FOTOS: ZVG, HUBERTUS APOTHEKE
Nachstehend wird der Fall eines 50-jährigen Patienten beschrieben, der seit einer Neurinom-Operation im Bereich der Wirbelsäule (Höhe TH 11) im Jahr 2017 an neuropathischen Schmerzen im Bereich des rechten Innenknöchels, des medialen Fußrandes und Fußsohle des rechten Fußes leidet. Trotz einer Vielzahl verschiedenster Medikamente und zu- sätzlichen multimodalen Behandlungsformen blieben Schmerzen und andere Einschränkungen auf hohem Niveau. Schließlich wurde ein Versuch mit zusätzlichem Phyto-Cannabidiol (CBD) gestartet. Damit konnte innerhalb von sechs Wochen die bisherige antineuropathische Medikation drastisch reduziert werden, bei gleichzeitiger Halbierung der Schmerzintensität und Verbesserung der Mobilität sowie Lebensqualität. Gegenwärtig erhält der Patient Pregabalin (2x 100 mg/die), Astec Pflaster (35 µg/h, ½ PFL alle 3 d), Tegretol retard (200 mg 1-2-1) und 400 mg CBD/d. Eine weitere Ad- aptierung des Behandlungskonzeptes entsprechend dem Beschwerdebild ist vorgesehen.
Neuropathische Schmerzen im Zusammenhang mit einer Operation sind eine mögli- che Komplikation. Einer prospektiven Studie zufolge, an der 21 europäische Spitäler teilnahmen, hatten 35.4 % bis 57.1 % der Patienten auch noch zwölf Monate nach dem Eingriff mittelgradige bis schwere neuropathische Schmerzen (Fragebogen: Dou- leur Neuropathique en 4 Questions, DN4; Fletcher et al. 2015). Bekannte Risikofakto- ren sind Diabetes, Schmerzen vor der Operation, Intensität und Dauer des akuten Schmerzes nach der Operation, Dauer der Operation sowie psychische Faktoren wie Angst und Depression (Correll 2017). Nachstehend wird über die Behandlung eines seit mehreren Jahren bestehenden, ausgeprägten neuropathischen Schmerzsyndroms berichtet, das erfolgreich mit Cannabidiol (CBD) behandelt werden konnte.
Fallbeschreibung
Ein 50-jähriger Patient mit öffentlicher beruflicher Tätigkeit suchte im April 2020 wegen jahrelanger therapierefraktärer neuropathischer Schmerzen im Bereich des medio- plantaren Fußbereiches der rechten unteren Extremität die angeführte schmerzmedizi- nische Ordination auf. Der Patient berichtete über einen operativen Eingriff vor drei Jahren, im April 2017, im Bereich der Wirbelsäule in Höhe TH 11 aufgrund eines dort lokalisierten Neurinoms. Unmittelbar postoperativ empfand der Patient im Bereich der distalen rechten Knöchel-Innenregion, im Bereich des medialen Fußrandes und der medialseitigen Fußsohle einen erstmalig auftretenden, einschießenden, elektrisieren-
den und brennenden Schmerz, verbunden mit Allodynie, in einer Intensität bis zu NRS 8-9 (Numerical Rating Scale). Die Schmerzcharakteristik war eindeutig neuropathisch. Eine Dorsalflexion im Sprunggelenk war stets schmerzauslösend bzw. schmerzverstärkend. Im Bereich der Wirbel- säule empfand der Patient den üblichen postoperativen Wundschmerz. Verbunden mit den Schmerzen bestand eine Einschränkung der Mobilität, insbesondere beim Gehen.
Zwischen 2017 und 2020 suchte der Patient unterschiedliche Fachärzte auf. Infolge von peripheren und zentralen Sensibilisierungsmechanismen bei fehlendem Ansprechen auf die Schmerztherapie verstärkte sich im weiteren Verlauf der neuropathische Schmerz in eben genannter Lokalisati- on noch deutlicher und mit höherer Intensität (NRS 8-9). Quälend waren vor allem der brennende Dauerschmerz und die durch jegliche Berührung ausgelöste Allodynie.
Eine neurologische Untersuchung ergab eine Hypästhesie für Feinberührung in den Versorgungsgebieten des Nervus plantaris medialis sowie des Nervus peroneus superficialis. Die zur Abklärung durchgeführte sensible Neurographie zeigte eine verkleinerte Amplitude sowie eine verlangsam- te Nervenleitgeschwindigkeit vom Nervus plantaris medialis und Nervus peronaeus superficialis dexter. Somit bestand eine Läsion des Nervus plantaris medialis, aber auch des Nervus peronaeus superficialis.
Neurologischerseits wurde das Antikonvulsivum Neurotop retard in einer Dosierung von 600 mg pro Tag verordnet, was nur zu einer minimalen Schmerzlinderung führte. Weiters erhielt der Patient eine evidenzbasierte, mechanismenorientierte, antineuropathische Medikation sowie eine mehrmalige lokale Infiltrationsbehandlung des Nervus tibialis posterior dexter mit Carbostesin 0,5 % mit unbefriedigendem Ergebnis.
Schließlich wurde folgendes analgetisches, antineuropathisches Konzept gewählt:
• Saroten 10 mg 0-0-0-1 (kurzfristig 25 mg 0-0-0-1 – abgesetzt wegen Nebenwirkungen!)
