Thema | Covid-19-Forschung
foto: istockphoto/ s-cphoto
155 Medikamente und
79 Impfungen am Start
Weltweit stecken Pharma- und
Biotechunternehmen, Universitätsinstitute,
Forschungseinrichtungen und Kliniken
enorme Ressourcen in die Forschung und Entwicklung zur Bekämpfung der Pandemie.
Für Entscheidungsträger aus Politik und Gesundheitswesen wird es zunehmend schwierig, den Überblick zu bewahren – obwohl kostenintensive Entscheidungen spätestens dann notwendig werden, wenn die ersten Prophylaxen oder Therapien verfügbar werden. Daher baten das österreichische Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMS- GPK) und weitere Akteure des Gesundheitswesens das Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA), eine Über- sicht der weltweiten Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten im Bereich Covid-19 zu erstellen, die bei zukünftigen Entscheidun- gen evidenzbasierte Unterstützung leisten kann.
Für die Übersicht arbeitete das auf wissenschaftliche Entscheidungsunterstützungen im Gesundheitswesen spezialisierte Institut in Wien eng mit europäischen Kollegen zusammen. Die meisten der in der Entwicklung befindlichen Medikamente gegen Covid- 19 haben dabei bereits eine Zulassung für andere virale Infektionen und erfordern daher eine besondere Evidenz für die Zulas- sung gegen Covid-19. Von den 79 Impfstoffkandidaten wiederum ist bisher keiner über das Entwicklungsstadium gelangt.
Rechtzeitige Information entscheidet
Dieses sogenannte „Policy Brief“ dient einer schnellen, aber dennoch evidenzbasierten Politikberatung und soll für akute Ent- scheidungen im Gesundheitswesen solide Grundlagen bieten – auch nach der Pandemie und zu unterschiedlichen Themen. „Für die Übersicht zu Covid-19-F&E-Aktivitäten haben wir ein Horizon Scanning System (HSS) eingerichtet“, erläutert Priv.-Doz. Dr. Claudia Wild, Leiterin des AIHTA. „Ziel eines solchen HSS ist es, frühzeitige Information zu Interventionsmöglichkeiten bereitzu- stellen, die sich derzeit im F&E-Stadium befinden. In den nächsten Monaten werden deren Entwicklungen dann weiter beobach- tet, Daten dazu aufbereitet und ein Einkauf durch das Gesundheitswesen evidenzbasiert unterstützt.“
Insgesamt konnte das Team um Wild anhand internationaler Quellen 155 Medikamente identifizieren, die derzeit auf ihre Wirkung gegen SARS-CoV-2/Covid-19 getestet werden. Diese basieren alle auf einem oder mehreren der folgenden bekannten, antiviralen Wirkstoffe: Remdesivir, Lopinavir + Ritonavir (Kaletra®), Favipirvir (Avigan®), Darunavir (Prezista®), Chloroquine Phosphate (Re- sochin®), Hydroxychloroquine (Plaquenil®), Camostat Mesilate (Foipan®), APN01 (rhACE2), Tocilizumab (Roactemra®), Sarilum- ab (Kevzara®) und Interferon beta 1a (SNG001). „Da es sich beim Großteil dieser Wirkstoffe um Medikamente handelt, die bereits für andere Indikationen zugelassen sind, betonen internationale Regulatoren die Notwendigkeit robuster Evidenz für Zulassungs- studien“, so Wild. Um diesem Anspruch Ausdruck zu verleihen, gründete die European Medicines Agency (EMA) am 9. April
auch eine eigene Covid-19-Taskforce.
Die 79 Impfstoffkandidaten, die das AIHTA im Rahmen des HSS identifizieren konnte, teilen sich dabei auf drei Impfstoffarten auf: Lebendimpfstoffe (mit abgeschwächten Virusstämmen), Totimpfstoffe (mit Virusproteinen) oder genbasierte Impfstoffe (mit spezi- eller DNA oder mRNA). Die meisten dieser Projekte sind derzeit noch im Entwicklungsstadium und haben noch keine Zulassung.
„Vignetten“ für vielversprechende Angebote
Für die in der Entwicklung besonders fortgeschrittenen Medikamente oder Impfstoffe sowie solche, die in der Fachliteratur als be- sonders vielversprechend gelten, hat das AIHTA dann sogenannte Vignetten erstellt. Dabei handelt es sich um prägnante Kurzbe- schreibungen, die zusätzliche Informationen bereitstellen. Insgesamt erstellte das AIHTA elf Vignetten zu Medikamenten und acht zu Impfstoffkandidaten.
Insgesamt stellt der Bericht des AIHTA eine wertvolle Entscheidungshilfe für den Moment dar, wenn die Gesundheitssysteme aus mehreren Medikamenten oder Impfstoffen gegen Covid-19 die geeignetsten auszuwählen haben. Den Gesellschaftern des Insti- tuts, dem BMSGPK, den Gesundheitsfonds der neun Bundesländer und dem Dachverband der Sozialversicherungsträger kann das AIHTA mit der neuen Produktlinie „Policy Briefs“ somit in einer Gesundheitskrise bisher unbekannten Ausmaßes eine adäqua- te, evidenzbasierte Entscheidungshilfe anbieten.
Quellen:
Wild, C, Wolf, S, Goetz, G, Walter, M, McEntee, J, Stanak, M, Ettinger, S, Strohmaier, C und Erdos, J (2020): Covid-19: HSS/ Horizon Scanning Living Document (v01 April 2020), Teil 1; Covid-19: HSS/ Horizon Scanning Living Document (v01 April 2020), Teil 2 (Appendix) . AIHTA Policy Brief 002.