THEMA | Angststörungen

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Keine Angst mehr vor  der Angst

Angst- und Panikstörungen gehören heute zu

den häufigsten psychischen Erkrankungen –

die Behandlung bleibt aber oft aus.

Adi K. hat es nie an Ehrgeiz gefehlt. Ein strenges Elternhaus, besonders ein sehr fordernder Vater, hat ihn zu großer Leistungsbereitschaft angestachelt. So war es nicht weiter verwunderlich, dass er bald nach seinem zweiten Studienabschluss selbst als Dozent im Lehrsaal stand. Dann kam es zu einem einschneidenden Er- lebnis. Bedingt durch ein neues EDV-System, dass während seines Urlaubes in den Lehrsälen installiert wurde, gelang es ihm nicht, den Beamer für seine Präsentation in Gang zu bringen. Auch das interne Serviceteam der Uni war nicht erreichbar. In Adi kamen plötzlich Gefühle aus seiner Jugend hoch. Oft hatte er sich Dingen nicht gewachsen, sich nicht gut genug gefühlt. Hinter seinem Pult im Lehrsaal fühlte er

sich jetzt zittrig, geradezu hilflos. Er schien da noch etwas in sich zu spüren. Eine Wut auf sich selbst, es wieder einmal nicht per- fekt hingebracht zu haben. Nur weg aus der verheerenden Situation, schien etwas ihn ihm zu sagen. Geradezu panisch verließ er den Hörsaal. An einer Kollegin, die am Gang des Weges kam und ihm sicherlich geholfen hätte, stürmte er grußlos vorbei. Die nächstfolgenden Vorlesungen sagte Adi ab. Heute steht Adi wieder im Lehrsaal. Studenten und Kollegen schätzen gleichermaßen seine hohe Kompetenz. Bei den anonymisierten Evaluierungen der Uni mittels Fragebögen punktet er jetzt auch zusehends mit vermehrter Empathie gegenüber den Studenten. Eine Psychotherapie hat Adi sehr geholfen. Nicht nur seine übertriebene Angst vor dem eigenen Nicht-Funktionieren ist weitgehend gewichen. Die Maske des perfekten Dozenten hat er abgelegt. In der Psy- chotherapie hat er die Freiheit kennengelernt, zu seinen Stärken und Schwächen zu stehen. Er kann sich selbst und andere bes- ser annehmen.


Lebensqualität erheblich beeinträchtigt

Angst- und Panikstörungen gehören heute zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Den Betroffenen gelingt es oft – wie bei vielen psychischen Störungsbildern – sich ihrem Umfeld geradezu perfekt zu präsentieren. Mit viel Ehrgeiz wird versucht, immer im vorderen Feld zu stehen. Um dieses Bild aufrechtzuerhalten muss vielfach wirkliche Nähe vermieden werden. Psychische Er- krankungen sind nach wie vor so schambesetzt, dass es beim überwiegenden Teil zu keinen Behandlungen kommt.

Ängste waren in der Evolutionsentwicklung für die Menschen ein Segen. Schon für unsere Vorfahren waren bestimmte Situationen berechtigterweise angstbesetzt. Das hat ihnen geholfen, wildem Getier, gegen das sie sich nicht erfolgreich hätten wehren kön- nen, aus dem Weg zu gehen. Die Angst, nicht genügend Nahrung über den Winter zu haben, hat zur Bevorratung geführt. Auch wir haben Angst, auf einer Straße überfahren zu werden und schauen daher nach links und rechts, bevor wir die Seite wechseln. Von krankheitswertigen Angststörungen sprechen wir daher erst, wenn eines oder mehrere der folgenden Merkmale auftreten: Die Lebensqualität von Betroffenen wird durch die Ängste erheblich beeinträchtigt. Es kommt dadurch zu einer Reduzierung der Be- wegungsfreiheit. Die Ängste machen depressiv. Der Angst wird mit vermehrtem Alkoholkonsum begegnet. In manchen Fällen werden Beruhigungsmittel eingekommen oder Suchtsubstanzen konsumiert. Der beruflichen Tätigkeit kann nicht mehr nachge- kommen werden. Das Beziehungsleben wird durch die Ängste wesentlich beeinträchtigt. Die meiste Zeit des Tages kreisen die Gedanken um die Ängste.


Im Verbund mit depressiven Erkrankungen

Die Ursachen von Angsterkrankungen haben durchaus auch neurobiologische und genetische Faktoren. Ausprägungen von be- stimmten Gehirnregionen sowie die Rolle der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin sind bekannt. Der psychische Hinter- grund von Angsterkrankungen führt vielfach bis in die Kindheit zurück. Lange wurde dabei vorwiegend auf körperliche Gewalt ge- schaut. Neben sexuellem Missbrauch ist aber auch die seelische Gewalt, die Kindern und Jugendlichen angetan wird, ein bedau- erlicher Nährboden für spätere Angststörungen. Ein permanenter hoher Stresspegel am Arbeitsplatz kann genauso problematisch sein, wie die hohe Belastung einer alleinerziehenden und berufstätigen Mutter.

Angsterkrankungen kommen oft nicht alleine. Sind sie mit einer depressiven Erkrankung verbunden, wird es für die Betroffenen noch schwieriger ihr Berufsleben aufrechtzuerhalten. Die Symptome dieses Krankheitsbildes, wie fehlende Konzentrationsfähig- keit, Schlafstörungen, Antriebslosigkeit, Selbstzweifel und Schuldgefühle lassen den Erkrankten dann im wahrsten Sinne des Wor- tes an sich selbst zweifeln. Um so wichtiger ist es, in solchen Phasen, möglichst rasch professionelle Hilfe in Anspruch zu neh- men. Hausärzte klären in der Regel ab, ob es für die Symptome einen organischen Hintergrund gibt. Psychotherapeuten können auch direkt konsultiert werden. Für alle psychischen Erkrankungen gilt, dass die Behandlung nicht hinausgezögert werden sollte, da es sonst zu einer schwer therapierbaren Verschlechterung oder im schlimmsten Fall zu einer Chronifizierung kommen kann.

Die Behandlung von Angststörungen macht seit Jahren laufend Fortschritte. Studien belegen Psychotherapien hohe Effektstärken und attestieren einen sehr guten Wirksamkeitsgrad. Psychotherapeuten bearbeiten in ersten Therapieschritten, wie die Angststö- rung entstanden ist. Die Entstehungsgeschichte kann in der Lebensbiografie weit zurückführen. In der Folge muss abgeklärt wer- den, welche Faktoren die Angst jetzt aufrechterhalten. In der Therapie lernen Patienten, sich der Angst zu stellen. Bei sozialen Ängsten wird zum Beispiel geübt, in Kontakt zu gehen. Bei Panikattacken ist es hilfreich zu erkennen, dass die befürchteten kör- perlichen Folgen in der Regel keinesfalls auftreten werden. Der berühmte Begründer der Logotherapie, der Psychiater und Psy- chotherapeut Viktor Frankl hat vielfach die Paradoxe Intention eingesetzt, die später zur paradoxen Intervention wurde. Dabei wird eine neurotische Verhaltensweise bewusst – und das sogar vielfach übertrieben – ausgeübt. Frankl spricht auch von der „Trotz- macht des Geistes“, die es möglich macht, den Teufelskreis der Erwartungsangst, der Angst vor der Angst, zu durchbrechen.