MEDIZIN | Mikrobiom
Probiotika zur Ver-
besserung der Leber-
funktion bei Leberzirrhose
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Die Modulation des Darm-Mikrobioms zur Verbesserung der Leberfunktion ist ein lohnenswertes therapeutisches Ziel. Möglichkeiten zur Modulation des Darm-Mikrobioms sind die Verwendung von Präbiotika, Probiotika oder die
fäkale Mikrobiom-Transplantation (FMT).
Seit dem Beginn dieses Jahrtausends hat sich unser Verständnis über Zusammensetzung und Funktion des menschlichen Mikrobioms durch tech- nische Fortschritte im Bereich der Sequenzierung und der „Omics“-Technologien vervielfacht. Das menschliche Mikrobiom besteht aus ca. zwei Ki- logramm biologischer Masse und enthält vermutlich mehrere Tausend bakterielle Spezies. Aufgrund seiner genetischen Vielfalt und großen Stoff- wechselkapazität wird es heute als eigenes Organ gesehen.
Neben Bakterien befinden sich auch noch Viren, Pilze und Archäen in und auf unserem Körper. Der größte Teil der biologischen Masse befindet sich im Dickdarm. Das Darm-Mikrobiom ist neben der Mukus-Schicht, der Darmepithelschicht mit ihren unterschiedlichen Zell-Zell-Verbindungen (Tight junctions, Gap junctions) und dem Darmimmunsystem ein Teil der Darmbarriere. Über die Lymphgefäße und das portalvenöse System be- steht eine enge anatomische und funktionelle Beziehung zwischen dem Darm-Mikrobiom und der Leber – in der Literatur oft als „Darm-Leber-Ach- se“ bezeichnet. Es liegt daher nahe, dass Lebererkrankungen mit Veränderungen im Mikrobiom in Verbindung stehen und Mikrobiom-Modulation ein interessanter therapeutischer Ansatz ist.
Das Darm-Mikrobiom bei Leberzirrhose
In Europa erkrankt jährlich eine von 400 Personen an Leberzirrhose, dem Endstadium aller chronischen Lebererkrankungen. In vielen Industrielän- dern ist sie unter den zehn häufigsten Todesursachen zu finden. Alkohol, das metabolische Syndrom oder chronische Virushepatitiden sind in 95 % der Fälle die Ursache für die Entwicklung einer Leberzirrhose. Schon bevor moderne Sequenzierungstechniken die Mikrobiomforschung zu einem „Hot Topic“ in der Medizin machten, zeigten Daten aus den 1980er-Jahren, dass Alkoholkonsum zu einer bakteriellen Überwucherung des Dünn- darms und zu einer Verminderung von Laktobazillen führt. Die erste große Studie, die 2014 mittels Sequenzierungstechniken in China durchgeführt wurde, zeigt eine Verminderung der Diversität bei gleichzeitigem Anstieg der Gesamtbakterienzahl und ein Überwiegen von pathogenen Keimen. Auffällig ist insbesondere das Vorkommen von typischen Mundkeimen wie Veillonella und Streptococcus in vermehrter Anzahl im Darm, also eine „Oralisierung“ des Darm-Mikrobioms. Parallel dazu nahm die Anzahl an Bakterien, denen positive Wirkungen auf den Menschen zugeschrieben werden, wie zum Beispiel Faecalibakterium prausnizii als Butyrat-Produzent ab.
Einflussfaktoren auf die Mikrobiomzusammensetzung sind neben der Ätiologie der Lebererkrankung und dem Schweregrad vor allem die Einnah- me von Medikamenten, wie zum Beispiel Protonenpumpenhemmer, der Ernährungszustand und Inflammation. Die Folgen dieser Dysbiose bei Le- berzirrhose sind weitreichend: Über eine gestörte Darmbarrierefunktion, die direkt durch die Dysbiose oder indirekt durch intestinale Inflammation bedingt sein kann, kommt es zu einer Translokation von bakteriellen Produkten in die Leber und auch weiter in die systemische Zirkulation, wo- durch es zu einer Schädigung der Hepatozyten und einer inadäquaten Aktivierung des Immunsystems kommt. In weiterer Folge erhöht sich das Infektionsrisiko, es treten vermehrte Komplikationen auf und die Mortalität erhöht sich. Eine Modulation des Darm-Mikrobioms als möglicher Thera- pieansatz zur Vermeidung der Dysbiose und vor allem der negativen Folgen der Dysbiose ist daher naheliegend.
