GVA, KUR & PRÄVENTIVMEDIZIN | Radon

FOTOS: ZVG, A´GASTEINER HEILSTOLLEN

Lebensqualität als Maßzahl

Ein Auszug aus Daten des Gasteiner (Ra- don-)Registers zeigt, wie Kur und Reha als zuverlässige Maßnahmen zur Aufrechter- haltung und Wiederherstellung der Le- bensqualität beitragen können.

Autoren:

Univ.-Prof. Dr. med. Markus Ritter;

Dr. Antje van der Zee-Neuen, MSc, MSc, BSc;

Mag. Dr. Sonja Wildburger;

Julia Fuchs, Msc, Bsc

Zentrum für Physiologie, Pathophysiologie und Biophysik, Institut für Physiologie & Pathophysiologie, Forschungsinstitut Gastein, Ludwig Boltzmann Institut für Arthritis & Rehabilitation, Paracelsus

Medizinische Universität Strubergasse 22, 5020 Salzburg, markus.ritter@pmu.ac.at

Das Recht auf ein Höchstmaß an physischer und psy- chischer Gesundheit ist ein durch die Vereinten Natio- nen verankertes Menschenrecht. Es bezieht sich insbe- sondere auch auf die Verfügbarkeit und den Zugang zu öffentlichen Gesundheitseinrichtungen. Richtet man den Fokus auf die gesundheitsbezogene Lebensquali- tät, so wird deutlich, dass diese die Gesamtheit des subjektiven Wohlbefindens umfasst. Darunter fallen die körperliche Gesundheit, die mentale und soziale Ge- sundheit sowie der Einfluss von Umgebungsfaktoren.

Die „Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“ der Weltgesundheitsorganisation (ICF) ist ein Klassifikati- onssystem, welches unterschiedliche Faktoren, die einen Einfluss auf die Änderungen des Gesundheitszustandes haben, darstellt. Wie in Abbil- dung 1 zu ersehen ist, beinhaltet es Faktoren wie Körperfunktionen und -strukturen, individuelle Aktivitäten des täglichen Lebens, Teilhabe am All- tag sowie gegebenenfalls Umweltfaktoren und personenbezogene Faktoren. All diese Elemente lassen sich wiederum in biopsychosoziale Fakto- ren und Umgebungsfaktoren unterteilen.


Langfristiger Nutzen von Therapien

Die ganzheitliche Betrachtungsweise von Gesund- heit im Allgemeinen und Lebensqualität im engeren Sinne ist essenziell bei der Entwicklung und Wirk- samkeitsevaluation von Therapieangeboten für chronische Erkrankungen.

Dennoch wird in wissenschaftlichen Studien zu Er- krankungen des Bewegungsapparates sehr häufig nur die Veränderung des Schmerzlevels als Endpa- rameter herangezogen. Mindestens den gleichen Stellenwert muss man aber der Lebensqualität der Patienten zugestehen, da sie eine sehr gute Aussa- gekraft über den Erfolg oder das Versagen einer Therapie bzw. eines Therapiesettings aufzeigen kann. Für ein besseres Verständnis, wie sich Le- bensqualität langfristig auf die Teilnahme der Pati- enten im Alltag und Berufsleben auswirkt, und wel- che psychosozialen Auswirkungen auch eine Stei- gerung der Lebensqualität hat, ist die Durchführung von epidemiologischen Studien und Analysen uner- lässlich. Besonders über den langfristigen Effekt auf

die Lebensqualität von multimodalen Therapiesettings, welche die Patienten während einer Kur oder Reha erhalten, existieren jedoch noch sehr wenige Daten.


„RadReg“ erhebt Erfolgsdaten

Das Forschungsinstitut Gastein hat durch die Etablierung eines Gasteiner Kur- und Reha-Registers (des sogenannten „Radon-Indikationsregisters zur Bewertung der Schmerzreduktion, Steigerung der Lebensqualität und Verbesserung der Körperfunktionalität während einer niedrig dosierten Radon-Hyperthermie-Therapie“, kurz RadReg genannt) die Basis für eine kontinuierliche Erhebung von Daten zum Erfolg von Kur, Reha und akti- ver Gesundheitsvorsorge im Gasteinertal geschaffen. Dabei wird besonderes Augenmerk auf den Einfluss der multimodalen Kur- und Reha-Set- tings auf die Lebensqualität der Patienten gelegt.

