Kur & Gesundheitsvorsorge | Balneologische Kur

Balneologische Kur:

Entwicklung über 20 Jahre

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Trotz negativer Entwicklungen ist eine richtig verstandene Kur nach wie vor ein wesentlicher Teil eines umfassenden Angebots im Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens.

Die Beurteilung der Wertigkeit gesundheitsförderlicher Maßnahmen ist an das Ver- ständnis der Eigenart dieser Verfahren gebunden. Balneomedizinische Kuren weisen unter anderem folgende Kennzeichen auf:

• Iterative Anwendung sogenannter ortsgebundener natürlicher Heilvorkommen

• Definierte Kurdauer

• Gestaltung der therapeutischen Maßnahmen entsprechend der Indikationserstellung

• Nachhaltigkeit der gesundheitsförderlichen Effekte

• Teil der traditionellen europäischen Medizin

• Systemischer Ansatz

• „Mehrzweckfunktion“


Anwendung ortsgebundener natürlicher Heilvorkommen

Die gezielte Anwendung der ortsgebundenen natürlichen Heilvorkommen stellt nach wie vor eine Grundlage der balneomedizinischen Kur dar. Letztlich beruht dieser Be- griff auch auf gesetzlichen Vorgaben und weist daher eine seriöse Grundlage im Hin- blick auf die praktische Anwendung dieser Medien auf. Wird jedoch die Entwicklung der balneologischen Kur in den letzten beiden Dezennien betrachtet, so ergeben sich daraus Probleme aus unterschiedlichen Perspektiven. Eines dieser Probleme betrifft die Wertschätzung der natürlichen ortsgebundenen Heilvorkommen im Gesundheits- wesen. Im Zeitraum der diesem Beitrag zugrunde gelegten 20 Jahre wurde das früher geltende Bundesgesetz über natürliche Heilvorkommen aufgelassen und alle damit im Zusammenhang stehenden Agenden ausschließlich an die Bundesländer übertragen. Die sich daraus ergebende Inhomogenität in der Auffassung der Anerkennung der na- türlichen ortsgebundenen Heilvorkommen und deren Anwendung sowie des Kurbe- griffs an sich war für die Entwicklung der balneomedizinischen Kur nicht unbedingt förderlich.

Eine ähnliche Aussage kann auch hinsichtlich des fast vollständigen Rückzugs der uni- versitären medizinischen Institutionen aus der balneomedizinischen Forschung und Ausbildung getroffen werden. Dieses wissenschaftliche Defizit besteht weiterhin und wird durch lokale kurörtliche Forschung nicht wettgemacht.


Kurdauer und Nachhaltigkeit

Diese Thematik muss in erster Linie aus der Sicht von Alternativangeboten im Sinne von sogenannten Wellnessaufenthalten diskutiert werden, weil im Gesundheitstouris- mus die Tendenz besteht, kurzfristige Aufenthalte unterschiedlicher Art als gesund- heitsförderlich zu verkaufen, wobei auch der gelegentliche Einsatz ortsgebundener na- türlicher Heilvorkommen eine Rolle spielt. Seriöse wissenschaftliche Studien über nachweisliche gesundheitsförderliche Effekte dieser Art von Urlaubsgestaltung existie- ren nicht. Dies betrifft vor allem nachhaltige Effekte, die für Kuren mit ausreichender Kurdauer wiederholt nachgewiesen wurden. Die wissenschaftliche Grundlage für die mehrwöchige Kurdauer mit der iterativen Anwendung der therapeutischen Maßnah- men sowie der Nachhaltigkeit des Kurerfolgs liefern die Erkenntnisse der Adaptations- physiologie. Die von manchen Vertretern des Gesundheitstourismus gehegte Erwar- tung, dass das „moderne Wellnessangebot“ früher oder später die „altmodische Kur“ gleichwertig oder sogar noch besser ersetzen wird, erscheint zumindest dem Verfas- ser des vorliegenden Beitrags fragwürdig.


