Patienten mit sich, die ihre Lebensqualität negativ beeinflussen können.
Schonen oder bewegen?
Obwohl schon Anfang der 1980er erste Publikationen erschienen2, war man noch bis Ende der 1990er-Jahre weitläufig der Meinung, bei Krebser- krankungen – vor allem unter laufender Therapie – auf Bewegung zu verzichten und körperliche Ruhe sowie Schonung zu empfehlen. Mittlerweile zeigen aber zahlreiche wissenschaftliche Studienergebnisse, vor allem bei den häufigen onkologischen Entitäten wie dem Mammakarzinom oder dem Prostatakarzinom, dass Bewegung günstige Auswirkungen hat3. Weiters konnte gezeigt werden, dass körperliche Aktivität und Bewegung auch bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen, unter spezifischen Therapien wie Strahlen- oder Systemtherapie sowie im Rahmen der onkologi- schen Palliativmedizin möglich sind und die Belastungen der Erkrankung und der Therapie erleichtern können. Mittlerweile wurden von mehreren Fachgesellschaften klare Empfehlungen und Leitlinien zur Bewegungstherapie und Sport bei Krebspatienten verfasst, zum Beispiel ACSM Exer- cise Guidelines for Cancer Survivors4. Bewegung und Sport spielen also eine zentrale Rolle als wirksame Methode zur raschen Erholung in der Rehabilitation von Krebserkrankungen, zur schnelleren Wiederherstellung der körperlichen Leistungsfähigkeit und zur Steigerung der Lebensquali- tät nach abgeschlossener Krebstherapie. Neben Minderung von krankheits- und therapiebedingten Symptomen lässt sich auch das psychische Befinden durch gezielte Bewegungstherapie verbessern.
Bewegung in der onkologischen Nachsorge
Viele Krebspatienten werden in der Phase der onkologischen Nachsorge von ihrem Hausarzt oder dem niedergelassenen Facharzt betreut. Neben chronischer Erschöpfung (Fatigue-Syndrom) zählen auch Schmerzen zu den häufigen Langzeitfolgen einer Krebstherapie. Es kann sich unter an- derem um polyneuropathische Schmerzen, Narbenschmerzen oder postoperative Schmerzen handeln. Mit Bewegung unterschiedlichster Form kann – neben dem medikamentösen Schmerzmanagement – zur Verbesserung der Lebensqualität dieser Betroffenen beigetragen werden.
Im Kontext einer interdisziplinären onkologischen Bewegungstherapie ist es essenziell, die Art und Intensität einer Bewegungstherapie immer an die individuelle Krankheits- und Therapiesituation anzupassen. Spezielle Situationen wie zum Beispiel eine Mitbeteiligung des knöchernen Skeletts im Rahmen einer onkologischen Erkrankung bedürfen eines besonderen Augenmerks, dürfen aber nicht zu einem therapeutischen Nihilismus füh- ren5. Auch das individuelle Schmerzempfinden des Betroffenen ist immer zu berücksichtigen.
Leiden Patienten zum Beispiel unter Schmerzen in Händen oder Füßen, weil durch eine Chemotherapie Nervenzellen geschädigt wurden und da- durch die Reizleitung nicht mehr korrekt funktioniert (Polyneuropathie), sollten in den betroffenen Bereichen so oft wie möglich und immer wieder verschiedenste Reize gesetzt werden. Das kann zum Beispiel das Greifen von kleinen Gegenständen mit den Zehen sein oder das Rollen eines Igelballs mit den Händen. Man kann aber zum Beispiel bei einer Bewegungseinheit auch barfuß über verschiedene Untergründe gehen. Bei Nar- benschmerzen ist das Ziel, durch Bewegung Zug und Druck zu erzeugen, um die Durchblutung zu fördern und das Gewebe weicher bzw. flexibler zu machen. Postoperative Schmerzen äußern sich sehr unterschiedlich: Das können Schmerzen bei Bewegung sein oder Verspannungen, die un- ter anderem auch Bewegungseinschränkungen verursachen. Leichte, individuell auf Patienten und Ursache abgestimmte Bewegung im geringen Bewegungsausmaß können hier gut unterstützen wie Dehnen, Gymnastik, Walking oder leichtes Krafttraining. Das sollte immer unter Beachtung der individuellen Schmerzgrenze erfolgen, die nicht überschritten werden soll. Auch psychische Belastungen können durch Bewegung, die etwa mit Angehörigen oder anderen Vertrauenspersonen gemeinsam ausgeübt wird, reduziert werden.
Onkologische Rehabilitation
Krebspatienten, die an Nebenwirkungen und Langzeitfolgen leiden, können auch von einer onkologischen Rehabilitation profitieren: Sie sollte fixer Bestandteil eines modernen onkologischen Gesamtbehandlungskonzepts sein, denn die Rehabilitation unterstützt die Patienten bei der Vorberei- tung auf die längerfristige Phase der Nachsorge. Sie bietet unter anderem einen optimalen Rahmen zur Vermittlung und Umsetzung einer patien- tengerechten Bewegungstherapie. Die Betroffenen werden einerseits umfassend mit Informationen versorgt, andererseits werden gesundheitsför- dernde Maßnahmen erlernt und Strategien zu deren langfristigen Umsetzung entwickelt. Die kontinuierliche Ausübung von neu Erlerntem oder während der Rehabilitation Trainiertem ist im Alltag wesentlich, denn ein gefestigter allgemeiner Gesundheitszustand bildet den Rahmen für eine zielführende onkologische Nachsorge. Die onkologische Rehabilitation kann von Patienten nach Abschluss der primären Krebsbehandlung oder unter Erhaltungstherapie in Anspruch genommen werden. Die Möglichkeit für eine onkologische Rehabilitation besteht auch in einer stabilen pallia- tiven Situation. Der Antrag kann gemeinsam mit dem behandelnden Hausarzt oder einem Facharzt gestellt werden.
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QUELLEN:
1) Österreichische Gesellschaft für Hämatologie & Medizinische Onkologie (OeGHO) und Österreichische Krebshilfe: Österreichischer Krebsreport 2021.
2) Schüle K 1983, Rehabilitation 22:36-39
3) Courneya et al. 2002, Exercise for Breast Cancer Survivors. The Physician and Sportsmedicine 30(8)
4) Campbell et al. 2019, Exercise Guidelines for Cancer Survivors: Consensus Statement from International Multidisciplinary Roundtable. Medicine & Science in Sports & Exercise 51(11):p 2375-2390
5) Crevenna R, Schmidinger M, Keilani M, Nuhr M, Fialka-Moser V, Zettinig G, Quittan M. Aerobic exercise for a patient suffering from metastatic bone disease. Support Care Cancer. 2003 Feb;11(2):120-2.