Bei Leberzirrhose sollte das Ziel einer Mikrobiommodulation eine Verbesserung der Leberfunktion beziehungsweise eine Vermeidung von Kompli- kationen sein. Eine Verbesserung der Leberfunktion unabhängig von der Ätiologie der Erkrankung kann derzeit vor allem mit der Lebertransplanta- tion erreicht werden, die allerdings aufgrund des teilweisen eklatanten Mangels an passenden Spenderorganen nur einem kleinen Teil der Betroffe- nen zur Verfügung steht. Eine Verbesserung der Leberfunktion, insbesondere bei fortgeschrittener Leberzirrhose, durch Mikrobiommodulation ist daher ein lohnenswertes therapeutisches Ziel; erste dahingehende Erfolge durch probiotische Modulation des Mikrobioms konnten schon erzielt werden.
Möglichkeiten der Mikrobiommodulation
Klassische Strategien zur direkten positiven Beeinflussung einer Dysbiose sind Präbiotika, Probiotika und die Stuhltransplantation. Unter Präbiotika versteht man nicht verdaubare Lebensmittelbestandteile, die das Wachstum von Bakterienstämmen mit positiven Wirkungen für den Wirt gezielt anregen. Diese Eigenschaft haben zum Beispiel Fructo- und Galactooligosaccharide (FOS und GOS) sowie resistente Stärke. Präbiotika können dosisabhängig zu gastrointestinalen Nebenwirkungen führen und sollen daher immer einschleichend dosiert werden. Probiotika sind laut WHO De- finition „lebende Mikroorganismen, die, wenn sie in ausreichender Menge konsumiert werden, einen positiven Effekt auf die Gesundheit haben“. Bei den Mikroorganismen handelt es sich meist um Bakterien, zum Beispiel Lactobazillen, Bifidobakterien oder E. coli-Stämme, oder Hefepilze, zum Beispiel Saccharomyces.
Als fäkale Mikrobiotatransplantation (FMT, auch als Stuhltransplantation, fäkale Bakterien- therapie oder intestinale Mikrobiomtransplantation bezeichnet) wird die Übertragung von einem kompletten Stuhl-Mikrobiom, vornehmlich Bakterien, aber auch Phagen, Pilze, Ar- chäen und Viren, eines gesunden Spenders in den Gastrointestinaltrakt eines Patienten be- zeichnet. Dazu wird der Stuhl eines Stuhlspenders homogenisiert, von festen Stoffen befreit und verdünnt. Die Applikation kann über eine nasogastrale oder nasojejunale Sonde, über das Koloskop oder als Retentionseinlauf erfolgen. Internationale Konsensus-Empfehlungen gewährleisten die Qualitätskontrolle und die Überwachung der Sicherheit bei der FMT.
Verwendung von Laktulose
Die Verwendung von Präbiotika bei Leberzirrhose zur Therapie oder Prophylaxe der hepati- schen Enzephalopathie wurde bereits häufig untersucht. Die derzeit in den Leitlinien emp-
fohlene Prophylaxe und spezifische Therapie der episodischen hepatischen Enzephalopathie ist die Verwendung von Laktulose, einem nicht-resor- bierbaren Disaccharid. Die Wirkmechanismen beruhen auf einem Ansäuern des Stuhls und dadurch Bildung von nicht-resorbierbarem Ammonium (NH4), einer Beschleunigung der Darmpassage und Förderung der fäkalen Stickstoffelimination sowie möglicherweise der Förderung des Wachs- tums von Laktobazillen sowie der Förderung des Ammoniakstoffwechsels durch Bakterien. Laktulose wird so dosiert, dass zwei bis drei weiche Stuhlgänge pro Tag erzielt werden (individuell unterschiedlich, 15-90 g/Tag). Laktulose kann auch per Magensonde oder als Einlauf bei komatösen Patienten verabreicht werden und ist relativ gut verträglich, wobei mögliche Nebenwirkungen wie Bauchkrämpfe, Blähungen und Durchfall, die do- sisabhängig auftreten, für Patienten in der Langzeitanwendung sehr störend sein können und die Compliance bei einer Dauertherapie einschränken.
Die Evidenz für Laktulose ist mittels eines positiven Cochrane Reviews abgesichert. Für die Wirkung von Präbiotika auf die Leberfunktion im Sinne von Verbesserung der Leberfunktions-Scores oder einzelner Laborparameter der Lebersynthese konnte keine Evidenz aus klinischen Studien ge- funden werden. Ebenso konnte kein eindeutiger positiver Effekt auf das Überleben gezeigt werden.
