ORDINATIONSMANAGEMENT I ORDINATIONSÜBERGABE

Generationenwechsel: Perfekte Planung ist ge- fragt

Gut vorbereitet gehen Praxisauf- und -übergabe bzw. Übernahme glatt über die Bühne. Wir haben Experten gefragt, worauf es dabei vor allem ankommt.

foto: leonhart & Leonhart

Die Pensionierungswelle rollt: Nach einer Auswertung der Altersstatistik im Dezember 2018 wird nach Anga- ben der Ärztekammer in zehn Jahren knapp die Hälfte der derzeit 18.287 niedergelassenen Ärzte in Pension gehen. Gleiches gilt für mehr als die Hälfte aller Ärzte mit Gebietskrankenkassen-Vertrag. Für die Ordination gibt es in diesem Fall zwei Optionen: zusperren oder übergeben. „Eine Übergabe ist finanziell immer die bes- sere Entscheidung als die Schließung“, sagt Mag. Jürgen Schwaiger, Leiter der Bundeskurie Niedergelassene Ärzte in der Österreichischen Ärztekammer. Vorausgesetzt, ein Nachfolger wird gefunden.

Egal, für welche Variante man sich entscheidet: „In beiden Fällen gilt, dass man rechtzeitig mit der Planung beginnt“, erklärt Mag. Verena Flatischler vom Beratungsunternehmen med4more. Im Idealfall sollte man sich dafür zumindest drei bis fünf Jahre Zeit nehmen. „Das Kürzeste ist ein Jahr, aber das ist schon sehr knapp“, weiß die Expertin. Mag. Wolfgang Leonhart von der Steuerberatungskanzlei Leonhart & Leonhart plädiert gar für einen Zeithorizont von bis zu zehn Jahren – vor allem dann, wenn die Ordination noch einmal in Schuss gebracht werden müsste. Gleichzeitig sollte auch die Finanzsituation überprüft werden, um zu klären, ab wann ein Ruhestand finanziell möglich sei. Aber auch abgesehen von Finanzbelangen muss vieles organi- siert, koordiniert und beachtet werden – das beginnt gegebenenfalls bei der Nachfolgersuche, reicht bis zur

Kündigung diverser Verträge und der Beachtung steuerlicher und rechtlicher Aspekte. Eine strukturierte Herangehensweise ist demnach mindestens ge- nauso wichtig wie ein ausreichend dicker Zeitpolster.


Die Übergabe

Erster Schritt dabei ist eine Bestandsaufnahme: Ist die Praxis für einen Nach- folger überhaupt attraktiv? Wichtige Faktoren, die es dabei zu beachten gilt, sind unter anderem Standort, Wettbewerbssituation, Altersstruktur der Mitbe- werber sowie das Potenzial der Ordinationsräumlichkeiten, der Patientenbe- stand und die Patientenstruktur. All diese Parameter wiederum dienen als Ba- sis für die Einschätzung des Praxiswerts. „Dessen Bestimmung ist von zen- traler Bedeutung bei der Übergabe“, weiß Leonhart. Dieser Punkt wird maß- geblich von den materiellen wie ideellen Werten geprägt. Unter erstere fallen

sämtliche zur Praxis gehörende Gegenstände, wie Mobiliar, Sanitär- und elektrische Installationen, Material, EDV-System und natürlich auch Geräte und Instrumente. „Um den Wert ermitteln zu können, muss alles inven- tarisiert und den einzelnen Gegenständen der entsprechende Zeitwert beigemessen werden“, beschreibt der Steuerberater. Der ideelle Wert wiederum wird unter anderem vom Praxisort (Lage, Infrastruktur, Einzugsge- biet), dem Praxisgebäude (Eigentum, Miete, Zustand etc.), dem Personal, dem zu erzielenden Gewinn und na- türlich der Patientenkartei bestimmt. „Es gibt hinsichtlich der Preisbildung von den Landesärztekammern Emp- fehlungen“, weiß Leonhart. Die Ärztekammer Wien beispielsweise rate dazu, die Patientenkartei mit einem Drit- tel des Jahresumsatzes zu bewerten.