Jüngst konnte das Team des Forschungsinstituts Gastein anhand der bisher gesammelten Registerdaten den positiven Effekt der Kur auf die Le- bensqualität bei Morbus-Bechterew-Patienten zeigen und in der Publikation, „Sustained improvements in EQ‑5D utility scores and self‑rated health status in patients with ankylosing spondylitis after spa treatment including low‑dose radon – an analysis of prospective radon indication registry data“ (DOI: 10.1186/s12891-022-05691-1) dokumentieren. Zieht man die Ergebnisse dieser Arbeit als exemplarische Darstellung für den Effekt von Kur- und Rehabilitationsmaßnahmen auf die Lebensqualität heran, so wird deutlich, dass diese eine nachhaltige Verbesserung der Lebens- qualität bewirken können.

In dieser Studie wurden die Daten von Morbus-Bechterew-Patienten, welche einen Kuraufenthalt in Gastein absolviert haben, analysiert. Morbus Bechterew ist eine rheumatische Erkrankung, die bei etwa 24 von 10.000 Europäern auftritt, wobei Männer häufiger als Frauen betroffen sind. Sie führt zu entzündlichen Rückenschmerzen, krankhaften Veränderungen am Skelett und an den Sehnenansätzen sowie zu Beeinträchtigungen der körperlichen Funktionsfähigkeit. All dies kann zu einer eingeschränkten Teilhabe am täglichen Leben und somit auch zu einer verminderten Le- bensqualität führen.

Auch im Gesundheitskontext wird die Lebensqualität der Patienten mittlerweile als Schlüsselfaktor zur Beurteilung der Wirksamkeit von Gesund- heitsmaßnahmen herangezogen, wobei neben körperlichen Beschwerden auch psychosoziale Aspekte berücksichtigt werden. Damit einherge- hend steigt die Bedeutung von therapeutischen Maßnahmen, welche auf die Verbesserung der Lebensqualität abzielen.

Der aktuelle Stand der Forschung zeigt, dass Patienten mit Morbus Bechterew tatsächlich eine deutlich geringere Lebensqualität haben als die Allgemeinbevölkerung. Zwar kann diese durch den gezielten Einsatz von Medikamenten verbessert werden, allerdings werden medikamentöse Therapieoptionen, aufgrund ihrer Neben- und/oder Wechselwirkungen, nicht immer favorisiert. Für die Wirksamkeit alternativer oder ergänzender nicht-pharmakologischer Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität von Morbus-Bechterew-Patienten existieren jedoch nur wenige Belege.

Übliche symptomorientierte Interventionen, wie etwa physiotherapeutische Behandlungen, zeigen eine gute Effektivität bei der Verringerung der Krankheitsaktivität und der Schmerzen sowie bei der Verbesserung der funktionellen Kapazität. Der Einsatz von ganzheitlichen Interventionen zeigt ein großes Potenzial, da er ein besonders breites Spektrum an Gesundheitsindikatoren von Patienten mit Morbus Bechterew anspricht, insbeson- dere auch jene der psychischen Gesundheit und der Teilhabe am täglichen Leben.

Auch bei Morbus Bechterew umfassen ganzheitliche Interventionen regelmäßige multidisziplinäre Behandlungen einschließlich Kur- und Balneo- therapie (Bädertherapie) bzw. Speläotherapie (Therapie in Heilstollen). Dabei hat sich die Anwendung von niedrigen Dosen des radioaktiven Edel- gases Radon bei Erkrankungen des Bewegungsapparats als besonders wirksam erwiesen, um eine langfristige Schmerzlinderung zu erzielen. Dies trifft insbesondere auch auf den Morbus Bechterew zu. Gleichwohl zeigen sich vielversprechende Ergebnisse in Bezug auf Verbesserungen der körperlichen Funktionalität und der Lebensqualität.


