MEDIZIN | Kooperation PhysiotherapeutInnen

Gemeinsam zu mehr Gesundheit

FOTOS: PRIVAT, ISTOCKPHOTO/ ALEX RATHS

Die Nachfrage nach Physiotherapie ist ungebro- chen hoch. Zum Wohle der Patienten sollte nicht nur das Verordnungsverhalten, sondern eine effizi- entere Art und Weise der Kooperation im Vorder- grund stehen. Moderne Formen des Miteinanders bieten vielfältige Chancen.

AUTOR: Dr. Erwin Rebhandl

Arzt für Allgemeinmedizin (Geriatrie), Univ. Lektor für AM an der med. Fakultät der JKU Linz

Präsident von AM plus – Initiative für Allgemeinmedi- zin und Gesundheit,

erwin.rebhandl@hausarztmedizinplus.at,

www.hausarztmedizinplus.at

„Ohne Bewegung ist alles nichts“. In Abwandlung des Zitates von Arthur Schopenhauer stellt sich die Wichtigkeit der Physiotherapie dar. Physio- therapeutische Behandlungen dienen der Prophylaxe, Therapie und Rehabilitation. Eine Überweisung durch den Haus- oder Facharzt erfolgt über- wiegend bei Erkrankungen des Bewegungsapparates. Auch bei muskulären Dysbalancen, Koordinations- und Haltungsproblemen, Beckenboden- insuffizienz, Skoliosen und neurologischen Beeinträchtigungen ist eine Zusammenarbeit mit den Physiotherapeuten gefragt. Insbesondere im Rah- men von Primärversorgungseinheiten wurde das Miteinander auf neue Beine gestellt.


Primärversorgungseinheiten (PVE)

Definitionsgemäß versteht man unter Primärversorgung die erste und direkte Kontaktstelle, wenn es um gesundheitliche Probleme geht. Diese kann sowohl in Einzel- und Gruppenpraxen von Allgemeinmedizinern und in Primärversorgungseinheiten entweder zentral unter einem Dach oder dezentral in einem Netzwerk erfolgen. Den Physiotherapeuten kommt dabei im Rahmen des Primärversorgungsteams eine wichtige Rolle zu. Sie bringen an fachlichen und überfachlichen Kompetenzen – neben den bereits oben erwähnten Kernaufgaben – unter anderen auch die Thematik der Gesundheitsförderung und Gesundheitskompetenz, des Screenings, der Kommunikation mit den Patienten sowie Qualitätssicherung additiv mit ein. Eine PVE mit gemeinsamer Organisationsstruktur hat für die Zusammenarbeit wesentliche Vorteile: Die Wege sind aufgrund der räumlichen Nähe nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Ärzte sehr kurze. Die direkte Zusammenarbeit ermöglicht eine rasche Interaktion. Man kennt und trifft einander in regelmäßigen Teammeetings, wo gezielt Fallbesprechungen im Sinne eines Case-Managements stattfinden können.


Digitaler Austausch als Pluspunkt

Ein wesentlicher Pluspunkt einer räumlich zusammenhängenden PVE ist die Nutzung des gemeinsamen EDV-Systems. Die Befunde der zugewie- senen Patienten sind dadurch jederzeit einsehbar. Moderne technische Systeme ermöglichen dies durch Freigabe beziehungsweise Sperrung ein- zelner Inhalte. Auf diese Art und Weise gelingt der digitale Austausch, ohne dass der Datenschutz verletzt wird.

In räumlich getrennten PVE-Netzwerken kann die Online-Befundübermittlung ebenfalls stattfinden, sofern sich der jeweilige Partner an einer über- greifenden EDV-Lösung beteiligt. Diese dezentralen Formen der PVE sind überwiegend als Verein organisiert. Ist der Physiotherapeut beim Verein angestellt, sind die Vorteile im Prinzip ident mit jenen einer PVE unter einem Dach. Bei selbständiger Tätigkeit liegt es im Ermessen des Therapeu- ten, eine gute Form der organisatorischen und technischen Vernetzung zu finden. Gelegentlich findet auch ein intraprofessioneller Austausch zwi- schen den Physiotherapeuten statt, die in einer Primärversorgungseinheit arbeiten. Selbstverständlich setzen die Befundübermittlung und Einsicht- nahme das Einverständnis der Patienten voraus. Aufgrund des Eigeninteresses der zu behandelnden Person stellt dies aber meist kein Problem dar.


