Long-Covid & Psyche | Traumafolgestörungen
fotoS: Stefanie J. Steindl, istockphoto/ VioletaStoimenova
Long-Covid-Betroffene können neben einer brei- ten Palette aus körperlichen und
neurokognitiven Beschwerden auch unter psy- chischen Herausforderungen oder
Traumafolgestörungen leiden.
Psychische Belastungen durch vermehrten Stress im Alltag oder einen nicht ge- sundheitsförderlichen Lebensstil können bei manchen Betroffenen auch schon vor einer Coronavirus-Infektion ein Thema gewesen sein. Psychische Probleme können aber auch vorübergehend durch Belastungen in Zusammenhang mit der Covid-19- Erkrankung ausgelöst werden oder sich als Folge derselben manifestieren.
Betroffene berichten von psychischen Belastungen, etwa durch innere Unruhe, Ner- vosität, depressive Stimmung, Frustration, Reizbarkeit, seelische Erschöpfung, Schuldgefühle, jemanden angesteckt haben zu können, Stigmatisierung, Gedanken- kreisen, Schlafstörungen, das Gefühl der Entfremdung von anderen Menschen so- wie durch Ängste. Bei den Ängsten stehen vor allem die Progredienzangst und die
Rezidivangst häufig im Vordergrund.
Außerdem können unabhängig von der Schwere der Covid-19-Erkrankung posttraumatische Stresssymptome durch einschneidende, traumatische Erfahrungen in Zusammenhang mit der Viruserkrankung und deren Verlauf entstehen, zum Beispiel durch einen intensivmedizinischen Aufenthalt und damit verbundenen belastenden Erlebnissen wie der Auseinandersetzung mit dem Tod, Nahtoderfahrungen, Albträumen, in Zusammenhang mit invasiv erlebten Behandlungsmethoden, der Aufwachphase aus dem künstlichen Tiefschlaf sowie starken Schmerzen, Atemnoterfahrungen, dem Gefühl von Hilflosigkeit, des Alleinseins in der Quarantäne, oder dem Gefühl der Unsicherheit, wie die Krankheit verlaufen wird, bzw. des Kontrollverlustes.
Reaktionen auf das Trauma
Selbst bei vergleichsweise leichten Covid-Verläufen kann sich eine Traumafolgestörung bei Betroffenen entwickeln. Dazu zählen neben der akuten Belastungsreaktion auch Angststörungen, Depressionen, somatoforme Störungen sowie die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Oft las- sen die Selbstheilungskräfte akute Belastungsreaktionen wieder abklingen, wenn nicht, können die Folgen der PTBS weitreichend sein: in Form von Wiedererleben des Ereignisses durch lebendige Erinnerungen, Flashbacks, Albträumen begleitet von starken, überwältigenden Emotionen so- wie Körpersensationen oder in Form von somatischen Symptomen wie Herzrasen, Übelkeit, Schwitzen, Schmerzen sowie Druckgefühl am Brust- korb. Betroffene berichten auch von Schlafstörungen, erhöhter Reizbarkeit und Schreckhaftigkeit bis hin zum Vermeiden von Aktivitäten oder Situa- tionen bzw. Gedanken und Gefühlen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen würden. Sie ziehen sich sozial zurück, werden gleichgültig ge- genüber anderen Menschen oder der Umgebung, erleben ein vermindertes Interesse an Aktivitäten und haben manchmal große Angst vor einer Re-Infektion. Das traumatherapeutische Aufarbeiten der belastenden Erinnerungen nach Covid-19 sollte daher dringend erfolgen, um Traumafol- gestörungen zu verhindern.
