MEDIZIN Pharmakogenetik 

Der Weg zur individualisierten Therapie

Die Wirksamkeit von Arzneimitteln hängt neben dem Wirkungsmechanismus und der verabreichten Dosis auch von der Verstoffwechslung des Medikamentes im Körper ab.

Wie diese individuelle Verstoffwechslung von Arzneimitteln funktioniert, das heißt, wie der Zusammenhang individueller Gen-variationen mit der Wirksamkeit bei einem ganz bestimmten Patienten aussieht, ist Gegenstand der sogenannten Pharmakogenetik bzw. Pharmakogenomik. Durch Genanalysen lässt sich nicht nur feststellen ob, sondern auch wie gut und in welcher Dosierung ein Wirkstoff bei einem Patienten ankommt und sein therapeutisches Potenzial ausspielt. Auch unerwünschte Nebenwirkungen können so vorab identifiziert werden. Medikamente werden in der Regel über den Verdauungstrakt resorbiert und gelangen zum Abbau in die Leber. Dazwischen liegt ein komplexes Enzymsystem, das die Reakti- on auf ein Arzneimittel erheblich beeinflussen kann und dazu führt, dass gleiche Medikamente bei unterschiedlichen Patienten auch unterschied- lich wirken. Die ersten wissenschaftlichen Arbeiten dazu entstanden bereits in den späten 70er-Jahren in Zwillingsversuchen. Heute wird unter dem Stichwort der personalisierten Medizin versucht, die Unter- bzw. Überdosierungen von Wirkstoffen und damit einen fehlenden Therapieerfolg oder unerwünschte Wirkungen zu vermeiden.


Gentest gibt Hinweis auf Wirkung

Im Rahmen eines pharmakogenetischen Tests werden einzelne Basenpaare analysiert und auf genetische Mutationen kontrolliert. Diese SNPs (Ein- zel-Nukleotid-Polymorphismen) kommen bei etwa 90 % aller Menschen vor und zeigen, in welcher Geschwindigkeit Wirkstoffe metabolisiert wer- den. Danach werden vier Phänotypen unterschieden:

• Jene, bei denen keine Aktivität des Enzyms vorliegt (Poor Metabolizer) und daher die Gefahr groß ist, dass die Wirkstoffkonzentration im Blut zu hoch ist.

• Jene, bei denen eine reduzierte Aktivität des Enzyms vorliegt (Intermediate Metabolizer). Eine Anpassung der Dosis der Medikamente sollte vor- genommen werden.

• Jene, bei denen eine durchschnittliche Aktivität des Enzyms vorliegt (Normal Metabolizer) und die die Dosis entsprechend der Zulassung verord- net bekommen können.

• Jene, bei denen eine sehr hohe Aktivität des Enzyms vorliegt (Ultra-Rapid Metabolizer). Durch die geringe Wirkstoffkonzentration im Blut kann ein Medikament seine Wirkung nicht völlig entfalten.


Evidenz überzeugt

Dass sich eine Genanalyse bezahlt macht, belegen mittlerweile mehrere Studien. So gibt es Belege, dass beispielsweise bei Berücksichtigung des Phänotyps gegenüber Vergleichsgruppen eine 30%ige Schmerzreduktion erreicht werden kann. Eine pharmakogenetisch angeleitete Therapie schafft rund 1,71-mal eher die Chance auf eine Verbesserung von Symptomen als herkömmliche Behandlungen. Bei der Verschreibung von 5-FU, einem Wirkstoff der zum Beispiel bei Krebserkrankungen zum Einsatz kommt, konnten unerwünschte Nebenwirkungen von 73 % auf 28 % reduziert werden. Und schließlich zeigen Daten aus der Psychiatrie, dass durch eine vorherige pharmakogenetische Analyse depressive Symptome in einer untersuchten Patientengruppe sogar um etwa die Hälfte reduziert werden konnten. Kosteneinsparungen ergeben sich direkt etwa durch Einsparun- gen bei Arzneimittel oder geringe Hospitalisierungsraten.


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Literatur beim Verfasser



Nachgefragt bei …



… Univ.-Prof. Dr. Markus Paulmichl, Facharzt für Physiologie und Pharmakologie, Leiter des Instituts für Personalisierte Medizin an der Privatklinik Maria Hilf, Chair des Arbeitskreises für Pharmako- genomik der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA

foto: ZVG

Wann kommen Genprofile bei der Verschreibung von Medikamenten zum Einsatz?

