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Wenn über Cannabis diskutiert wird, vermischen sich häufig die beiden Aspekte „Droge“ und „Medizin“. Es gibt eine Reihe von Beschwerdebildern, bei denen Ärzte Cannabis verschreiben. Hier entwickelt sich nur selten eine Sucht.
Zum Stellenwert der Cannabis-Therapie in der Schmerzme- dizin melden sich häufig selbsternannte „Experten“ zu Wort, die aber meist mit psychiatrischer und psychologischer Forschung zur Suchtentstehung nur wenig vertraut sind. Sucht und Schmerz sind zwei Epiphänomene mit sehr un- terschiedlichen Ursachen und Verläufen. Fachgesellschaf- ten definieren aus einem Sicherheitsbedürfnis oft Regeln, die die Verschreibung von Schmerzmitteln erschweren. Der Stellenwert der Therapie mit der Haschischblüte und mit verschiedenen Cannabinoiden wurde in der Geschichte so- wohl hochgelobt wie auch verteufelt. Die Entdeckung der Cannabis-Rezeptoren CB 1 und CB 2 sowie die Tatsache, dass der CB-1- Rezeptor in den Regelkreis der Funktionen Schmerzverarbeitung, Craving, aber auch in der Motivation zur Lebensstiländerung eine wesentliche Rolle spielt, haben die Forschung zu Agonisten und Antagonisten – wie zum Beispiel Cannabinoide oder Rimonabant – massiv beein- flusst. Neben dieser wissenschaftlichen Arbeit hat es aber
immer auch viele anekdotische Fallberichte zu Einsatzgebieten gegeben, wobei dann aus der Suchtexperten-Ecke mit negati- ven Anekdoten die Gefahren dieser Pflanze immer wieder in verschiedenen Medien betont wurden. Es gibt wichtige Fakten, die für die Fragestellung berücksichtigt werden müssen: Abhängigkeitserkrankungen wie auch Schmerzpatienten sind sehr hetero- gen und auch wenn die verwendeten Substanzen Gemeinsamkeiten vortäuschen, gibt es wichtige Unterschiede, die berück- sichtigt werden müssen (UNODC und WHO March 2016: International Standards for the Treatment of Drug Use Disorders, Posi- tionspapier zum Einsatz von Opioiden bei tumor- und nichttumorbedingten Schmerzen auf www.oesg.at).
Theorien zur Suchtentstehung
Seit etwa 50 Jahren werden zwei wesentliche Theorien zur Suchtentstehung diskutiert:
1.Gateway drug theory: Sie basiert auf der Hypothese, dass die Entwicklung einer Drogensucht durch die pharmakologische Wirkung eines Suchtmittels wie Tabak, Alkohol oder Cannabis schon nach einmaliger Einnahme oder nach einer Zeit eines Ge- brauchs zum Missbrauch und zur Abhängigkeit führt. Der Einnahme einer „leicht“ suchtmachenden Substanz folgt der Miss- brauch von „harten“ Drogen. Dieser Ansatz hat vor allem in den USA und im Norden Europas Anhänger. Häufig wird Cannabis- konsum als Ursache für den späteren Missbrauch anderer Drogen wie Kokain oder Heroin verantwortlich gemacht. Tatsächlich ist Cannabis die am häufigsten konsumierte illegale Droge der Welt. Zahlreiche Forscher beschrieben, dass Cannabiskonsu- menten ein höheres Risiko haben, andere Drogen wie Kokain, Heroin und Halluzinogene, aber auch Alkohol und Nikotin zu konsumieren. Es wurde aber auch gezeigt, dass 95 % der Cannabiskonsumenten nach längstens einem Jahr mit dem Drogen- konsum wieder ohne jede Therapie aufhören.