• Qutenza® lokal – 2-malig ohne Effekt
• Xylocain 5 % Salbe lokal bis zu 4 x tgl – dünnfilmig aufzutragen
• Pregabalin 250 mg 1-0-1 (kurzfristig 300 mg 1-0-1 – reduziert wegen Nebenwirkungen!)
• Astec 35 µg /h alle 3 d zu wechseln (höhere Dosierung wegen Nebenwirkungen nicht möglich)!
• Tegretol retard 200 mg 1-2-2 (höhere Dosierungen wegen Nebenwirkungen nicht möglich)
• Duloxetin 30 mg 1-0-0-0 (abgesetzt wegen Nebenwirkungen!)
• Molaxole 1-0-0
Eine lokale Infiltrationsbehandlung mit Botox (insgesamt fünf Infiltrationen, Botox wurde vom Patienten selbst bezahlt) brachte ebenfalls nicht den gewünschten antineuropathischen Effekt. Aufgrund dieser multimodalen Behandlung verkleinerte sich zwar das Schmerzareal, aber die Schmerz- symptomatik trat nach wie vor in derselben Qualität und Intensität bis NRS 6 auf. Der bewegungsabhängige lokale Schmerz trat zeitweilig und nur mehr morgens in einer Intensität von NRS 6 auf; er konnte durch die morgendliche Medikamenteneinnahme zum Stillstand gebracht werden.
Zum eindeutigen Ausschluss einer zentralen Ursache wurde dreimalig eine CT-gezielte Wurzelinfiltration in Höhe L5/S1 epidural durchgeführt. Auch dadurch kam es zu keiner Änderung der Schmerzsymptomatik. In der QST-Messung (quantitative sensorische Testung) zeigte sich eine mas- sive Schädigung im genannten Areal, in welchem der Patient keinerlei Empfindsamkeit auf Hitze zeigte.
Schließlich wurde am 10. Dezember 2021 ein Behandlungsversuch mit dem bekanntlich neuroprotektiv und antiinflammatorisch wirkenden CBD gestartet. Bereits nach sechswöchiger Anwendung von Phyto-CBD-Kapseln 200 mg (1-0-1-0, Fa. Trigal Pharma GmbH, Wien) zeigte sich eine überraschend deutliche Schmerzreduktion bis auf NRS 3, verbunden mit Phasen kompletter Schmerzfreiheit. Der brennende Dauerschmerz ist nunmehr deutlich in den Hintergrund getreten, die einschießende Schmerzqualität tritt kaum noch auf und die quälende Allodynie fehlt gänzlich. Dies erlaubte eine drastische Reduktion der bisherigen antineuropathischen Medikation: Pregabalin von 2x 250 mg auf 2x 100 mg, Astec Pflaster (PFL) von 35 µg/h (alle 3 d zu wechseln) auf 35 µg/h ½ PFL (alle 3 d) und Tegretol retard von 200 mg 1-2-2 auf 200 mg 1-2-1. Alle übrigen Medika- mente wurden abgesetzt.
Verbesserte Lebensqualität
Mit zusätzlichem CBD verspürt der Patient eine deutlich bessere Lebensqualität. Die Schlafqualität hat sich ebenso verbessert; auch das Ausüben seiner öffentlichen Tätigkeit ist in keinerlei Art und Weise beeinträchtigt. Der Patient befindet sich nach wie vor in regelmäßiger schmerzmedizini- scher Observanz. Eine weitere Adaptierung des Behandlungskonzeptes entsprechend des Beschwerdebildes ist vorgesehen.
Periphere, nach Operationen auftretende neuropathische Schmerzen können mit mehr oder weniger deutlichen neuroinflammatorischen Prozessen einhergehen, wobei deren Ursache und Mechanismus bislang ungenügend bekannt ist (Prior, Ghosh 2021; Laughlin et al., 2020; Rattananan et al., 2014). Neben einer typischen, lymphozytischen Mikrovaskulitis im Biopsiebefund zeigt sich eine abnorme Nervenleitgeschwindigkeit sowie eine Hypersensibilität, paradoxerweise in Kombination mit einem sensorischen Verlust (Staff et al., 2010). Immunmechanismen, insbesondere die Akti- vierung von Protein Kinase p38 und IL-1ß, könnten eine Rolle spielen (Richebé et al., 2018). CBD ist nicht nur neuroprotektiv und antiinflammato- risch wirksam, sondern wirkt auch immunmodulierend, einerseits über eine Suppression des Nuclear Transcription Factors NF-κB und andererseits über die Stimulierung des zytoprotektiven Transkriptionsfaktors Nrf2 (Nichols, Kaplan 2020; Shore et al., 2019; Yeshurun et al., 2015; Atalay et al., 2020; Jastrzab et al., 2019). Bisher gibt es nur wenige Publikationen zur Wirksamkeit von CBD bei neuropathischem Schmerz. In einer placebo- kontrollierten Studie an Patienten mit peripherer diabetischer Neuropathie reduzierte CBD (wasserlösliche sublinguale Tabletten zu 20 mg 3x täg- lich über vier Wochen) die Schmerzen signifikant (Kimless et al., 2021).
Zusammenfassend zeigt dieser Fallbericht, dass CBD eine wertvolle therapeutische Ergänzung bei hartnäckigen, postoperativen neuropathischen Schmerzen sein kann.