foto: istockphoto/ Andrey Popov

FORTBILDUNG & KLINIK  | Ärztemangel

Ärztemangel ver- schärft sich weiter

Aktuelle Auswertung der Altersstatistik von 18.287 nie- dergelassenen Ärzten zeigt den Ist- und Nachbesetzungs- bedarf.

„Der Ärztemangel in Österreich verschärft sich spürbar und messbar von Jahr zu Jahr“, sagt Dr. Johannes Steinhart, Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte und Vizepräsident der Österreichischen Ärzte- kammer, und ergänzt: „Die Auswertung der aktuellen Altersstatistik der 18.287 niedergelassenen Ärzte mit Stand Dezember 2018 zeigt, dass in den kommenden Jahren dramatische zahlenmäßige Einbrüche in der ärztlichen Gesundheitsversorgung drohen. Und es ist aus heutiger Sicht aussichtslos, diesen Bedarf auch nur annähernd zu decken, wenn nicht rasch und entschlossen gehandelt wird. Das gilt sowohl für Allgemein- mediziner als auch für Fachärzte, sowohl für Kassenärzte als auch für Wahlärzte.“


Etwa die Hälfte steht vor der Pension

Die Altersverteilung der niedergelassenen Ärzteschaft hat sich zwischen 1998 und 2018 dramatisch ver- schoben. 1998 lag die höchste Alterskonzentration bei etwa 45 Jahren, heute bei etwa 60. In zehn Jahren werden die meisten aus dieser Gruppe bereits in Pension sein. Konkret werden dann 48 % aller niedergelas- senen Ärzte, also fast die Hälfte, das Pensionsantrittsalter erreicht haben. „Verschiebt sich die Altersvertei- lung in Richtung Pensionsalter, so gehen jedes Jahr Stellen verloren, die aber bei Weitem nicht mit jungen Ärzten nachbesetzt werden können, weil die Entwicklung insgesamt deutlich rückläufig ist“, so Steinhart.

„Den mittelfristigen jährlichen Nachbesetzungsbedarf haben wir mit 938 niedergelassenen Ärzten errech- net“, so Steinhart. Das ist die Anzahl zusätzlicher niedergelassener Ärzte, die zur Aufrechterhaltung des Sta- tus quo in fünf Jahren benötigt werden, um die pensionsbedingten Abgänge zu kompensieren. „Allerdings sind wir weit davon entfernt, diesen Bedarf decken zu können. 2017 gab es an den öffentlichen Universitä- ten 1.665 Absolventen eines Medizinstudiums und wir wissen, dass um die

40 % davon nicht in Österreich als Ärzte arbeiten werden“, sagte Steinhart. Rein rechnerisch müssten also alle in Österreich verbleibenden Absolventen niedergelassene Ärzte werden, um den Bedarf zu decken. Ver- schärfend kommt zu diesen Berechnungen noch dazu, dass der Ärztebedarf in Zukunft steigen wird, weil die Bevölkerung wächst und älter und somit betreuungsintensiver wird.


Nachwuchs fehlt

Dramatisch ist die Situation bei den 7.099 Ärzten mit einem GKK-Vertrag. In zehn Jahren haben 55 % aller Ärzte mit GKK-Vertrag das Pensionsalter erreicht. Von den Allgemeinmedizinern mit GKK-Vertrag wird jeder Zweite in zehn Jahren das Pensionsalter erreicht haben, von den Fachärzten 60 %. „Besonders alarmierend ist hier das sukzessive Ausbleiben des Nachwuchses. Das steht in einem scharfen Kontrast zum mittelfristi- gen Nachbesetzungsbedarf von 434 GKK-Ärzten pro Jahr“, sagt der Kammervertreter.

So werden zum Beispiel von den heute 239 praktizierenden Orthopäden mit GKK-Vertrag in zehn Jahren 64 % das Pensionsalter erreichen. Bei den 394 Frauenärzten sind es über 65 %, bei den 166 Urologen 58 %, und bei den heute praktizierenden 390 Fachärzten für Innere Medizin 61 %. Der zahlenmäßige Nachwuchs lässt in all diesen genannten Fächern zu wünschen übrig. „Diese düstere Perspektive bekräftigt einmal mehr unsere Forderungen, dass die Rahmenbedingungen der kassenärztlichen Tätigkeit deutlich attraktiver wer- den müssen, damit sich junge Ärzte wieder für einen Kassenvertrag entscheiden“, so Steinhart.


Deutschland zeigt, wie es geht

„Auch die Entwicklung bei den Wahlärzten bietet wenig Anlass zu Optimismus“, so Steinhart. Von den heute praktizierenden 10.099 Wahlärzten erreichen in den nächsten zehn Jahren fast 42 % das Pensionseintrittsal- ter und bei den Jüngeren sind die Zahlen rückläufig. „Diese alarmierenden Fakten sollen der Politik eine kon- krete Grundlage für wirksame Gegenmaßnahmen bieten und gewinnen vor dem Hintergrund der ‚Kassenre- form‘ und der zu gründenden ‚Österreichischen Gesundheitskasse‘ zusätzliche Aktualität“, sagte Steinhart.

Mögliche Gegenmaßnahmen zeige das Beispiel Deutschland, wo das Problem Ärztemangel politisch weitge- hend unbestritten ist. Der „Masterplan Medizinstudium 2020“ sieht dort eine Erhöhung der Zahl der Medizin- studenten vor. Zahlreiche deutsche Bundesländer vergeben Landarztstipendien bzw. planen das – wer eines bekommt, verpflichtet sich, einige Jahre in der jeweiligen Region zu arbeiten. Jungärzte werden von ländli- chen Regionen mit Geld und sonstigen attraktiven Zusatzleistungen geködert. Immer mehr deutsche Ärzte- kammern – zuletzt in Niedersachsen – befürworten als Reaktion auf den Ärztemangel die Online-Betreuung von Patienten auch ohne vorangegangenen persönlichen Kontakt. „Wie immer man zu solchen Maßnahmen auch stehen mag: In Deutschland ist jedenfalls auf breiter Basis Bewegung in die Sache gekommen“, so Steinhart. Auch in Österreich seien einige Bundesländer bereits aktiv geworden, für einen nachhaltigen Er- folg bedürfe es allerdings auch wirksamer Aktivtäten auf Bundesebene. „Entscheidend wird sein, dass die Arbeitsbedingungen von Ärzten in Österreich nicht weniger attraktiv sind als im Ausland, insbesondere im deutschsprachigen, sondern möglichst noch besser. Und hier besteht noch Nachholbedarf, will man die ärztliche Abwanderung erfolgreich stoppen. Das ist nicht nur eine Frage der angemessenen Honorierung ärztlicher Leistungen, sondern auch von flexiblen Arbeitsmöglichkeiten und weniger Bürokratie.“ Dringend nötig sind nach Ansicht von Steinhart gemeinsame Anstrengungen aller betroffenen Ministerien und Interes- sensvertretungen: „Es muss ein Paket geschnürt werden, das dafür sorgt, dass nicht nur ausreichend viele Ärzte ausgebildet werden, sondern dass diese auch in Österreich bleiben.“


rh