Neuere Studien haben gezeigt, dass bereits Zigaretten- und Alkoholkonsum und nicht erst THC-Konsum für den späteren Miss- brauch illegaler Drogen verantwortlich sind. Der Konsum von Tabak und Alkohol in frühen Jahren erhöht die Wahrscheinlichkeit, später Cannabis und andere illegale Drogen zu gebrauchen. Tabak, Alkohol und Cannabis sind in enger Verbindung zu sehen. Ein sehr früher Gebrauch von Alkohol und Tabak führt häufig zum Cannabiskonsum, eine Verbindung zu anderen Drogen ist wesentlich schwächer.
2.Cummulative Risk Behaviour
Theory: Kontrovers zur Einstiegsdrogentheorie ist zunehmend gesichert, dass der Gebrauch psychoaktiver Substanzen von dem Zusammenspiel vieler Risikofaktoren abhängig ist. In empirischen internationalen Untersuchungen konnte der Einfluss von Faktoren wie Persönlichkeit, Geschlecht, Alter, Schultyp und Familienstruktur auf den Konsum illegaler Drogen gezeigt werden. Diese Vulnerabilitätstheorie besagt, dass primäre Vulnerabilitäten dazu führen, dass Suchtmittel als Selbstbehandlung einge- setzt werden, diese Sicht ist sehr komplex und hat vor allem in Mittel und Südeuropa großen Zuspruch.
Diese definierten Ursachen führen nach dem Schweregrad der Störungen zu unterschiedlichen Untergruppen. Stehen individu- elle Faktoren im Vordergrund, spielen Angst und Depression eine wesentliche Rolle; sind vor allem Gesellschaftsfaktoren als Ursache zu sehen, ist erlerntes Verhalten wesentlich und spielen Suchtmittel selbst den wesentlichsten Teil, sind vor allem Tole- ranz und Entzugserscheinungen zu beobachten (Typologie nach Lesch, www.lat-online.at).
Werden Suchtmittel nach klaren Indikationen genommen, zum Beispiel Opiate oder Cannabis für Schmerzpatienten mit einem klaren somatischen Substrat oder Benzodiazepine zur Behandlung einer Epilepsie, kann es zwar zu einer Dosissteigerung kommen, weil die Wirkung nachlässt oder der somatische Befund zu stärkeren Schmerzen führt, aber es entwickelt sich ohne andere massive Risikofaktoren fast nie eine Sucht. Diese Patienten sind meist nicht mehr jung und die Suchtgefahr ist umso größer, je jünger die Einnehmenden sind. Wenn man alle diese Faktoren gewichtet, kann Cannabis nicht als Einstiegsdroge be- zeichnet werden und sollte, bei einer klaren und nachgewiesenen Indikation, wie jedes andere Medikament verschrieben wer- den können. Aus meiner Sicht fehlen wissenschaftliche Daten, die die Wirksamkeit von Cannabis in den Indikationen Schmerz, Spastik, Onkologie und psychische Störungen evidenzbasiert belegen. Dieses Thema wird in einer Veranstaltung der österrei- chischen Gesellschaft für Suchtmedizin am 10. Oktober 2019 diskutiert.
Image verändern
Wenn man Cannabiskonsum reduzieren möchte, ist es von hoher Wichtigkeit das Image der Substanz zu verändern. Cannabis ist ein Unkraut, das überall wächst und sich zur Stoff- und Papierproduktion eignet, aber auch als Salbe für die Haut alter Men- schen eingesetzt wird. Cannabis ist keine „besondere“ Substanz und wird in der Medi- zin – wie auch viele andere Pflanzen – verwendet. Als Suchtmittel ist es schwach, als Schmerzmittel für Schwerkranke kann Cannabis oft die Symptome lindern. Cannabis gehört in die Apotheke, aber nicht in eine Verbotsliste. Rauchen von Cannabis ist ähn- lich wie Zigarettenrauchen zu bewerten, da auch dort kanzerogene Stoffe im Verbren- nungsprozess entstehen.
Literatur beim Verfasser