Kalter Wind, ein heißes Bad oder Schwitzen beim Sport –viele Menschen reagieren auf alltägliche Situationen miteinem juckenden Hautausschlag, der von Schwellungenbegleitet sein kann.
Jeder Vierte ist irgendwann im Leben von einem Ausschlag betroffen, der ähnlich aussieht, also hätte man auf Brennnesseln gegriffen – der Nes-selsucht oder Urtikaria. In den meisten Fällen heilt die Hautveränderung rasch ab. Bei rund einem Prozent halten sich die Symptome jedoch längerund die Krankheit wird chronisch. Einblick in Ursachen, Therapiemöglichkeiten und den Stand der Wissenschaft gibt Oberärztin Priv.-Doz. DDr. Sa-bine Altrichter von der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie am Kepler Universitätsklinikum GmbH.
?Wie macht sich Urtikaria bemerkbar?
Urtikaria ist eine der häufigsten Erkrankungen der Haut. Sie ist auch unter den Namen Nesselsucht, Quaddelsuchtoder Nesselfieber bekannt. Das Erscheinungsbild sind plötzlich auftretende juckende Quaddeln auf der Haut. Daskann den ganzen Körper oder nur Teile betreffen oder nach bestimmten Reizen wie Kälte oder Sonnenlicht auftreten.Auch spontan ohne besonderen Grund, häufig aber auch bei Stress können bei bestimmten Menschen die Nesselaus-schläge sichtbar werden. Neben Quaddeln können zudem tiefe Schwellungen der Haut, die Angioödeme, sichtbarwerden.
?Welche Formen von Urtikaria gibt es?
Bei einer akuten Urtikaria, das ist die häufigste Form, dauern die Episoden nur wenige Tage oder Wochen. Für die Be-troffenen sehr belastend sind Episoden, die länger als sechs Wochen andauern und oft über Monate oder sogar Jahrebeobachtet werden. Dabei handelt es sich um die chronisch-spontane Urtikaria. Weiters unterscheidet man noch in diephysikalische Urtikaria, bei der Auslöser wie der Kontakt mit Kälte, Sonne oder Schweiß sowie beispielsweise Reibungauf der Haut der Grund sind.
?Welche Auslöser kennt man?
Die juckenden Quaddeln auf der Haut entstehen als Folge der Freisetzung von Histamin aus Mastzellen. Gründe füreinen akuten Schub können Medikamente, Infekte, Nahrungsmittel oder physikalische Reize wie Wärme, Kälte, Druckoder Anstrengung sein. Aufgrund der komplexen Auslöser kennt man die Ursachen noch nicht genau, die Wissen-
schaft geht aber von einer Störung im Immunsystem aus. Eine Allergenkarenz, wie etwa bei Pollen, Hausstaubmilben oder bestimmten Nahrungs-mitten ist hier nicht möglich. Wenn der Auslöser physikalische Reize sind, kann man den Patienten schon mit ein paar Tipps im Alltag zur Vermei-dung weiterhelfen, um die Lebensqualität zu verbessern.
?Wie sieht die Epidemiologie aus?
Wir wissen, dass überproportional viele Frauen betroffen sind. Etwa zwei Drittel der Patienten sind weiblich und es gibt einen gewissen Altersgipfelbeim 50. Lebensjahr. Die spontane Urtikaria ist aber in jedem Alter eine der häufigsten Hauterkrankung. Männer sind von physikalischen Formender Urtikaria, wie der Druck- und Schwitzurtikaria eher betroffen.
?Welches klinisches Bild tritt auf?
Sehr typisch sind die Quaddeln, die rundlich und von stecknadelkopfgroß bis hin zu großen Flächen sein können. Meist sind sie rot, manchmalauch blass und mit Umgebungsrötung. Charakteristisch ist auch der Juckreiz, der vor allem bei chronischer Urtikaria sehr belastend für die Betrof-fen sein kann. Im Gegensatz zu anderen Hauterkrankungen können die Quaddeln innerhalb von wenigen Stunden auch wieder komplett ver-schwinden. Die Urtikaria ist eine sehr wandelbare Erkrankung. Typisch ist, dass sie immer wieder auftritt, dabei aber auch zu anderen Körperarea-len wandern kann. Häufig ist das Auftreten der Quaddeln begleitet von Schwellungen an Augen, Lippen, Händen oder Ohren. Manchmal tretenauch nur Schwellungen ohne Quaddeln auf.