Fäkale Mikrobiomtransplantation (FMT)
Die FMT ist ein logistisch und medizinisch herausfordernder Prozess, daher ist es unwahrscheinlich, dass diese Therapie breite Anwendung für häufige Erkrankungen wie die Leberzirrhose finden wird. Dennoch sind Studienergebnisse zur Verbesserung der Leberfunktion durch FMT hochin- teressant, da sie Rückschlüsse auf die Pathogenese und dadurch die Entwicklung breiter anwendbarer Strategien erlauben. FMT wurde bereits in kleinen Studien erfolgreich zur Behandlung von hepatischer Enzephalopathie angewandt. In einer randomisierten, kontrollierten Studie an 20 Pati- enten mit hepatischer Enzephalopathie konnte eine Verbesserung der kognitiven Funktion erzielt werden. Weitere Studien sind aktuell international in Arbeit, bei internationalen Kongressen wurde berichtet, dass die Therapie sicher sei. Es gibt auch bereits erste Sicherheitsdaten zur Anwendung von verkapselten Stuhlpräparaten als Alternative zur aufwendigen FMT. Belastbare Daten zur Besserung der Leberfunktion und des Krankheitsver- laufes sind allerdings für die FMT noch nicht vorhanden. In der Datenbank Clinicaltrials.gov sind derzeit neun laufende oder kürzlich abgeschlos- sene, aber noch nicht veröffentlichte Studien zur FMT bei Zirrhose registriert (www.clinicaltrials.gov, Abfrage am 13.10.2020).
Probiotika: Vielversprechende Strategie
Bei hepatischer Enzephalopathie wurde der Einsatz von Probiotika bereits häufig untersucht. Die ersten Studien stammen aus den 1960er-Jahren, noch lange bevor man das Darm-Mikrobiom zu untersuchen begann. Mehrere größere, randomisierte, kontrollierte Studien zeigten einen positiven Effekt von Probiotika oder der Kombination aus Prä- und Probiotika auf den Schweregrad der hepatischen Enzephalopathie, psychometrische Tests und Laborwerte. Ebenso konnte das Risiko für das Auftreten einer neuen Episode einer hepatischen Enzephalopathie reduziert werden. Aus diesen Ergebnissen lässt sich ableiten, dass Probiotika in der Prophylaxe und Behandlung der hepatischen Enzephalopathie wirksam sind, aller- dings ist aufgrund der unterschiedlichen Studiendesigns (manche verglichen gegen Placebo, manche gegen Laktulose) und unterschiedlicher verwendeter Produkte (manche sind auch nicht oder nicht mehr kommerziell erhältlich) sowie der fraglichen Überlegenheit gegenüber der Stan- dardtherapie (Laktulose) die therapeutische Relevanz dieser Therapieform noch nicht klar definiert. Der Review der Cochrane Gruppe von Februar 2017 kommt zu dem Ergebnis, dass Probiotika zwar wahrscheinlich wirksam sind, aber noch mehr Daten notwendig sind, bevor eine klare Empfeh- lung ausgesprochen werden kann.
Immunabwehr verbessert
Im Rahmen einer Arbeitsgruppe an der Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsklinik für Innere Medizin an der Medizinische Universität Graz, wurde eine doppelblinde Placebo-kontrollierte Studie mit einem rational ausgewählten Multispezies-Probiotikum aus Lactobazil- len, Bifidobakterien und Laktokokken, durch. Das Produkt wurde entwickelt, um in vitro die Darmbarrierefunktion zu verbessern, die intestinale In- flammation zu vermindern und antibakteriell wirksam zu sein. Die Ergebnisse dieser Studie an 92 Patienten mit Leberzirrhose zeigen, dass die Be-
handlung die Leberfunktion und die angeborene Immunabwehr verbessert. In dieser Ar- beit konnte auch ein Trend zu weniger Infektionen festgestellt werden. In einer weiterfol- genden Arbeit konnte gezeigt werden, dass die Wirksamkeit auf eine Verbesserung der Dysbiose und die Verbesserung der Darmbarrierefunktion zurückzuführen ist.
Mit diesem Multispezies-Probiotikum wurden mehrere Studien bei anderen Erkrankun- gen, die mit einer Störung der Darm-Leber-Achse einhergehen (Diabetes, Adipositas, metabolisches Syndrom und Migräne), durchgeführt. Diese Studien zeigen, dass dieses Produkt die Darmbarriere verbessern und die Translokation von bakteriellen Produkten dosis- und therapiedauerabhängig vermindern kann. Ebenso konnte mit einem ähnli- chen Produkt gezeigt werden, dass sich die Leberwerte und die Albuminwerte verbessern.
Die Verwendung von Probiotika, insbesondere wenn es sich um Multispeziespräparate mit Bifidobakterien und Laktobazillen handelt, scheint effektiv zu sein, um die Leber-
funktion bei Leberzirrhose verbessern zu können. Es sollten daher zeitnahe weitere große, multizentrische Studien durchgeführt werden, um die Evidenz für die Wirksamkeit von Probiotika zur Verbesserung der Leberfunktion zu erhöhen.
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Literatur bei der Verfasserin