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Kur & Gesundheitsvorsorge | Burn-out
Kur bei chronischer
Stressbelastung und Burn-out
Kuren sind geeignet, Entlastung und Erholung herbeizuführen und in Kombination
mit den entsprechenden psychologischen Interventionen zu einer nachhaltigen
Verbesserung des psychischen Befindens bei Burn-out und chronischem
psychosozialem Stress beizutragen.
Längsschnittbefragungen des deutschen Landesinstituts für Gesundheit und Arbeit des deut- schen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen belegen, dass die psychosoziale Arbeitsbelastung, etwa „hoher Zeitdruck“ oder „Überforderung durch die Arbeit“, in den letzten 25 Jahren zuge- nommen hat. Vergleichbare Zahlen liegen auf europäischer Ebene von Eurofound vor. Parallel kam es in Österreich und anderen europäischen Ländern zu einer deutlichen Zunahme von Krankenständen und vorzeitigen Erwerbsunfähigkeiten aufgrund psychischer Störungen. Psy- chische Störungen sind mittlerweile in Österreich die führende Diagnosegruppe für krankheits- bedingten vorzeitigen Ruhestand und haben diesbezüglich Erkrankungen des Bewegungsap- parates im Jahr 2010 abgelöst.
Mehr Arbeitsbelastung,
mehr Stress
Wenngleich es derzeit weder eine einheitliche, international anerkannte Burn-out-Definition gibt, noch Burn-out eine anerkannte medizinische Diagnose darstellt, so ist naheliegend, dass die Zunahme von Arbeitsausfällen aufgrund psychischer Störungen mit der Zunahme vor al- lem von arbeitsbedingten Stressbelastungen im Zusammenhang steht. Eine rezente Studie be- scheinigt etwa, dass das Risiko für eine Depression bei Personen, die überdauernd mehr als 55 Stunden pro Woche arbeiten, sich im Vergleich zu jenen, die 35 bis 40 Stunden arbeiten, mehr als verdoppelt. Auch wurde in Längsschnittstu-dien belegt, dass eine Zunahme von Ar- beitsbelastung mit einer Zunahme überdauernder Erschöpfung und Burn-out einhergeht. Burn-out kann dabei als krankheitswertiger Zustand chronischer Erschöpfung infolge von überdauernder Arbeitsbelastung angesehen werden, welcher vielfach mit somatoformen Be- schwerden, Depression, Angststörungen und Schlafstörungen einhergeht. Burn-out oder krankheitswertige chronische Erschöpfung ist nicht nur ein Zustandsbild, das die Arbeitsfähig- keit und Lebensqualität erheblich beeinträchtigt, sondern auch eine lange Genesungsdauer von Monaten bis Jahren nach sich zieht.
Aus klinischer Sicht stehen für die Behandlung von Burn-out bzw. einer chronischen Stressbe- lastung folgende Maßnahmen im Vordergrund: (a) die Entlastung von der Arbeit bzw. anderen Quellen chronischer Belastung, (b) eine angemessene Strukturierung des Alltags mit moderat körperlich aktivierenden sowie entspannungsfördernden Aktivitäten und (c) Psychoedukation zur Verbesserung der persönlichen Stressbewältigungs- und Erholungsfähigkeiten für eine dauerhafte Zustandsbesserung. Darüber hinaus tragen ein Ortswechsel sowie eine natürliche Umgebung zur Erholung bei.
Pause von der gewohnten Umgebung
Viele dieser Faktoren werden von einer klassischen Kur abgedeckt. Für einen Kuraufenthalt ist eine Unterbrechung der Arbeit durch Urlaub oder Krankenstand erforderlich. Es ist gut belegt, dass bei gesunden Personen eine Arbeitsunterbrechung durch einen Urlaub mit einer Vermin- derung der Erschöpfung und einer Steigerung des Wohlbefindens einhergeht. Obwohl diese Urlaubseffekte nur von kurzer Dauer sind und spätestens drei Wochen nach dem Urlaub der Vor-Urlaubs-Zustand wieder erreicht wird, ist die Unterbrechung der Belastung durch Urlaub oder Krankenstand eine wesentliche Voraussetzung für die Einleitung des Erholungsprozesses.
Die Kur bietet eine gute Tagesstruktur mit mehreren Behandlungen, zwischen denen idealer- weise ausreichend Zeit für das Nachwirken der Therapie und für Erholung besteht. Eine dem Zustandsbild des Patienten angemessene, weder über- noch unterfordernde Tagesstruktur ist einer Genesung von überdauernder Erschöpfung förderlich. Die meisten am Kurort durchge- führten Therapien haben neben ihrer spezifischen Wirkung auch eine unspezifische Entspan- nungswirkung. Dies ist bei Massagen gut belegt, aber auch bei Bädern, zum Beispiel bei
CO2- oder Moorbreibädern nachweisbar, etwa in einer Abnahme des Blutdruckes und der elektromyografischen Aktivität sowie in einer Zunahme der Herzfrequenzvariabilität und des Wohlbefindens. Entspannung ist ein wesentlicher Bestandteil der Behandlung von Störungsbil- dern, die mit psychosozialem Stress einhergehen, da Entspannung nicht nur zu einer körperli- chen Unterbrechung der Stressreaktion führt, sondern auch die gedankliche Weiterbeschäfti- gung mit den belastenden Inhalten eindämmt. Kuren beinhalten in der Regel auch Behandlun- gen, die ein körperliches Training bzw. körperliche Aktivierung umfassen. Es ist bekannt, dass ein moderates körperliches Ausdauertraining sowohl Erschöpfung als auch andere stressas- soziierte Beschwerden reduziert.
