MEDIZIN | Covid-Update 

Die Psychologie hinter den Impfdiskussionen

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Seit den ersten Impfungen gegen Covid-19 hat sich der öffentliche Diskurs zum Thema deutlich ver- schärft. Eine aktuelle Studie beschreibt mögliche Ursachen. Für Mediziner sind die Ergebnisse eine hilfreiche Grundlage für die Aufklärung und das Patientengespräch.

AUTOR: Univ.-Prof. Dipl.-Psych. Dr. Robert Böhm

Institut für Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialpsy- chologie

1010 Wien, Universitätsstraße 7 (NIG),

01/4277-47332,

robert.boehm@univie.ac.at

Psychologen aus Deutschland und Österreich unter Beteiligung der Universi- tät Wien haben nun untersucht, wie sich die Polarisierung zwischen geimpf- ten und ungeimpften Bürgern entwickelt und womit diese zusammenhängt. Erste Ergebnisse wurden im Fachjournal Nature Human Behaviour publiziert

und zeigen: Weil dem Impfstatus an sich ein Wert beigemessen wird, verschärft sich die Diskussion oftmals. Aus diesem Grund ist es schwierig, mit reinen Informationskampagnen gegenzusteuern. Die Forscher plädieren für ein wertschätzendes Miteinander.

Die Studie der Universitäten Bonn, Erfurt und Wien sowie des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNITM) Hamburg fand im Rahmen des COSMO Panels statt, das seit Dezember 2021 in regelmäßigen Abständen Personen in Deutschland und Österreich befragt. Darunter sind mehr als 3.000 Personen, die gegen Covid-19 geimpft sind, und mehr als 2.000 Personen, die sich bisher gegen eine Impfung entschieden haben.


Identifikation mit dem eigenen Impfstatus

Was diese Studie von vielen anderen Studien unterscheidet, ist die große Anzahl von ungeimpften Personen, die regelmäßig an der Online-Umfra- ge teilnehmen und so ihr Erleben und Verhalten während der Covid-19 Pandemie mit den Forschenden teilen. „Wir konnten zeigen, dass der Iden- tifikation mit dem eigenen Impfstatus eine entscheidende Rolle in der Polarisierung zukommt“, erklärt Luca Henkel von der Universität Bonn. Je mehr sich Personen damit identifizierten, geimpft oder ungeimpft zu sein, desto intensiver sei die Polarisierung.

Die Ergebnisse zeigen, dass ungeimpfte Befragte insgesamt die Debatte über das Impfen als deutlich unfairer wahrnehmen und mehr soziale Aus- grenzung erleben als geimpfte Befragte. Besonders groß war der Unterschied, wenn sich die Personen stark mit ihrem Impfstatus identifizierten, also je größer der Stolz war, geimpft oder ungeimpft zu sein. Das zeigte sich in der Studie auch ganz real: „In einem unserer Experimente konnten die Teilnehmenden 100 Euro zwischen sich und einer anderen Person aufteilen. Sowohl Geimpfte als auch Ungeimpfte haben Personen mit ande- rem Impfstatus benachteiligt, und zwar umso stärker, je mehr man sich mit dem Impfstatus identifizierte. Je mehr sich die Personen also mit ihrem Impfstatus identifizierten, desto unfreundlicher und diskriminierender wurden sie zu der jeweils anderen Gruppe – das galt sowohl für die Unge- impften als auch für die Geimpften.


Bewertung politischer Maßnahmen

Darüber hinaus konnten die Forscher zeigen, dass die Akzeptanz von Maßnahmen zur Steigerung der Impfquoten ebenfalls von der Identifikation abhing. Geimpfte Personen etwa befürworteten eine Impfpflicht – und zwar vehementer, wenn ihnen ihr Status als „geimpft“ wichtig war. Wer aller- dings ungeimpft war und sich damit besonders stark identifizierte, lehnte die Impfpflicht besonders heftig ab.

In der Vergangenheit wurde oft versucht, bestimmte Einstellungen zur Impfung zu verändern. Durch niedrigschwellige Angebote oder gezielte Risi- koaufklärung sollten Ungeimpfte von den Vorteilen einer Impfung überzeugt werden. Allerdings wurde dabei kaum beachtet, dass eine starke Iden- tifikation mit dem eigenen „Ungeimpftsein“ dazu führen kann, dass dem Impfstatus ein Wert an sich zugeschrieben wird. Als Konsequenz können ungeimpfte Personen durch solche klassischen Formate oder Kampagnen kaum erreicht werden. Empfohlen wird deshalb, die Polarisierung zwi- schen den Gruppen schnellstmöglich zu reduzieren. Ein wertschätzender gegenseitiger Umgang, insbesondere auch durch Personen des öffentli- chen Lebens, könne dazu beitragen, dass die beiden Gruppen wieder mehr aufeinander zugehen und ins Gespräch kommen, sodass Impfen wie- der zu einer Gesundheitsentscheidung werden kann und nicht mehr eine ideologische Wertentscheidung ist.