MEDIZIN | Schmerztherapie
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Schmerztherapie:
keine Maßnahme
ohne Kontrolle
Bei interdisziplinären therapeutischen Maßnahmen mit entsprechendem Augenmerk auf den Schmerz- verlauf sind Patienten gut aufgehoben.
AUTOR: Dr. Wolfgang Stelzer
Medizinische Leitung „Zentrum SchmerzLos“ Linz und Baden bei Wien, Arzt für Allgemeinmedizin, Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Wissenschaftliche Leitung „SchmerzLos Research“,
office@schmerzlos.cc,
www.zentrum-schmerzlos.at
Die Auseinandersetzung mit dem Schmerzphänomen und dessen Folgen ist vielfältig: Während der Akutschmerz vor allem Angst auslöst, führt der chronische Schmerz häufig zu Depressionen. Eine wenig ausreichende und zielführende Behandlung in der Akutphase stellt eine mögliche Ursa- che für die Chronifizierung dar.
Auch wenn Schmerzpatienten oft versichern, dass sie keine psychischen Probleme haben, ist der Zusammenhang zwischen Emotion, starkem Schmerzreiz und psychischer Veränderung unbedingt zu hinterfragen und zu beachten. Zu den möglichen Veränderungen im Rückenmark auf- grund von Starkschmerzen gibt es zahlreiche Studien, auch zu den Umwandlungen der Synapsen im Gehirn findet man entsprechende Evidenz. Im Falle eines akuten Schmerzes, zum Beispiel aufgrund einer Verletzung, kann die Synapseninformation Leben retten.
Bleibt diese Information jedoch zu lange bestehen oder erfolgt eine unzureichende Behandlung im Akutfall, bleiben Spuren im Nervensystem er- halten – das „Schmerzgedächtnis“.
Neuronale und synaptische Plastizität
Die neuronale Plastizität der beteiligten Zellen bedingt dann eine Falschmeldung beziehungsweise fehlerhafte Programmierung. Das heißt, es wird die Botschaft „Schmerz“ an das Gehirn gesendet, auch wenn kein akuter Schmerzauslöser mehr vorliegt. Dieser Zustand ist dann der Normalzu- stand. Verantwortlich für die Veränderungen im Nervensystem aufgrund von Starkschmerzreizen ist unter anderen das Glutamat, das in großen Mengen im Rückenmark freigesetzt wird. Die Botenstoffe, beziehungsweise deren verändertes Zusammenspiel, bewirken dann nicht nur eine kurz andauernde Erregung der Hinterhornneuronen, sondern möglicherweise langanhaltende Veränderungen.
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts waren die Zusammenhänge zwischen Gedächtnis und Lernen auf Zellebene bekannt. In enger Verbindung dazu steht die sogenannte Neuromodulation, welche dafür sorgt, dass sich das Nervensystem ständig an die organischen Gegebenheiten an- passt. Der Mechanismus dahinter ist im Gegensatz zur neuronalen Plastizität, welche Veränderungen mehrerer Nervenzellen im Verbund bewirkt, die synaptische Plastizität. Diese kommt auf der Ebene der Synapsen durch Langzeitpotenzierung zum Tragen. Die Entstehung eines Schmerzge- dächtnisses kann nicht verhindert werden. Präventiv kann nur bei vorhersehbaren Reizen vorgegangen werden. So wirkt zum Beispiel ausreichend Bewegung nachweislich als vorbeugende Maßnahme gegen Schmerzen.
Starkschmerz und Schmerzempfinden
Obwohl der Mensch grundsätzlich über sehr wirksame körpereigene Schmerzabwehrmechanismen verfügt, kann nicht jede Person gleich gut mit Schmerzen umgehen. Unerträgliche Schmerzen, sogenannte Vernichtungsschmerzen, müssen in erster Linie durch medikamentöse Maßnahmen behandelt werden. Vordergründig ist, dass die Ursache erkannt und behoben wird. Derart starke Schmerzen müssen umgehend diagnostiziert und behandelt werden. Schmerz ist ein medizinischer Notfall und die Therapie verdient keinen Aufschub. Analgetika und Coanalgetika kommen unter Observanz großzügig zum Einsatz, um negative Folgeschäden zu verhindern.