Folgen beeinflussen die Psyche
Zudem können fortwährende Long-Covid-Symptome auftreten. Diese umfassen eine breite Palette an unterschiedlichen Einschränkungen durch Lungen-/Herzschädigungen, thromboembolische Schädigungen, gastrointestinale Probleme, Konzentrationsstörungen und vor allem das postvira- le Fatigue-Syndrom. Vielleicht wurden auch Konflikte in sozialen Beziehungen oder ein bedrohlicher Jobverlust erlebt. All diese Themen können psychische Beschwerden hervorrufen oder bereits vorher bestandene Belastungen verstärken oder reaktivieren. Auch die allgemeine Ange- spanntheit, Gereiztheit oder Dysphorie durch die globale Pandemiesituation erhöhen zusätzlich die Vulnerabilität für psychische Belastungen. In einer Studie des Gallup-Instituts im Auftrag der SFU war es im Mai 2020 noch rund ein Viertel der Österreicher über dem 18.Lebensjahr, die anga- ben, durch die Krise psychisch belastet zu sein, im März 2021 war es bereits ein Drittel.
Postvirale Symptomatik: Fatigue
Das häufigste Symptom als Folge einer Infektion mit Covid-19 stellt, neben diversen Schmerzen und neurokognitiven Problemen, eine ausgepräg- te postvirale Fatigue dar, eine unüberwindliche, anhaltende meist ganzkörperliche Erschöpfung, die von einer typischen Begleiterscheinung der Post Exertional Malaise (PEM), einer Verschlechterung des Zustandes nach körperlicher, geistiger oder emotionaler Überanstrengung, begleitet sein kann. Sie kann sich ebenso auf allen Ebenen des Befindens – körperlich, geistig, emotional – zeigen. Viele postvirale Fatigue-Betroffene be- richten, weniger leistungsfähig zu sein als vor der Erkrankung. Für Bewegungen als auch für Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistungen haben Betroffene das Gefühl, deutlich mehr Energie aufbringen zu müssen. Es besteht dabei ein Missverhältnis zwischen Belastung und dem anschlie- ßenden Erschöpfungszustand, sodass bereits geringe körperliche Anstrengungen wie etwa die Durchführung der morgendlichen Hygiene oder die Zubereitung einer Mahlzeit zu erheblicher Erschöpfung führen kann. Schlaf führt dabei nicht zu Regeneration. Fatigue kann zu starken Ein- schränkungen im alltäglichen Leben und in sozialen Kontakten führen und stellt eine Herausforderung in der Lebensgestaltung dar. Durch die ge- ringere Belastbarkeit und schnelle Ermüdung kann eine Rückkehr an den Arbeitsplatz gefährdet sein. Ebenso kann ein verändertes Leistungsni- veau auch psychische Probleme wie Ängste und Depressionen als Folge auftreten lassen. Eine postvirale Fatigue sollte aber nicht vorschnell mit einer Depression verwechselt werden.
Multimodale Rehabilitation
Das aktuelle Wissen zu den Long- Covid-Folgen ist noch relativ jung und gleichzeitig erlangen wir jeden Tag dank der Forschung und Wissen- schaft neue Erkenntnisse und können daraus Schlüsse in Bezug auf Behandlung, Therapie und Rehabilitation ziehen. Im Team aus verschiedenen Berufsgruppen wie Medizin, Psychologie, Physiotherapie, Trainingstherapie, Diätologie, Ergotherapie oder Logopädie wird versucht, Antworten auf die Fragen zur hilfreichen Behandlung zu finden. Eine ambulante pneumologische Rehabilitation ist zum Beispiel in der Therme Wien Med der Va- med möglich. Ein wichtiger Therapieansatz in der multimodalen Long-Covid-Rehabilitation ist die strikte Schonung, das „Pacing“ von Aktivität – dies bedeutet eine sehr behutsame Steigerung von Aktivität in einem achtsamen Rahmen, indem man körperliche und kognitive Grenzen erkennt und diese nicht überschreitet. Bei Überschreitung der eigenen Energiegrenzen riskiert der Patient eine Verschlechterung des Befindens am Folge- tag, die Post Exertional Malaise. Dafür ist es nötig, dass Betroffene die Belastungsintoleranz durch Zeichen der Be-, Über- und Entlastung erken-
nen lernen, ausreichende Pausen im Tagesverlauf einplanen, um immer wieder rechtzeitig zu stoppen. Dem geht eine gute Selbstbeobachtung und Körperwahrnehmung voraus, aber auch das Arbeiten an eigenen Leistungsansprüchen sowie eine Akzeptanz für die momenta- ne Situation und eine gute Kenntnis des eigenen Energiehaushaltes und der täglichen Kräfte und Ressourcen und ein zielgerichteter Einsatz derselben für das Wesentliche.