Fragebogen für Morbus-Bechterew-Patienten

In der oben genannten Studie, wurde nun auch in einem authentischen Setting der Zusammenhang zwischen einer Kur bzw. Reha mit Niedrigdo- sis-Radontherapie und der Lebensqualität von Patienten mit Morbus Bechterew über einen längeren Zeitraum erforscht. In dieser Längsschnitt- analyse wurden Daten von Morbus-Bechterew-Patienten aus der genannten Registerstudie verwendet. Das Register sammelt anhand von Frage- bögen pseudonymisierte Daten von Personen, die das Gasteinertal zum Zweck einer Kur- bzw. Rehabilitationsbehandlung mit Radon für eine Rei- he von Erkrankungen besuchen.

Die an der Studie teilnehmenden Patienten werden von den Ärzten der einschließenden Gesundheitsbetriebe im Gasteinertal hierfür rekrutiert und erhalten unmittelbar vor und direkt nach der Therapie ein Set von Fragebögen. Zur Dokumentation des längerfristigen Therapieerfolgs erhalten sie diese dann auch noch nach drei, sechs und neun weiteren Monaten. Die Therapie erfolgt auf Grundlage der Verordnung durch die örtlichen Ärzte als individualisierte Behandlung, wobei diese die Verabreichung von niedrig dosiertem Radon in Form von Bädern und/oder Heilstolleneinfahrten miteinschließt. Die Aufenthaltsdauer der Patienten in Gastein beträgt dabei typischerweise zwei bis drei Wochen.

Bei der Radon-Balneotherapie baden die Patienten in 37 °C warmem Thermalwasser mit niedriger Radonaktivität, wie es von den örtlichen Einrich- tungen nach standardisierten Behandlungsschemata angewendet wird. Darüber hinaus sind im Gasteiner Thermalwasser verschiedene Mineral- stoffe natürlich angereichert. Im Regelfall erhalten die Patienten zehn Bäder mit einer Dauer von je 20 Minuten. Während der Radon-Speläothera- pie verweilen die Patienten für eine durchschnittliche Dauer von 60 Minuten im Gasteiner Heilstollen. Die Stollenluft birgt das aus dem Erdinneren aufsteigende Radon in einer niedrigen Konzentration von durchschnittlich 44 kBq/m3 und weist überdies eine sehr hohe Luftfeuchtigkeit von 70 bis 100 % und – je nach Einfahrtstiefe – Temperaturen von 37 bis 41,5 °C auf. Während der durchschnittlich elf Einfahrten entspannen sich dabei die Patienten angenehm liegend und unter ärztlicher Überwachung in dieser Atmosphäre. Beide Therapieformen bewirken während der Exposition der Patienten im Heilwasser oder im Heilstollen eine milde Hyperthermie, also eine fieberähnliche Erhöhung der Körpertemperatur, welche ebenso wie die Aufnahme von Radon zu einer anhaltenden positiven Stimulation des Immunsystems führt. Auch der Aufenthalt bei einer Seehöhe von 800 bis über 1.200 Metern kann sich durchaus gesundheitsfördernd auswirken.

Um den Einfluss der Intervention auf die Lebensqualität bewerten zu können, wurde ein spezifisch dafür entwickelter Fragebogen, nämlich der so- genannte EuroQol EQ-5D-5L© (EuroQol Research Foundation, EQ-5D™; kurz EuroQol) verwendet. Dieser Fragebogen besteht aus zwei Abschnit- ten. Der erste Teil besteht aus Fragen zu fünf Dimensionen des Gesundheitszustands, nämlich Mobilität/Bewegung, Selbstversorgung, übliche Ak- tivitäten, Schmerzen/Beschwerden und Angst/Depression, welche anhand von fünf Antwortoptionen bewertet werden. Aus diesem Abschnitt kann dann ein individueller Gesundheitszustand, bestehend aus den Werten der fünf Teilfragen, sowie ein Index errechnet werden. Beim Letzteren be- deutet ein Wert von Null die schwerste gesundheitliche Beeinträchtigung und ein Wert von 1 vollständige Gesundheit. Der zweite Teil ist eine soge- nannte visuelle Analogskala (VAS), anhand derer die Teilnehmer ihren Gesundheitszustand auf einer Skala von 0 bis 100 selbst einschätzen. Dabei

bedeuten höhere Werte einen besseren Gesundheitszustand.