Eine Einflussnahme durch Wegdenken des Schmerzes ist in Abhängigkeit von der Symptomatik und den Ursachen möglich. Psychohygienemaß- nahmen wie autogenes Training, vermehrtes Augenmerk auf Achtsamkeit oder andere Entspannungstechniken können den Leidensdruck erheb- lich reduzieren.
Interventionelle Schmerztherapie
Kommen Personen mit bereits manifestem Schmerzgedächtnis zur Behandlung, ist die Le- bensqualität vielfach schon erheblich beeinträchtigt. Bei den Betroffenen ist meist keine al- leinige Schmerzursache zu finden, ein Umbau des Schmerzsystems hat bereits stattgefun- den. Die schmerzauslösenden und verstärkenden Faktoren sind multifaktoriell. Abhilfe kann durch Eingriffe in die Signaltransduktionswege erreicht werden. Zum Einsatz kommt im Rah- men von invasiven Methoden unter anderem das Radiofrequenzverfahren.
Die interventionelle Radiofrequenztherapie soll die erkrankten, überempfindlichen Nerven wieder in den Normalzustand bringen, sodass die Reizflut auf die Schmerzzentren im Gehirn beruhigt wird. Als Schmerzgeneratoren an der Lendenwirbelsäule wurden in den letzten Jah- ren vor allem die Facettengelenke, die Darmkreuzbeingelenke und die degenerativ verän- derte Bandscheibe identifiziert. Ziel der Behandlung ist eine raschere und bessere Erholung vom chronischen Schmerz, Fähigkeit der muskulären Aktivierung durch schmerzreduzierte
Bewegung und eine Reduktion der psychischen Langzeitfolgen wie Isolation und Depression.
Dabei kommen röntgengezielte Maßnahmen zur Schmerzdurchbrechung wie Verödung oder Infiltration zum Einsatz. Die Identifizierung und Be- handlung der erkrankten Nerven erfolgt dabei streng nach einem Algorithmus durch Testblockaden zur Identifizierung und Bestätigung der Dia- gnose des dann spezifischen Rückenschmerzes. Dieses Konzept ist nach wissenschaftlicher Evidenz von der SIS (Spine Intervention Society) be- legbar und gut ausgearbeitet. Die Strahlenbelastung ist dabei überaus gering und somit gesundheitlich völlig unbedenklich. Sowohl akute als auch chronische Schmerzen können auf diese Weise gezielt und nachhaltig behandelt werden – und das ohne gravierendes Nebenwirkungsprofil und große Risiken.
In Studien kann die Wirkung interventioneller Therapien über einen langen Zeitraum gut belegt werden. Dies führte zu einer Berücksichtigung der Radiofrequenztherapien in der Leitlinie Kreuzschmerz 2018. Hier wird das Radiofrequenzverfahren ausdrücklich genannt und eine Empfehlung da- für abgegeben. Die zum Einsatz kommenden Behandlungsverfahren sind sicher und bei richtiger Anwendung weitestgehend schmerzfrei. In vielen Fällen ist die Schmerztherapie eine empfehlenswerte Alternative zum operativen Eingriff.
Forschung und Zusammenarbeit
Neben laufender Fortbildung steht in der Schmerzmedizin auch die Forschung im Fokus. Nur so kann höchste Qualität in der Behandlung gewähr- leistet werden. Die Kernaussage unserer in Zusammenarbeit mit der Johannes-Kepler-Universität Linz im Jahr 2013 publizierten Studie zum Radio- frequenzverfahren lautete, dass bei sich bei 93 % aller behandelten Patienten bereits nach einmaliger Behandlung eine enorme Verbesserung der Lebensqualität ergab. Der Schmerzpegel auf einer Skala von eins bis zehn sank nach einer einmaligen Behandlung im Schnitt von acht auf zwei innerhalb der ersten sechs Monate, und auf vier nach bis zu zwanzig Monaten.
Der Erfolg aller Therapiemaßnahmen steht und fällt mit einer akribischen und kritischen Verlaufskontrolle des Schmerzgeschehens. Je eher die Zu- weisung zur interventionellen Therapie erfolgt, desto effektiver kann geholfen werden. Im interdisziplinären Management braucht der Patient einen Hauptansprechpartner, einen Lotsen, der die Einbindung verschiedener Fachrichtungen bündelt und den Patienten sicher durch den therapeuti- schen Prozess leitet.