?Wie erfolgt die Diagnose?
Nachdem die Hautausschläge spontan auftreten und auch rasch verschwinden können, ist es häufig schwierig, wenn genau beim Arztbesuch kei-ne Symptome auftreten. Mittlerweile machen viele Patienten Fotos mit dem Smartphone, halten so die Episode fest und erlauben eine Beurteilung.Wir empfehlen auch als Basisdiagnostik eine Blutuntersuchung, um schwerwiegende andere Erkrankungen auszuschließen, denn es gibt z. B. hä-matologische Erkrankungen, die ebenfalls Quaddeln verursachen können.
?Wie erfolgt die Therapie?
Die Therapie der chronischen Urtikaria erfolgt in drei Stufen: Zu Beginn startet man mit der Gabe eines Antihistaminikums, das verringert denJuckreiz und verhindert weitgehend das Auftreten neuer Quaddeln. Dauern die Symptome trotz täglicher Einnahme des Antihistaminikums weiteran, erfolgt eine Erhöhung der Dosis. Führt auch das nach weiteren ein bis vier Wochen noch immer nicht zum gewünschten Therapieerfolg, kommtzusätzlich zum Antihistaminikum ein Wirkstoff wie Omalizumab, ein Biologikum oder in ausgewählten Fällen Cyclosporin A zum Einsatz.
?Woran arbeitet aktuell die Forschung?
Einerseits möchte man besser verstehen können, wie es überhaupt zu der Erkrankung kommt und ob es unterschiedliche Untergruppen gibt, weilmanche Patienten auf Allergietabletten ansprechen und manche nicht. Weiters gibt es akutell laufende Studien zu neuen Biologikatherapien.
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Expertenkonsensus zu praxisrelevanten Aspekten bei der Behandlung der chronischen Urtikaria
Die chronische Urtikaria (CU) ist eine häufige und für viele Patienten stark belastende Erkrankung. Die aktuelle Urtikaria-Leitlinie beschreibt dieevidenzbasierte Diagnostik und Therapie der CU. Im Mai 2020 fand ein digitales Treffen deutscher Urtikaria-Experten statt, in dem praxisrelevan-te Aspekte der Behandlung der CU erörtert und unterstützende Hilfestellungen für den klinischen Behandlungsalltag formuliert wurden. Zum we-sentlichen Ergebnis zählt, dass die Diagnose einer CU in kurzer Zeit mittels gründlicher Anamnese, einer körperlichen Untersuchung und einerlaborchemischen Basisdiagnostik gestellt werden kann. Eine erweiterte Diagnostik ist nur in wenigen Fällen indiziert und sollte grundsätzlich par-allel zu einer effektiven Therapie erfolgen.
Generell gilt, dass die CU immer auf gleiche Weise zu therapieren ist, unabhängig davon, ob Quaddeln, Angioödeme oder beides auftreten. Einesymptomatische Therapie sollte nach dem von den Leitlinien empfohlenen Stufenschema erfolgen. Die vorliegende Publikation gibt hierzu prakti-sche Hinweise für Fragen in der Praxis, wie zum Beispiel dem Vorgehen in der aktuellen Covid-19-Pandemie, dem kardialen Risiko unter höherdosierten H1-Antihistaminika, der Selbstapplikation von Omalizumab sowie dem Impfen unter Omalizumab-Therapie. Zusätzlich zu den Behand-lungsempfehlungen werden Themen wie die Dokumentation in der Praxis und Familienplanung bei Urtikaria besprochen. Diese unterstützendenBehandlungsempfehlungen dienen als Ergänzung zu den aktuellen Leitlinien der CU und geben beim Umgang mit Patienten mit CU eine Hilfe-stellung für den Praxisalltag. Ziel ist es, dass Patienten, die unter einer CU leiden, mithilfe einer optimalen Therapie eine vollständige Beschwer-defreiheit erreichen.
Quelle: Bauer A, Dickel H, Jakob T, Kleinheinz A, Lippert U, Metz M, Schliemann S, Schwichtenberg U, Staubach P, Valesky E, Wagner N, Wedi B,Maurer M. Expert consensus on practical aspects in the treatment of chronic urticaria. Allergo J Int 2021;30:64-75,https://doi.org/10.1007/s40629-021-00162-w