Wer dabei auf Nummer sicher gehen will, sollte nicht nur einen Steuerberater, sondern auch andere Experten – wie beispielsweise vereidigte Sachverständige für die Bewertung von Arztpraxen, die bei der Berufsvertretung erfragt werden können – zu Rate ziehen.

Nächster Schritt im Übergabeprozess ist die Suche nach einem Nachfolger. Im Idealfall sollten zu diesem Zeit- punkt auch Ärztekammer und – bei Kassenpraxen – die Krankenkassen eingebunden werden. Apropos Kas- senärzte: Sie haben mehrere Möglichkeiten des Rückzugs. Neben der erweiterten Stellvertretung sind dies die Kündigung des Kassenvertrags in Kombination mit einem Antrag auf Übergabepraxis sowie die Kündigung des Kassenvertrags und die Ausschreibung und Nachbesetzung der Planstelle. Die Tatsache, dass dies in manchen Gegenden Österreichs, wie etwa in Teilen Niederösterreichs, mittlerweile einige Zeit dauert, ist ein weiteres Argument, sich zeitgerecht dem Thema zu widmen. Ziel sollte sein, die Praxis nahtlos, im Idealfall an einem Quartalsende, übergeben zu können. „Ist die Praxis einige Zeit geschlossen, wandern die Patienten ab“, warnt Flatischler. Doch nicht nur aus diesem Grund ist der gleitende Übergang für Übergeber und Übernehmer positiv. Auch die Übernahme von Personal, e-card- und anderen Verträgen sowie möglicherweise vorhandenen Medikamentenvorräten gestaltet sich dadurch deutlich einfacher. „Wird das alles mit dem Nachfolger abge- sprochen, kann sich dieser vieles an Kosten ersparen“, sagt Schwaiger.


Die Aufgabe der Praxis

Wird kein Nachfolger gefunden oder die Praxis aus anderen Gründen endgültig aufgegeben, geht es tatsäch- lich ans Eingemachte. Neben der Kündigung der Kassenverträge – im Übrigen für jeden Sozialversicherungs- träger separat und im Idealfall ein halbes Jahr bis ein Jahr vor Beendigung der Tätigkeit – müssen unter Einhal- tung der diversen Kündigungsfristen möglicherweise Miet- und Versicherungsverträge, der Vertrag mit dem e- card-Provider und natürlich die Dienstverträge mit den Mitarbeitern aufgelöst werden. Letztere müssen weiters bei der Krankenkasse abgemeldet werden. Weiters gilt es, sich zu überlegen, was – falls vorhanden – mit der Hausapotheke geschehen sollte. Etwa die Retournierung der Medikamente an die Lieferanten. Sowohl bei der Übergabe als auch der endgültigen Schließung der Praxis gilt es, noch so manches andere zu beachten. Unter anderem muss die Einstellung der Berufsausübung der Ärztekammer gemeldet werden. Damit verbunden ist die Streichung als ordentliches Kammermitglied in der Ärzteliste. „Das Allerwichtigste ist aber, dass der in Pen- sion gehende Arzt die Patientendatei archiviert und wiederherstellbar sichert – gleichgültig, ob es einen Nach- folger gibt oder nicht“, rät Schwaiger. Und zwar so, dass sie auch nach zehn Jahren noch wiederhergestellt werden kann. Dass die Aufzeichnungen bis zum Stichtag der Praxisübergabe oder des Pensionsantritts lücken- los vorhanden sein sollten, versteht sich von selbst. „Wir raten dazu, die Archivierung an Dienstleister auszula- gern, die die Daten in einer Cloud speichern und für die Wiederherstellung garantieren“, sagt Schwaiger. Grund für die lange Aufbewahrungsdauer seien sowohl abrechnungstechnische als auch haftungsrechtliche Gründe.

