Praxis | Telemedizin

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Digitalisierung

braucht Vertrauen

Vertrauen ist ein zentraler Wert – nicht nur im Privat- und Geschäftsleben,

sondern auch im Gesundheitswesen.

Vertrauen ist einer der wichtigsten Schlüsselfaktoren in der Beziehung zwischen Arzt und Patienten oder Pflegendem und dem Patienten. Digitale Lösungen, die für Ärzte als Entscheidungsunterstützung implementiert werden, erweitern daher die Arzt-Pati- enten-Beziehung um eine neue Dimension: Der Arzt muss diesen digitalen Lösungen vertrauen.


Entscheidungsraum erweitern

„Wenn etwa ein entscheidungsunterstützendes System vorhersagt, dass für einen Patienten die hohe Gefahr eines Delirs besteht, dann erhält der Arzt die entsprechende Warnung. Es stellt sich aber die Frage, kann er diese Warnung für sich nachvollziehen und vertraut er diesem System so sehr, dass er diese Warnung dann auch in seine Entscheidung einbezieht“, sagt Prof. Dipl.-Ing. Dr. Werner Leodolter, CIO der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft m.b.H., Lehrbeauftragter und Buchautor. Wenn der Arzt zum Beispiel zusätzlich die Möglichkeit hat, die Indizien für diese Warnung in Form der klinischen Parameter dieses Patien- ten schnell einzusehen, dann unterstützt das seine klinische Argumentation und Schlussfolgerung – sein „Clinical Reasoning“. Das braucht Erfahrung, Training und Information des medizinisch-pflegerischen Personals, aber auch die technische Komponen- te. „Wenn die digitalen Systeme so programmiert sind, dass den Ärzten die Möglichkeit gegeben wird, ihr Clinical Reasoning dar- auf aufzubauen, dann werden sie Vertrauen aufbauen und die Systeme gerne nutzen“, ist Leodolter überzeugt.


Verantwortung muss bleiben

Auf keinen Fall darf das System aber die menschliche Verantwortung herausnehmen, denn der Arzt sieht den Patienten, spricht mit ihm, schätzt die Situation mit all seiner Erfahrung ein und entscheidet dann – unterstützt mit den Informationen aus dem Sys- tem. Der Patient wiederum will seinen Arzt als Ansprechpartner und keine Maschine. „Daher liegt es wohl in unser aller Interesse, wenn die Letztverantwortung beim Menschen bleibt“, sagt der Experte. Wie weit es im österreichischen Gesundheitssystem mit diesem Vertrauen in die digitalen Entscheidungsunterstützungssysteme her ist, hat wohl in den letzten Wochen einen Wendepunkt erfahren. Was bis Jahresbeginn kaum vorstellbar war, ist über Nacht zwangsläufig zur Realität geworden und wird die Digitalisie- rung in der Medizin weiter vorantreiben. E-Rezepte oder Telefonvisiten sind erst der Anfang und haben sich in Krisenzeiten mehr als bewährt. Was davon bleibt, werden die nächsten Monate zeigen.

„In den letzten Jahren haben wir uns sehr stark auf den elektronischen Impfpass fokussiert. Aber das ist ein langfristiges und auf-

wendiges Projekt und der Nutzen ist erst da, wenn wir den Impfstatus möglichst vollständig erfasst haben. Wir sollten prioritär alle Gesundheitsdiensteanbieter anschließen und sie rascher veranlassen, dass sie ihre Informationen zum Patienten auch erfassen. Vertrauen und Nutzung werden dann hoch sein, wenn die möglichst vollständige und relevante Information im jeweiligen Behand- lungskontext auf Knopfdruck rasch und übersichtlich verfügbar ist“, sagt Leodolter.

Noch ist es nur bei einigen Pilotprojekten der Fall, dass ein Arzt mit Unterstützung von künstlicher Intelligenz (KI) seine Entschei- dungen trifft. Aber Anwendungen, wie etwa die KI-Plattform „Watson“ sind in der Pipeline und werden kommen. Wichtig ist, die Rechnung nicht ohne den Wirt zu machen, das heißt: Techniker und Data Scientists müssen mit Ärzten und Pflegepersonal ge- meinsam arbeiten.


rh