Fortbildung & Klinik I Verband der leitenden Krankenhausärzte Österreich
Auswirkungen der Pandemie in der Pädiatrie
Im Gespräch mit Prim. PD Dr. Jörg Jahnel, MBA, Vorstand der Abteilung für Kinder- und Ju- gendheilkunde, Klinikum Klagenfurt am Wörthersee und seit Kurzem Mitglied im Verband leitender Krankenhausärzte.
?Die Pandemie hat in vielen Bereichen der Medizin Kollateralschäden verursacht, weil Patienten ver- mieden haben, einen Arzt oder ein Spital aufzusuchen. Wie ist die Situation in der Pädiatrie?
Im ersten Lockdown haben wir diese Zurückhaltung auch beobachtet. Aber wir haben zu der Zeit auch nicht die gleichen Leistungen wie sonst angeboten. Aus heutiger Sicht kann ich sagen, dass die Pädiatrie eher profi- tiert hat, denn Kinder haben viel weniger Infektionskrankheiten. Es gab viel weniger Infekte der oberen Atem- weg oder auch immunologische Erkrankungen, die durch Infekte getriggert werden, wie etwa Purpura Schön- lein-Henoch, eine immunologisch vermittelte Entzündung der kleinen Blutgefäße, traten heuer fast gar nicht auf. Das hat einerseits den Grund in den allgemeinen Hygienemaßnahmen, aber auch aufgrund der Tatsache, dass kranke Kinder einfach krank sein durften und zu Hause bleiben konnten. Außerhalb der Pandemie sehen wir es oft, dass Kinder mit Infektionskrankheiten schon nach wenigen Tagen wieder in die Fremdbetreuung kommen, auch wenn sie noch infektiös waren.
?Welche Auswirkungen erwarten Sie im kommenden Jahr?
Es fehlt uns die Erfahrung, daher können wir nicht einschätzen, ob diese Krankheiten „nachgeholt“ werden, wenn wir wieder zu unseren alten Gewohnheiten zurückkehren. Wir beobachten jetzt schon einen langsamen Anstieg von Infektionskrankheiten, weil die Compliance bei den Hygienemaßnahmen in den Familien nachlässt. Das lässt sich auch am Rückgang des Desinfektionsmittelverbrauchs feststellen. Wir hoffen aber, dass die El- tern etwas aus der Pandemie mitnehmen und Händewaschen oder Abstand halten in der infektanfälligen Zeit
einfach bleiben wird. Und natürlich hoffen wir, dass die Kinder auch in Zukunft nicht in Fremdbetreuung geschickt werden, wenn sie krank oder infektiös sind.
?Wie sieht es mit den psychischen Belastungen aus?
Die Psychologie oder Psychosomatik ist nicht unser Schwerpunkt, aber wir sehen schon auch, dass psychosoziale Belastungen zugenommen haben, und zwar eher bei Jugendlichen als bei Kindern. Das äußert sich in Essstörungen, der Tag-Nacht-Umkehr oder der Überforderung, das Homeschooling und den neuen Alltag zu managen. Der Bewegungsmangel führt häufiger zur Obstipation. Das sind aber keine Kollateralschä- den, sondern die Frage, wie sehr wir und unsere Kinder lernen können mit Leere oder Nicht-Beschäftigtsein umzugehen. Oft haben Kinder und Jugendliche so viele extraschulische Freizeitaktivitäten, dass sie sich darüber nie Gedanken machen müssen. Ich sehe es positiv: Viele Kinder freuen sich jetzt schon auf die Schule. Das Miteinander bekommt wieder mehr Wertschätzung.
?Sie sind neues Mitglied im VLKÖ. Welche Unterstützung erwarten Sie hier für Ihre Arbeit?
Die Vernetzung, Kooperation und Gespräche sind enorm wichtig. Wir haben alle die gleichen Herausforderungen als Führungskräfte im Ge- sundheitswesen. Es ist wichtig, das System immer wieder anzupassen und zu verändern. Dazu müssen wir uns aber austauschen, welche Ef-
fekte das haben kann. Im Spital haben wir neben Themen wie Arbeitszeitgesetz, Gene- ration X und Y oder Work-Life-Balance auch den Mitbewerb im niedergelassenen Sektor. Primarärzte sind ein zentrales Verbindungs- glied zwischen Mitarbeitern, Kollegen, der Direktion und der Verwaltung. Es gibt einen Punkt, wo es für viele Ärzte attraktiver ist, in die Wahlarztordination zu wechseln – hier müssen wir ansetzen und auch vonseiten der Spitäler attraktive Wege anzubieten, damit uns gute Kollegen nicht verloren gehen.
rh