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Die Versorgung von Menschen mit chronischen Suchterkrankungen erfordert eine langfristige, vertrauensvolle und kontaktintensive Betreuung. Wie auch in anderen Bereichen führt die Covid-19-Pandemie teilweise dazu, dass bereits bestehende Probleme nun wie unter einer Lupe sichtbarer werden. Eine Analyse der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) im Auftrag der Stiftung Anton Proksch-Institut Wien zeigt: Über alle Versorgungsbe- reiche hinweg – von der Prävention über ambulante und stationäre Angebote bis hin zur aufsuchenden Arbeit und Selbsthilfegruppen – zeigte sich, dass Erstkontakte und instabile Klienten von den Einschränkungen stärker in Mitleidenschaft gezogen wurden als die laufende Betreuungen jener, die sich bereits in Behandlung befunden hatten. In sechs Bundesländern kam es vorübergehend zu einer zumindest teilweisen Schließung statio- närer Behandlungsangebote Sie erfolgten teilweise explizit, um Betten für Covid-19-Patienten frei zu halten, die letztlich aber nie für diese Zwecke genutzt wurden.
E-Health als Instrument in der Krise
In vielen ambulanten Suchthilfeeinrichtungen wurde versucht, per Internet oder Telefon zu beraten. Dies stellt aber keinen vollwertigen Ersatz des persönlichen Kontaktes dar: „Das ist nicht zuletzt abhängig von der Diagnose. Zum Beispiel kann Videotelefonie bei sozialen Phobien eine ange- nehme Alternative, bei schweren Traumata hingegen keine Option darstellen. Geht es um stark schambesetze Themenbereiche, zum Beispiel wenn Eltern über Suchtprobleme ihrer Kinder reden wollen, werden anonyme digitale Angebote oft gut angenommen“, erklärt der Psychologe Dr. Alfred Uhl, stellvertretender Abteilungsleiter des Kompetenzzentrums Sucht an der GÖG. Insbesondere im niederschwelligen Bereich könne Onlin- eberatung kein vollwertiger Ersatz sein, weil vielfach die notwendigen Rahmenbedingungen aufseiten der Klienten nicht vorhanden sind, so die Studie.
Im Zuge der Pandemie hat sich nicht nur die Form, sondern auch der Inhalt der Beratungsgespräche verändert. So haben beispielsweise familiäre Konflikte – auch in Verbindung mit Gewalt – als Thema in der Suchtbehandlung zugenommen. Auch finanzielle und berufliche Probleme wie die Vereinbarkeit von Beschäftigung und Betreuungspflichten, Sorgen um den Arbeitsplatz und mit dem Jobverlust verbundene Selbstwertprobleme haben zugenommen. Die Folgen könnten aber erst viel später sichtbar werden, denn: Viele Personen können während einer akuten Krise Funkti- onsaufgaben aufrechterhalten und erkennen psychische Belastungen erst in der ersten Verschnaufpause. Zudem ist zu befürchten, dass sich das volle Ausmaß der Krisenauswirkungen erst mit Auslaufen der aktuellen Unterstützungsmaßnahmen – etwa der Kurzarbeit – zeigen wird.
Das Anton Proksch Institut war eine jener Einrichtungen, die auch in den ersten Wochen der Coronakrise durchgängig Suchtkranke behandelten und mit einer kurzen Unterbrechung auch Patienten aus dem niedergelassenen, ambulanten Bereich aufnahmen. „Die Behandlung einer Sucht- krankheit ist kein elektiver Eingriff. Der richtige Zeitpunkt ist entscheidend für den Therapieerfolg und lässt sich nicht beliebig nach vorne und nach hinten verschieben“, betont DSA Gabriele Gottwald-Nathaniel, MAS, Geschäftsführerin des Anton Proksch Instituts. „Die Schaffung einer eigenen Covid-19-bedingten Aufnahmestation war für uns daher eine zwingend notwendige Maßnahme, um eine adäquate suchtmedizinisch-therapeuti- sche Behandlung gerade in der aktuellen Krise gewährleisten zu können.“
rh