Von den Vertretern des Gesundheitstourismus und von Marketingexperten wird immer wieder beklagt, dass der Begriff Kur zu sehr an Krankheit und Alter erinnert und dass daher die Kur weder gut beworben noch gut verkauft werden kann. Es ist durchaus möglich, Kur unter den Begriff der Gesundheit zu stellen, wobei in dieser Hinsicht ver- schiedene Ebenen der Gesundheit angesprochen werden können. Bei diesen drei Ebenen handelt es sich um die Begriffe Gesundheitsförderung, Gesundheitsvorsorge und Gesundheitswiedererlangung.


Auch darin äußert sich die schon seit langer Zeit für den Kurort reklamierte Mehr- zweckfunktion. Wesentlich für das Verständnis der gesundheitsdienlichen Potenz von balneomedizinischen Kuren ist die Berücksichtigung der Tatsache, dass nicht die von außen applizierten Maßnahmen allein für den Kureffekt maßgeblich sind, sondern eine Kombination dieser Maßnahmen und der physiologischen Reaktionen des Organis- mus. Es wird daher im Zusammenhang mit Kuren immer schon von einer Reiz-Reakti- onstherapie oder Regulationstherapie gesprochen. Dabei ist auch zur Kenntnis zu neh- men, dass serielle Reize mit eher subtiler Reizstärke des Einzelreizes zu umfassenden Effekten im Organismus führen können. Dies entspricht der Tatsache, dass in rückge- koppelten Systemen kleine Ursachen große Auswirkungen haben können.

Wie dies auch aus dem Begriff „Gesundheitsvorsorge aktiv“ der PVA hervorgeht, sollen die Kurbetriebe in der Zukunft stärker in die Bemühungen der Gesundheitsvorsorge eingebunden werden. Diese Überlegung kann durchaus begrüßt werden, es darf aber dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass Gesundheit ein komplexer Begriff ist, der zudem in einer vorwiegend pathogenetisch und nicht salutogenetisch orientierten Medizin ein gewisses Umdenken erfordern wird.


Systemtheoretischer Ansatz

Ein Verständnis für die Wertigkeit der komplexen balneomedizinischen Kur setzt vor- aus, dass das Wirkungsprinzip dieses gesundheitsförderlichen Verfahrens nicht auf der Basis von einfachen Kausalbeziehungen verstanden werden kann, wie sie der na- turwissenschaft-lichen Denkweise zugrunde liegt. Es geht dabei vielmehr um einen systemischen Ansatz, wie er für eine integrative Medizin kennzeichnend ist. Der Begriff Integration ist unterschiedlichen Interpretationen zugänglich:

• Integration von naturwissenschaftlich fundierter Medizin und Komplemen-tärmedizin sowie Erfahrungsheilkunde

• Berücksichtigung psychischer, sozialer und geistiger Aspekte

• Verbindung von Empirie und Theorie sowie von Theorie und Praxis

• Einbindung von Gesundheit und Krankheit in die Anforderungen der Umwelt

• Anerkennung der Tatsache, dass der Mensch nicht aus voneinander unabhängigen Teilen besteht, sondern aus funktioneller Sicht als emergentes, komplexes System zu betrachten ist.


Alle diese Facetten der Integration können mit der komplexen medizinischen Kur in Übereinstimmung gebracht werden. Die traditionelle Kur hat daher schon vor der Bil- dung des Begriffs diese Denkweise praktiziert. Sie erweist sich also in dieser Hinsicht als durchaus zeitgemäß.


Zusammenfassung

Die aktuelle Wertigkeit der komplexen balneomedizinischen Kur im Gesundheitswesen beruht nicht zuletzt auf der Tatsache, dass diese Art des Gesundheitsangebots Cha- rakteristika aufweist, die dem Anspruch einer integrativen und systemischen Zugangs- weise zur Gesundheit entsprechen. Obwohl in der Entwicklung der Kur in den letzten 20 Jahren auch negative Entwicklungen festzustellen sind, ist eine richtig verstandene Kur nach wie vor ein wesentlicher Teil eines umfassenden Angebots im Bereich des öf- fentlichen Gesundheitswesens. Literatur beim Verfasser

Autor:

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Marktl

GAMED-Wiener Internationale Akademie für Ganzheitsmedizin

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