„Im Arztrecht gibt es teils 30-jährige Haftungen“, ergänzt Flatischler. Daher sei es weiters wichtig, die Berufs- haftpflichtversicherung dahingehend zu prüfen, ob der Versicherungsschutz auch in der Pension gewährt wer- de. Die Rechtsschutzversicherung sollte angesichts dessen ebenfalls nicht gleich gekündigt werden. Sehr wohl möglich ist jedoch angesichts der Verringerung des Risikos eine Prämienreduktion. Apropos Aufbewahrung: Neben den Befunden müssen auch Steuerunterlagen eine gewisse Zeit aufbewahrt werden. und zwar sieben Jahre lang. Dem Thema Steuer sollte bei der Übergabe bzw. Aufgabe der Praxis aber generell, im Idealfall un- ter Beiziehung eines Steuerberaters, Augenmerk geschenkt werden: So unterliegt beispielsweise die Veräuße- rung der Praxis der Einkommensteuer. „Aber auch die Aufgabe der Praxis und die Übernahme der Betriebsge- genstände ins Privatvermögen können steuerlich ins Gewicht fallen“, sagt Leonhart.


Finanzielle Anreize

Doch auch der Übernehmer, der sowohl aus der Familie als auch von außerhalb kommen kann, hat einiges zu beachten: Denn der Schritt in die Selbständigkeit will ebenfalls gut überlegt und geplant sein. So muss zum einen die aktuelle Finanzlage geprüft werden, sind doch mit der Übernahme einer Praxis gewisse Kosten verbun- den. In manchen Bundesländern gibt es angesichts des Ärztemangels für Allgemeinmediziner finanzielle Anreize (siehe Kasten).

Die Definition mittelfristiger Ziele und die Erstellung ei- nes Businessplans sind weitere wichtige Schritte. Hat man eine Praxis im Visier, sollte der potenzielle Überneh- mer diese einem Rundum-Check unterziehen: Handelt es sich um eine Privat- oder Kassenpraxis? Werden die Räumlichkeiten gemietet oder müssen sie gekauft wer- den? In welchem Zustand befinden sie sich, sind Inves- titionen erforderlich? Entspricht der Standort überhaupt meinen Vorstellungen? Ist er gut erreichbar? Wie sieht das Einzugsgebiet aus? Wie steht es um die Patienten- datei? Um den Mitbewerb? Können Mitarbeiter über- nommen werden? Sind diese gut ausgebildet, verfügen sie beispielsweise über Zusatzqualifikationen? Können die Verträge des bisherigen Arztes, beispielsweise mit dem e-card-Provider, übernommen werden?

„Die Überspielung der Daten auf ein anderes System ist oft kompliziert“, weiß Schwaiger. Geklärt werden sollte weiters die Form der Übergabe: Besteht beispielsweise die Möglichkeit einer Übergabepraxis? Deren Vorteil liegt auf der Hand, kann man doch für ein Jahr gemein- sam mit dem Abgeber Seite an Seite arbeiten und so Praxis und Patienten kennenlernen. Hat man nach die- ser eingehenden Analyse letztlich die Entscheidung für die Übernahme gefällt und sich mit dem Abgeber auf den zu bezahlenden Kaufpreis, möglicherweise in Form einer Rentenzahlung, geeinigt, gilt es, den Deal in einen Vertrag zu gießen – unter Zuziehung kompetenter Bera- ter.

Über all diesen technischen Details sollte man, so Fla- tischler, aber noch etwas nicht vergessen, nämlich, den Wechsel rechtzeitig an die Patienten zu kommunizieren. „Das wird leider häufig verabsäumt, was zu viel Ärger führt“, weiß sie. Für den „Neuen“ bedeutet das, dass so mancher Patient möglicherweise deshalb abtrünnig wird. Es gibt also viel zu tun – und zwar von allen Seiten.


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fotoS: istockphoto/ photo conceptsNikki Harris