Gesundheitspolitik: | Telemedizin
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Zukunftsszenario: Online-Sprechstunde
Telemedizin ist aus dem heimischen Gesundheitswesen nicht mehr wegzudenken. Die größte Herausforderung dabei ist der rechtliche Rahmen, etwa bei Fernbehandlungen
"Wenn die Fernbehandlungen in
Österreich so wie in anderen Ländern kommen, stellen sie eine medizinische Leistung dar."
Univ.-Prof. MMag. Dr. Gottfried Haber, Vizedekan der Fakultät für Gesundheit und Medizin sowie Leiter des Departments für Wirtschaft und Gesundheit an der Donau-Universität Krems
Patienten, die sich nicht mehr mit Fieber oder Schmerzen aus dem Bett quälen und in vollen Wartezimmern warten müs- sen, sondern bequem in ihre Kissen gelehnt per Videochat oder Livestream mit dem Hausarzt die Behandlung bespre- chen können, sind in vielen Ländern bereits Alltag. In Österreich hingegen ist die Online-Sprechstunde längst nicht Usus, denn es gibt noch einige wichtige Hürden zu bewältigen. „Das Entscheidendste ist ein Rahmen, der für Rechtssicherheit sorgt und Ärzte aus unvertretbarer Haftung herausnimmt“, sagt Dr. Karl Forstner, Präsident der Salzburger Ärztekammer und Leiter des Referats Telemedizin in der Österreichischen Ärztekammer. Hierzulande ist die Behandlung nur durch den Kontakt vor Ort zulässig. „In Österreich gibt es keine speziellen gesetzlichen Regeln zur Fernbehandlung oder Televisitati- on“, erklärt Dr. Gerhard Aigner, Leiter der Sektion für Recht und Gesundheitlicher Verbraucherschutz im Bundesministe- rium für Gesundheit und Frauen. Im Ärztegesetz ist jedoch festgehalten, dass jede ärztliche Tätigkeit unmittelbar am Menschen oder mittelbar für den Menschen in die Ausübung des Arztberufs fällt. Behandelt der Arzt so einen Patienten, dann gilt natürlich eine Pflicht zu einem sorgfältigen Vorgehen und einer Behandlung nach aktuellen wissenschaftlichen Standards. „Man braucht den Kontakt vor Ort, man muss den Patienten nicht nur anschauen, sondern auch angreifen oder riechen können“, ist Forstner überzeugt. Letzten Endes muss der behandelnde Arzt immer individuell entscheiden, ob der persönliche Patientenkontakt erforderlich ist, meinen die Experten des Gesundheitsministeriums.
Technische Infrastruktur entscheidet
Eine weitere Hürde sieht Forstner in der technischen Infrastruktur. „Man braucht auf alle Fälle leistungsfähige Netze zur Übermittlung der enormen Datenmengen“, sagt der Mediziner. Gefeilt werden muss aber auch noch an den Schnittstel- len zwischen Ordinationssoftware und telemedizinischen Web-Applikationen, weiß Dr. Christoph Berdenich, Gründer und Geschäftsführer von MeinArztOnline. Derzeit müssten die Patienten wegen der fehlenden Schnittstellen dazwischen doppelt geführt werden. Seit etwas mehr als einem Jahr verbindet die Onlineplattform Mediziner und Patienten. Letztere können online Termine ausmachen, um Rezepte und Überweisungen anfragen oder strukturierte Fragen stellen. Grund- voraussetzung dafür ist, dass die Patienten zumindest einmal beim jeweiligen Arzt waren. Eines gibt es jedoch nicht: eine Ferndiagnose. „Wir sind kein Notfallsystem“, betont Berdenich. Derzeit sind ausschließlich Wahlärzte mit an Bord, ge- dacht ist die Plattform aber auch für niedergelassene Ärzte – wenn die Verrechnung mit der Krankenkasse geklärt ist.
