Das menschliche Knie ist ein komplexes System. Nur wenn es gesund ist, sind ein schmerzfreier Gang und die Ausübung der meisten Sportarten möglich. Kommt es zu Abweichungen innerhalb dieses Systems, macht sich das oft in einer Funktions-beeinträchtigung bemerkbar.
Kniegelenke sind täglich großen Belastungen ausgesetzt. Allein das Gehen verursacht starke Druck- und Scherkräfte auf die Gelenkpartner. Beim Laufen, Springen oder Stolpern werden diese Kräfte noch um ein Vielfaches erhöht. Besonders starke Rotations- und Scherkräfte können die Un- versehrtheit der Menisken, der Bänder und des Knorpels beeinträchtigen. Die wichtigste Untersuchung nach einer Knieverletzung oder nach Über- lastungen des Kniegelenkes ist die körperliche Untersuchung des Knies. Sie besteht aus mehreren Teilen und gibt einen sehr guten Eindruck, wie es um das Knie bestellt ist. Trotzdem ist in den allermeisten Fällen eine weiterführende, bildgebende Untersuchung zur Bestätigung des Ergebnis- ses der körperlichen Untersuchung und zum Nachweis oder Ausschluss von Begleitverletzungen erforderlich.
„Early Active Rehab“ und Physiotherapie
Viele Probleme, die durch Verletzungen oder Abnützungen des Kniegelenkes verursacht werden, lassen sich ohne Operation behandeln. Die wich- tigsten Punkte dabei sind die Verringerung der Schwellung, die Verbesserung der Beweglichkeit und die Erhaltung der Muskulatur um das Kniegelenk.
Das gelingt am besten, indem das betroffene Knie nach einer Verletzung nicht ruhiggestellt, sondern gleich gezielt bewegt und die Muskulatur trai- niert wird. Das Motto lautet: Bewegen, bewegen, bewegen! Dieses Konzept bezeichne ich als „Early Active Rehab“. Dieser Begriff beinhaltet alles, was für Patienten nach Knieverletzungen und -operationen wichtig ist: Frühzeitig mit der Therapie beginnen („early“), die Muskulatur aktiv ansteu- ern („active“) und Übungen zur Verbesserung der Beweglichkeit und Stärkung der Muskulatur durchführen („rehab“). Das bedeutet auch, dass auf lange Ruhigstellung mit Schienen, Orthesen oder gar einem Gipsverband möglichst verzichtet werden sollte. Auch das „passive Durchbewegen“ des Gelenkes, wie zum Beispiel mit einer Motorschiene, ist in der Wirkung fragwürdig und passt nicht in dieses Konzept. Nur durch aktive Bewe- gungsübungen kann ein Rückgang der Muskulatur verhindert werden. Zusätzlich werden durch aktive Bewegungsübungen die wichtigen koordi- nativen Fähigkeiten erhalten oder rascher wiedererlangt.
Einen besonders wichtigen Stellenwert nimmt in diesem Konzept die Physiotherapie ein. Dabei werden die Patienten nach Verletzungen oder an- deren Schäden des Kniegelenkes an einen spezialisierten Knie-Therapeuten verwiesen. Die wesentlichen Bestandteile der Physiotherapie sind Be- wegungsübungen, Muskelkräftigung und Koordinationstraining. Diese Therapien sollen sich gegenseitig ergänzen und Hand in Hand ablaufen. Meiner Erfahrung nach sollten Ärzte und Patienten auch offen gegenüber anderen, durchaus nicht alltäglichen Therapieverfahren nach Knieverlet- zungen oder Überlastungen sein. Dazu gehören beispielsweise Osteopathie, Akupunktur, Faszien-Mobilisierung sowie andere wirksame alternative Methoden.
Schmerzen außerhalb des Gelenkes
Bei Schmerzen außerhalb des Kniegelenks handelt es sich meist um muskuläre Überlastungen des großen Kniestreckers (Quadrizepsmuskel) oder um Reizzustände der Sehnen im vorderen Anteil des Knies (Quadrizepssehne, Patellasehne). Auch eine akute oder chronische Entzündung des Schleimbeutels über, vor oder unterhalb der Kniescheibe kann zu Schmerzen im vorderen Anteil des Kniegelenkes führen. Im Wachstumsalter bei Kindern und Jugendlichen ist es der Morbus Schlatter, ein chronischer Reizungszustand am Ansatz der Kniescheibensehne, der häufig zu Schmerzen und zu einer Schwellung im Bereich der Schienbeinrauigkeit an der Vorderseite des Schienbeines führt. Dabei kommt es zu entzündli- chen Vorgängen sowie zu wiederkehrenden und manchmal sehr hartnäckigen Schmerzen an der Vorderseite des Schienbeins. Die exakte Ursa- che ist nicht bekannt, das Positive ist, dass diese Erkrankung nach Abschluss des Wachstums nicht mehr auftritt. Ähnlich ist das beim sogenann- ten Morbus Sinding-Larsen. Dabei handelt es sich um Schmerzen an der Spitze der Kniescheibe, ebenfalls bei Kindern und Jugendlichen. Wäh- rend Morbus Sinding-Larsen Kinder und Jugendliche betrifft, können ähnliche Probleme auch bei Erwachsenen auftreten: Bei Menschen, die ger- ne Sprungsportarten wie zum Beispiel Basketball oder Volleyball ausüben, kann es zu einer Reizung der Kniescheibenspitze kommen. Dies be- zeichnet man als Patellaspitzensyndrom oder auch als „jumper’s knee“.