Belastungsgrenzen erkennen
Eine Besserung des Befindens erleben Betroffene häufig als frustrierend langsam. Die stärksten Strategien in der Krankheitsbewältigung setzen daher im Wahrnehmen eigener Be- lastungsgrenzen, dem Einteilen des persönlichen, täglichen Energiehaushaltes sowie an der Akzeptanz der momentanen Situation an. Personen, die sich damit sehr schwertun, haben die Möglichkeit, diesen Prozess ihrer Krankheitsverarbeitung klinisch- psychologisch/psycho- therapeutisch begleiten zu lassen. Dabei geht es nicht darum, zu resignieren, sondern durch die Akzeptanz der Realität Kontrolle über die Erkrankung durch Strategien des guten Haus- haltens mit Energieressourcen zu erhalten. Dazu gehört es auch, keine Energien „auf der Strecke“ zu lassen, im Haushalt und Alltag Unterstützung anzunehmen, damit die verfügbare Energie für die Dinge verwendet werden kann, die das Leben mit Lebensqualität füllen.
Unterstützung für die Psyche
Viele unter Fatigue leidende Personen gehen regelmäßig über ihre Energiereserven hinaus, aus Angst, sonst nicht mehr vollwertiges Mit- glied der Gesellschaft zu sein. Dieses Verhalten verschlimmert allerdings die Müdigkeit und de- ren Folgen. Betroffene riskieren damit langfristig das, was sie durch ihr Verhalten eigentlich ver- hindern wollten: massive Einbußen in ihrer Le- bensqualität und soziale Isolation. In der Suche nach ärztlicher Unterstützung berichten viele Betroffene von einem Gefühl, mit ihrer Erkran- kung alleine zu sein und von ihrem Hausarzt nicht verstanden zu werden. Sätze wie „Nie- mand kennt sich mit meinem Leiden aus“ oder „Mein Arzt nimmt meine Symptome nicht ernst“ sind in Selbsthilfegruppen bei Long-Covid-Er- krankten sehr häufig Thema. Ohne Aufklärung führt dieser Zustand bei Betroffenen häufig dazu, dass die Menschen an sich selbst und ihren Symptomen zu zweifeln beginnen, ihren Körperwahrnehmungen nicht mehr richtig ver- trauen und oft lange warten, bevor sie einen neuerlichen Anlauf nehmen, um sich Hilfe zu suchen. Verständnislosigkeit aus dem sozialen Umfeld, Stigmatisierung, Ablehnung, sozialer Rückzug und eine hohe Erwartungshaltung aus
dem sozialen Umfeld oder auch an sich selbst, wieder als „der oder die Alte“ in das frühere Leben zurückzukehren, können eine starke Belastung darstellen und depressive Episoden sowie Schlafstörungen verursachen und die Fatigue verstärken. Ein Teufelskreis der Erschöpfung kann entste- hen. Hier kann klinisch-psychologische/psychotherapeutische Behandlung hilfreich zur Seite stehen. Interventionen der kognitiven Verhaltensthe- rapie können in Ergänzung zur multimodalen Behandlung bei der Krankheitsverarbeitung von Long-Covid dabei unterstützen die Fähigkeit zu ver- bessern, das eigene Verhalten besser an die Erkrankung anzupassen.