Neue Modelle
„Die Verrechnungsmodelle halten mit der Telemedizin noch nicht mit, man muss erst welche dafür finden“, sagt dazu Univ.-Prof. MMag. Dr. Gottfried Haber, Vizedekan der Fakultät für Gesundheit und Medizin sowie Leiter des Departments für Wirtschaft und Gesundheit an der Donau-Universität Krems. Vorstellbar seien unter anderem pauschale oder fallbe- zogene Abrechnungsvarianten. Für Kastner ist jedenfalls eines klar: „Wenn die Fernbehandlungen in Österreich so wie in anderen Ländern kommen, stellen sie eine medizinische Leistung dar. Es wäre nicht einzusehen, dass Kassenpatienten diese Leistungen dann privat bezahlen sollten.“ Da die Telemedizin eine sehr breite Palette unterschiedlicher Leistungen abdecke, könnten pauschal keine Aussagen in Hinblick auf die Verrechnung getroffen werden, so Aigner. Es müsse im Einzelfall geprüft und anschließend entschieden werden, ob die betreffende Leistung aus öffentlichen Mitteln finanziert werden sollte – und wenn ja, in welchem Umfang. „Die Sozialversicherung prüft gerade, ob und wenn ja, welche Erweite- rungen es dazu im bestehenden Honorierungsmodell geben müsste“, erklärt Aigner.
"In Österreich gibt es keine speziellen
gesetzlichen Regeln zur Fernbehandlung
oder Televisitation."
Dr. Gerhard Aigner, Leiter der Sektion für Recht und
Gesundheitlicher Verbraucherschutz im Bundesministerium
für Gesundheit und Frauen
Zukunftsmusik
Daran, dass auch in Österreich Onlineordinationen in Zukunft zum Alltag gehören werden, besteht jedenfalls kein Zwei- fel. Immerhin bringen sie diverse Vorteile mit sich: So ist die medizinische Versorgung von Patienten, die aus welchen Gründen auch immer keinen Arzt aufsuchen können, gesichert. Gleichzeitig ersparen sich die Patienten die Fahrt zur so- wie die Wartezeit in der Ordination. Darüber hinaus kann so auch die Versorgung von Patienten in Gegenden mit Ärzte- mangel sichergestellt werden.
Fernbehandlungen in Onlineordinationen sind allerdings nur eine weitere Etappe im weiten Feld der Telemedizin, die in den verschiedensten Bereichen schon seit Jahren erfolgreich angewendet wird. Telekonzile, bei denen zur Qualitätsver- besserung eine Zweitmeinung eingeholt wird, und Telekonferenzen, bei denen ein dislozierter Arzt für eine laufende Be- handlung oder Operation zugezogen wird, sind mittlerweile gang und gäbe. Dazu kommt Tele-Monitoring, also die Über- wachung der Vitalfunktionen chronisch Kranker, etwa mit Diabetes oder COPD. Dadurch können unter anderem Medika- mente optimal dosiert, Präventionsmaßnahmen zeitgerecht gesetzt und die Betreuung zu Hause verbessert werden, was wiederum stationäre Aufenthalte verkürzt – und in Summe Kosten senkt. Nicht zu vergessen sind die Teletherapie sowie das seit langen Jahren bestehende Notarzt- und Ärztenotdienst-System und die im April als Pilotprojekt in Wien, Nieder- österreich und Vorarlberg eingeführte Beratungshotline 1450 zur Abklärung von Krankheitssymptomen.
Im Bereich der Sozialversicherung eröffnen sich beispielsweise mit der e-card an der Schnittstelle Behandlung, Dokumen- tation und Information zahlreiche Möglichkeiten. Und auch die elektronische Gesundheitsakte ELGA schlägt in diese Ker- be.
Übrigens: Auch die Frage der Qualitätssicherung ist im weiten Feld der Telemedizin enorm wichtig. Berdenich rät bei der Software daher zu Produkten mit Medizinproduktezertifizierung: „Damit ist man auf der sicheren Seite.“ Vom Gesund- heitsministerium wurde eine Bundesqualitätsleitlinie – vorerst mit Bezug auf Telemonitoring-Leistungen – erarbeitet, die neben technischen auch organisatorische Anforderungen für die Erbringung solcher Leistungen enthält. Diese Leitlinie wird in den nächsten Wochen im Rahmen einer öffentlichen Konsultation vorgestellt.
"Das Entscheidendste ist ein Rahmen, der für Rechtssicherheit sorgt und Ärzte aus unver- tretbarer Haftung herausnimmt.“
Dr. Karl Forstner, Präsident der Salzburger Ärztekammer
und Leiter des Referats Telemedizin in der Österreichischen Ärztekammer
Foto: ÄK Salzburg, Helgebauer