Gezielte Kommunikation

Im Sinne einer zielorientierten Behandlung der Patienten ist eine genaue Angabe des Problems auf der Zuweisung erforderlich und wünschens- wert. „Physiotherapie erbeten“ erschwert oftmals dem Therapeuten eine effiziente Vorgehensweise. Unabhängig von der Organisationsform erstellt der behandelnde Arzt basierend auf sorgfältiger (Funktions-)Untersuchung sowie gegebenenfalls ergänzender Diagnostik mittels Röntgen, CT, MRT oder Labor ein vorläufiges Beratungsergebnis oder eine endgültige Diagnose. Diese sollte er auch den Kooperationspartnern entsprechend ausführlich bekannt geben.

Eine gute und strukturierte Kommunikation ist auch im Falle einer Einzel- oder Gruppenpraxis das Um und Auf der erfolgreichen Zusammenarbeit. Eine Einzelordination muss nicht zwingend schlechtere Karten in der Umsetzung der Kooperation haben, die Erfahrungswerte zeigen aber deutli- che Vorteile moderner Vernetzungsformen. Was beispielsweise die Wartezeiten auf Termine betrifft, spricht auch hier die Organisationsform der PVE eine deutliche Sprache: Während im Kassenbereich mit Wartezeiten von bis zu drei Monaten zu rechnen ist, halten PVE-Partner ein bis zwei Akuttermine automatisch für die Patienten frei. Termine sind, wenn notwendig, kurzfristig verfügbar. Wie bereits erwähnt, kann die Terminabstim- mung aber auch bei einer Einzelpraxis reibungslos funktionieren und hängt von der internen Organisationsstruktur und Vernetzung der Praxisinha- ber ab.

Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang auch noch der Punkt der Rückmeldung seitens der Physiotherapeuten an den Zuweiser. Hier wäre mehr Information eine wesentliche Bereicherung für den jeweiligen weiteren Behandlungsverlauf. Physiotherapeuten sollten die Rückmeldung nicht als lästige Pflichtübung ansehen – in vielen Fällen erfolgt nach Überweisung keinerlei Austausch mehr. Nach Behandlungsabschluss, insbesonde- re bei Nichterreichung von Therapiezielen, sollte eine Information an die zuweisende Ärzte über die durchgeführte Therapie und das Ergebnis ver- pflichtend erfolgen. In Falle eine Nichtbesserung müssen die Diagnose und Indikation überprüft werden und gegebenfalls neue Behandlungswege überlegt werden.


Red Flags beachten

Bei den Red Flags handelt es sich um Hinweise auf mögliche gefährliche Krankheitszustände, die eine sofortige ärztliche Abklärung erfordern. Im Falle einer physiotherapeutischen Behandlung eines Rückenschmerzes könnte es sich zum Beispiel um uncharakteristische  Veränderung der Schmerzqualität, Verdacht auf Fraktur oder ausgeprägten Bandscheibenvorfall, Anzeichen einer Entzündung oder Infektion sowie Gewichtsverlust handeln. Bei solchen Red Flags sollte die Physiotherapeuten umgehend eine Rücküberweisung  an die zuweisenden Ärzte mit entsprechendem Bericht veranlassen.

Vice versa erfordert die Behandlung des Patienten durch die Ärzte in der Akutphase einer Erkrankung, zum Beispiel im Falle einer Spondylarthritis, andere Maßnahmen als Physiotherapie. Die Red Flags gelten für beide Beteiligten und auch hier ist Kommunikation das Erfolgsrezept. Ebenfalls als Red Flag ist mangelnde gegenseitige Wertschätzung anzusehen. Sowohl Ärzte als auch Physiotherapeuten müssen sich bewusst sein, dass die Genesung des Patienten als großes Ganzes zu sehen ist. Die besten Erfolge werden dann erzielt, wenn alle Berufsgruppen zusammenarbeiten und auch der Erkrankte aktiv miteinbezogen wird. Durch gute Zusammenarbeit entwickelt sich ein Vertrauensverhältnis und es kann mehr Hei- lungserfolg und Gesundheit für die Patienten erzielt werden.

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Quellen:

www.physioaustria.at/primaerversorgung

link.springer.com/article/10.1007/s15006-017-9581-x