Abschalten fördert Erholung
Kuren gehen fast immer auch mit einem Ortswechsel und Aufenthalt in einer natürlichen Um- gebung einher. Der Ortswechsel ermöglicht es dem Betroffenen, leichter „auf andere Gedan- ken“ zu kommen und die kognitive Auseinandersetzung mit den Belastungen zu beenden. Ne- ben der realen Unterbrechung der Arbeit ist dieses gedankliche „Abschalten“ eine der we- sentlichen Voraussetzungen für Erholung. Die natürliche Umgebung, unter anderem durch den Kurpark bereitgestellt, fördert ebenfalls dieses gedankliche Abschalten, da natürliche Rei- ze auf unaufdringliche Art unsere Aufmerksamkeit binden. In einer klassischen, 1984 in Sci- ence veröffentlichten Studie konnte der Geograf Roger Ulrich zeigen, dass Patienten in Kran- kenzimmern mit Grünblick nach einem chirurgischen Eingriff schneller genesen als jene mit Blick auf eine Wand.
Diese angeführten Stärken der Kur in der Förderung der Erholung konnten wir in einer im Jahr 2010 veröffentlichten Studie untermauern. Bei berufstätigen Personen, die neben Beschwer- den des Stütz- und Bewegungsapparates zusätzlich Anzeichen eines Burn-outs hatten, zeigte sich, dass eine herkömmliche Bäderkur zu einer nachhaltigen, mindestens drei Monate andau- ernden Reduktion von Erschöpfung und Stresserleben sowie zu einer Verbesserung der sub- jektiven Schlafqualität beitrug (siehe Abbildung 1). Die Ergebnisse dieser Studie stehen im Einklang mit den Ergebnissen anderer Studien aus unserem Wirkungsbereich, die der dreiwö- chigen Kur, unabhängig von der vorliegenden Erkrankung des Kurpatienten, eine nachhaltige, positive Wirkung auf das Wohlbefinden bescheinigen.
Programme zum Stressmanagement
Eine aktuelle, im Deutschen Ärzteblatt 2016 (Heft 46) von Martina Stier-Jarmer et al veröffent- lichte Studie der Universität München zur „Wirksamkeit eines Programms zu Stressreduzierung und Burn-out-Prävention“ bestätigt und erweitert unsere Ergebnisse. In dieser Studie wurden 88 erwerbstätige Personen mit erhöhtem Stresserleben und erhöhter emotionaler Erschöpfung und damit einem erhöhten Burn-out-Risiko per Randomisierung einer dreiwöchigen Interventi- onsgruppe am Kurort oder einer Warteliste-Kontrollgruppe zugeteilt. Die Intervention galt als eine ambulante Vorsorgemaßnahme am Kurort im Sinne des deutschen Sozialgesetzbuches. Die Übernachtungs-, Verpflegungs- und Reisekosten wurden von den Studienteilnehmern ge- tragen, gleichzeitig wurde in der Regel für die Teilnahme Urlaub genommen. Von den ur- sprünglich 341 zur Studie Eingeladenen nahmen 109 (32 %) tatsächlich an der Studie teil.
Die Intervention beinhaltete Stressmanagement (10 x 2 Stunden in Gruppen von 8 bis 12 Teil- nehmern), Entspannungstraining (16 x 1 Stunde Yoga, Qigong und progressive Muskelent- spannung sowie 10 x 20 Minuten Achtsamkeitstraining), körperliche Aktivität (7 x 1 Stunde Rü- ckenschule, 7 x 1 Stunde Ausdauersport) sowie Mooranwendungen (7 x 20 Minuten Moorvoll- bad mit 42 ° Celsius gefolgt von einer 20-minütigen Ruhepause und anschließend 20-minüti- ger Massage). Das Stressmanagement-Programm beinhaltete Informationen zu Stress und Burn-out inklusive psychologischer und biologischer Prozesse, Informationen zu Stressma- nagement-Tools wie Aufgabenmanagement, Grenzen setzen, Erholung, Schlafhygiene etc. so- wie Gruppendiskussionen über persönliche Erfahrungen mit Stress und Möglichkeiten der Veränderung.
Die Interventionsgruppe erreichte am Interventionsende signifikante und große Verbesserun- gen bei allen untersuchten Variablen, die mit geringfügigen Abnahmen bis sechs Monate nach der Intervention erhalten blieben.
Dies beinhaltet im Speziellen das Stresserleben und die emotionale Erschöpfung sowie das psychische Wohlbefinden. Gleichzeitig kam es zu einer signifikanten und nachhaltigen Verrin- gerung der Häufigkeit und Intensität von Rückenschmerzen.
Die Studie weist darauf hin, dass Stressmanagement im Sinne einer Psychoedukationsgruppe sich gut in eine dreiwöchige Kur integrieren ließe und zu nachhaltigen, über sechs Monate an- dauernden Verbesserungen des Wohlbefindens und der Erschöpfung führt. Dies unterstreicht die Eignung der Kur als Maßnahme der Burn-out-Prävention von jedenfalls bereits gefährdeten Individuen. Die Kur ist geeignet, eine Entlastung und Erholung herbeizuführen und in Kombi- nation mit den entsprechenden psychologischen Interventionen wie etwa Stressmanagement zu einer nachhaltigen Verbesserung des psychischen Befindens bei Burn-out und chroni- schem psychosozialem Stress beizutragen. ■
AUTOR:
Mag. Dr. Gerhard Blasche
Abteilung Umwelthygiene, Zentrum für Public Health,
Medizinischen Universität Wien
gerhard.blasche@
meduniwien..ac.at, www.blasche.at