Schmerzen innerhalb des Gelenkes
Schmerzen innerhalb des Gelenkes betreffen den Bereich des Kniegelenkes, der sich innerhalb der Gelenkkapsel befindet. Auch innerhalb des Gelenkes können Schmerzen eher vorne, eher hinten oder seitlich auftreten. In den meisten Fällen handelt es sich bei Schmerzen im inneren vor- deren Anteil des Kniegelenkes um eine Knorpelaufweichung oder um eine Aufrauung des Knorpels an der Rückseite der Kniescheibe (Chondropa- thia patellae). Auch Einklemmungen des Hoffa’schen Fettkörpers (Hoffa- Impingement) oder Einklemmungen der Gelenkschleimhautfalte (Plica) können zu Schmerzen im vorderen Anteil des Kniegelenkes führen. Nicht zuletzt sind es manchmal auch Einrisse im Vorderhorn des Außenmenis- kus oder Ausstülpungen des Meniskusgewebes (Meniskusganglion), die zu schmerzhaften Einklemmungen in den vorderen Anteilen des Kniege- lenkes führen können. Selten handelt es sich um Narbengewebe-Anteile, die sich nach Verletzungen oder nach einer Knieoperation gebildet ha- ben und Beschwerden verursachen.
Schmerzen an der Vorderseite des Kniegelenks sind sehr häufig und werden unter dem Begriff „anterior knee pain“ subsumiert. Der vordere Anteil des Kniegelenks beinhaltet die Muskulatur des Oberschenkels (Quadrizepsmuskel, großer Kniestrecker), die Sehne des großen Kniestreckers, die Kniescheibe (Patella), die Patellasehne und die sogenannte Schienbeinrauigkeit. Zusätzlich gehört zu den Strukturen des vorderen Anteils auch der sogenannte Hoffa’sche Fettkörper direkt unterhalb der und um die Kniescheibe. Auch die vorderen Anteile der Gelenkschleimhaut und die vor- deren Anteile des Innen- und Außenmeniskus zählen dazu.
Schmerzen, deren Ursache ein Problem der inneren Strukturen des Kniegelenkes ist, betreffen die meist die Menisken, den Gelenkknorpel, die Ge- lenkschleimhaut, Schleimhautfalten im Gelenk oder Narbenstränge nach Verletzungen oder Operationen. In manchen Fällen ist es auch ein Kno- chenmarködem oder ein sogenannter freier Gelenkkörper, die zu Problemen führen.
Schmerzen im hinteren Anteil des Kniegelenkes
Schmerzen im hinteren Anteil des Kniegelenkes können sowohl das Innere des Gelenkes als auch die äußeren Anteile des Knies betreffen. Die wichtigste Struktur ist die Kniekehle, in die die meisten Schmerzen ausstrahlen. Sind die äußeren Anteile betroffen, handelt es sich meist um Pro- bleme mit der Muskulatur. Speziell die Muskulatur der Oberschenkel-Rückseite (Hamstring-Muskeln) ist vor allem bei Sportlern häufig verkürzt und chronisch angespannt. Das allein führt schon zu sogenannten Spasmen und Schmerzen.
Ein besonders häufig erwähntes Schlagwort ist die sogenannte Bakerzyste. Diese liegt an der Rückseite des Kniegelenkes und meist in der Knie- kehle. Sie ist sehr oft in der Kniekehle tastbar, manchmal auch sichtbar, und mit Flüssigkeit gefüllt. Die Ursachen für die Bakerzyste sind vielfältig. Die Zyste ist eigentlich eine Folgeerscheinung einer krankhaften Veränderung (zum Beispiel Knorpelschaden) innerhalb des Kniegelenkes.
Eine weitere häufige Ursache für Schmerzen im hinteren Anteil des Gelenkes ist ein Riss im Meniskus-Hinterhorn. Sowohl im Innen- als auch im Au- ßenmeniskus ist zumeist der hintere Anteil betroffen, sodass sich dies auch im hinteren Anteil des Kniegelenkes bemerkbar macht. Im Falle einer akuten Verletzung handelt es sich manchmal um eine Rissbildung in der hinteren Gelenkkapsel, die zu Schmerzen führt. Eine Ultraschall-, MRT- und eine Röntgenuntersuchung sind in den meisten Fällen aufschlussreich.
Am häufigsten handelt es sich bei Schmerzen im seitlichen Bereich des Kniegelenkes um Meniskusrisse innen oder außen. Dabei klemmen sich
einzelne Teile des Meniskus im Gelenkspalt ein und führen so zu einer Reizung der Ge- lenkschleimhaut (Synovitis), die dann schmerzhaft ist. Im Rahmen einer akuten Verlet- zung ist es meist eine Zerrung oder ein Einriss des Innenbandes, seltener des Außen- bandes, die bzw. der Schmerzen bereitet.
Auch eine schmerzhafte Einklemmung von Schleimhaufalten (Plica-Syndrom) oder des Hoffa’schen Fettkörpers kann sich seitlich bemerkbar machen. Schmerzen an der Innen- seite des Kniegelenkes können durch eine Verkürzung der inneren Oberschenkelmusku- latur (Adduktoren) ebenso verursacht werden wie durch eine Reizung eines Schleimbeu- tels unterhalb der Adduktoren. Auch an ein schmerzhaftes Knochenmarködem oder an einen Knorpelschaden sollte man immer denken. Bei Schmerzen an der Innenseite des Kniegelenks ist eine Abklärung mittels MRT, Ultraschall und Röntgen empfehlenswert.