Für die Datenanalyse wurde eine endgültige Stichpro- be von 291 Teilnehmern herangezogen, davon 128 Frauen und 163 Männern, welche vollständige Daten für alle Zeitpunkte übermittelten. Das Durchschnittsal- ter der Teilnehmer betrug 52 Jahre und der durch- schnittliche Body-Mass-Index (BMI) lag bei 26 kg/m². Wie man aus Abbildung 2 ersehen kann, kommt es in allen Dimensionen, nämlich Bewegung, Selbstversor- gung, normale Aktivitäten, Schmerzen/Beschwerden und Angst/Depression, zu einer unmittelbaren und bis zu neun Monate anhaltenden Verbesserung (eine Er- niedrigung des Scorepunkte-Werts bedeutet dabei eine Verbesserung).


Klinisch relevante Verbesserung

Die weiterführenden Analysen zeigten, dass unabhän- gig von Alter, Geschlecht und BMI der EuroQol-Index- wert wie auch der EuroQol-VAS-Wert zu jedem Zeit- punkt signifikant höher waren als vor der Behandlung (Abbildung 3). Dies stellt eine klinisch relevante Ver- besserung dar. Dies lässt eindeutig auf eine anhalten- de Verbesserung des Gesundheitszustandes schlie- ßen, wobei der positive Effekt bis neun Monate nach der Kuranwendung evident ist.

Aus Abbildung 3 ist auch zu entnehmen, dass beim EuroQol-VAS-Score die maximale Verbesserung nicht unmittelbar nach der Behandlung zu beobachten war, sondern erst nach drei Monaten. Dies stimmt mit den

Ergebnissen anderer Studien überein, welche sich mit den Vorteilen einer Kurtherapie für die Lebens- qualität von Morbus-Bechterew-Patienten befassten. Erstaunlicherweise zeigte sich diese Verzögerung nicht bei der Evaluation des EuroQol-Index. Dies kann wahrscheinlich einer erhöhten Motivation der Teilnehmer zugeschrieben werden: Die Bereitstel- lung von Daten für das Radon-Indikationsregister ist freiwillig und die in die aktuelle Studie einbezoge- nen Teilnehmer hatten zu allen Zeitpunkten vollstän- dige Daten vorgelegt. Dies könnte auf eine hohe Motivation hindeuten, die auf günstige Behand- lungseffekte zurückzuführen ist, die durch den In- dex präziser dargestellt werden als durch den VAS- Score.

Die aktuellen Erkenntnisse weisen darauf hin, dass in der untersuchten Kohorte von Morbus-Bechter- ew-Patienten klinisch relevante Verbesserungen der Lebensqualität bis zu neun Monate (VAS) nach der Intervention aufrechterhalten werden können. Aus klinischer Sicht deutet dies auf die Vorteile eines

wiederholten Behandlungsmusters hin. Um stabile Ergebnisse zu erzielen, sollte ein regelmäßiger Kuraufenthalt im Rahmen der Gesundheitsvor- sorge geplant werden.

Eine Extrapolation der Ergebnisse zeigt, dass regelmäßige Kur- und Rehabilitationsmaßnahmen für Patienten mit chronischen Erkrankungen des Bewegungsapparates als sehr wirkungsvoll zu bewerten sind. Diese Erkenntnisse sollen die Entscheidungsfindung von Politik und Krankenkassen erleichtern und aufzeigen, dass Kur und Reha in Zukunft noch mehr forciert werden müssen, um jegliche Dimensionen von Gesundheit über alle Lebensabschnitte hinweg aufrechterhalten zu können.

Ärzte sollten sich daher nicht mehr die Frage stellen müssen, ob ihre Patienten einen Anspruch bzw. das Recht auf eine Kur- oder Reha Maßnah- me haben, und ob sie diese verordnen dürfen, sondern es sollte, gemessen an dem hohen Nutzen von Kur und Reha, eine Selbstverständlichkeit sein, diese den Patienten regelmäßig anbieten zu können.

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Literatur bei den Autoren.