Forschung | Covid-19-Studie

Lebenssinn und

Selbstkontrolle schützen gegen Stress

Foto: istockphoto/damir cudic

Forscher der Uni Innsbruck und der Charité –

Universitätsmedizin Berlin stellen fest: Depressivität

und Ängstlichkeit sind signifikant gestiegen.

Bereits zahlreiche Studien haben in den letzten Wochen darauf hingewiesen, dass die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auf die psychi- sche Gesundheit der Menschen enorm groß sein können und weite Teile der Bevölkerung betreffen. Die Sinnforscherin Prof. Dr. Tatjana Schnell vom Existential Psychology Lab am Institut für Psychologie der Universität Innsbruck hat im Frühjahr gemeinsam mit PH Dr. Henning Krampe von der Klinik für Anästhesiologie der Charité Berlin eine umfassende quantitative Studie gestartet: Im Zeitraum von 10. April bis 28. Mai 2020 wurden insgesamt 1.538 deutschsprachige Personen vor allem aus Österreich und Deutschland in Form von Onlinefragebögen zu ihren Lebensbedingun- gen, ihrer Wahrnehmung von Covid-19-Stress und zu verschiedenen Merkmalen der seelischen Gesundheit befragt. Im Mittelpunkt steht der Ein- fluss des Faktors Lebenssinn für die Menschen in der Zeit der restriktiven Lockdowns und danach sowie die Selbstkontrolle bei der Anpassung an die Ausnahmesituation.


Ältere Menschen resilienter

Besonders ältere Menschen zeigen hohe Resilienz. Die Daten wiesen darauf hin, dass sie mit deutlich weniger negativen psychischen Konsequen- zen zu kämpfen hatten als jüngere Personen: „Das Sinnerleben steigt mit dem Alter an. Ältere Menschen sind oft besser in der Lage, Metaperspek- tiven einzunehmen und profitieren somit auch in ihrer psychischen Stabilität stärker von ihrer Lebenserfahrung“, so die Forscher. Die ersten, nun publizierten Ergebnisse zeigen deutlich, dass die psychische Belastung während der ersten Monate der Pandemie deutlich erhöht war. „Men- schen, die in ihrem Leben einen starken Sinn sahen, berichteten aber insgesamt von einer weniger starken psychischen Belastung. Auch die Fä- higkeit der Selbstkontrolle – die im Hinblick auf die Einhaltung der Restriktionen sicherlich eine Ressource darstellt – war dem psychischen Befin- den zuträglich. Beide, Sinnerfüllung und Selbstkontrolle, wirkten als eine Art Puffer: sie schwächten den Zusammenhang zwischen Covid-19-Stress und psychischer Belastung ab“, erläutert Schnell und ergänzt: „Während der strengen Ausgangsbeschränkungen war die Lage für alle klar. Es gab eindeutige Vorgaben und alle waren sozusagen im gleichen Boot. Diese ‚Wir packen das‘-Stimmung hat sich für viele Menschen wohl eher positiv ausgewirkt.“ In den Wochen nach den Lockerungen der strikten Ausgangsbeschränkungen registrierten Schnell und Krampe sowohl zunehmende Sinnkrisen und schwerere psychische Belastungen als auch gesunkenes Sinnerleben und Defizite in der Selbstkontrolle. „Wir gehen davon aus, dass die Selbstkontrolle bereits kurz nach dem Lockdown – aber inzwischen auch gesamtgesellschaftlich gut beobachtbar – deshalb abgenom- men hat, weil die Sinnhaftigkeit der Restriktionen weniger deutlich nachvollziehbar ist.“ Hier appellieren Schnell und Krampe einmal mehr an die Verantwortlichen in der Politik: „Wer eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz anstrebt, sollte auch partizipativ agieren. Das würde bedeuten, dass Politikgestaltung verschiedene Perspektiven einbezieht, also neben Medizin und Wirtschaft auch Sozial- und Geisteswissenschaften. Darüber hin- aus bedeutet demokratische Beteiligung auch die aktive Einbindung von Minderheiten und wesentlicher Interessengruppen. Wenn dies gelingt, dann hat Selbstkontrolle weniger mit Gehorsam oder Widerstand zu tun, sondern ist ein mögliches Ergebnis einer informierten persönlichen Ent- scheidung.“


rh