Wenn der verschreibende Arzt vermutet, dass eine genetische Komponente die die Wirkung beeinflussen könnte. Ich beschäftige mich seit rund zehn Jahren mit dem Thema und habe keinen Patienten gesehen, bei dem alle Enzyme, die zum Abbau von Arzneimittelwirkstoffen verantwortlich sind, „normal“ funktionieren. Das heißt: Verschreibt man ohne Genanalyse, hat der Patient auf jeden Fall schlechte Karten, denn entweder wirkt es sehr oft nicht oder es schießt über das Ziel hinaus.


Wo werden Genprofile erstellt?

Die Erstellung von Genprofilen bieten mittlerweile viele Labore an, aber leider nicht immer in der notwendigen Güte. Viele unterschätzen die Komplexi- tät dieser Untersuchung. Das hat auch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA zum Anlass genommen, eine Richtlinie zu erstellen. Hier sind die Guidelines zusammengefasst, die zu erfüllen sind, damit auch aussagekräftige Daten für den Befund vorliegen. Hier knüpft auch gleich der nächste Punkt an: Viele Labore geben technische Befunde ab, wie etwa „CYP2C9*3“, die dem Behandler aber wenig helfen. Wichtig ist es, die entdeckten Mu- tationen in Phänotypen umzuwandeln, die Auskunft darüber geben, wie metabolisiert wird. Und schließlich muss dann im letzten Schritt auch noch eine weitere Übersetzung folgen: Wie hoch muss die Dosierung konkret aussehen. Zudem fließen bei der Dosierung weitere Parameter mit ein, wie etwa Alter, Größe, Gewicht oder Ähnliches. Dafür gibt es auch bereits Programme, die diese Berechnungen vornehmen.


Bei welchen Medikamenten oder Indikationen sind Genomanalysen indiziert?

Es gibt rund 100 Medikamente, bei denen die EMA oder FDA verpflichtend eine pharmakologische Untersuchung vorschreiben. Die Indikationen fin- den sich im Bereich Kardiologie, Onkologie, Schmerztherapie bis hin zur Neurologie und Psychiatrie. So ist es etwa bei Antidepressiva anzuraten, denn Patienten wird damit der Leidensweg erspart, möglicherweise auf mehrere Medikamente ein- und wieder umgestellt zu werden. Durch die Gen- analyse liegt innerhalb weniger Tage ein Ergebnis vor und man kann sofort mit dem richtigen Medikament die Therapie starten.

Bei etwa 35 % aller Medikamente, die in Österreich zugelassen sind, gibt es in der Fachinformation Warnhinweise, die eine pharmakogenetische Un- tersuchung anraten, da andernfalls die Patienten einem Risiko ausgesetzt werden. Sinn hat die Analyse auch dann, wenn Patienten eine Reihe von Medikamenten einnehmen, die zu Wechselwirkungen führen können.


Bezahlt die Kasse diese Leistung?

Dort, wo eine Genanalyse vorgeschrieben ist, handelt es sich in der Regel um eine Kassenleistung. Die klinische und ökonomische Evidenz ist mittler- weile mit zahlreichen Studien belegt. Es gibt beispielsweise Daten aus den USA, die umgerechnet auf österreichische Verhältnisse belegen, dass durchgängige pharmakogenetische Untersuchungen pro Jahr eine Ersparnis von 600 Millionen Euro für das Gesundheitswesen ergeben würden. Es bleibt also zu hoffen, dass die Kassen das Einsparungspotenzial sehen und die Kosten auch bei anderen Medikationen übernehmen würden. Viel wichtiger ist aber, dass man Patienten oft einen langen Leidensweg und viele Nebenwirkungen erspart.


Wenn wir in einem Jahr das Interview noch einmal führen würden, was soll sich verändert haben?

Die größte Barriere sind derzeit die Kosten. Einige private Versicherer haben das Angebot bereits im Programm, von einer flächendeckenden Versor- gung sind wir aber weit weg. Daher wünsche ich mir eine unkomplizierte Kostenübernahme vonseiten der Versicherungsträger. Immerhin spart man damit auch kostspielige Behandlungen und schafft die Grundlage für eine sichere und wirksame Versorgung.