Long-Covid & Psyche | Demenz
FotoS: zvg, istockphoto/ Neil Bussey
Alt und isoliert
Ein wichtiges Mittel gegen die Ausbreitung des Coronavirus ist das Abstandhalten. Das hat aber erhebliche Nebenwirkungen, vor allem für ältere Menschen.
Die Folge: Die soziale Isolation wird häufig als pandemieassoziierte Belastung erlebt.
Menschen mit Demenz und pflegende Angehörige fühlen sich durch die Coronavirus-Pandemie besonders belastet, verfügen häufig jedoch nicht über Bewältigungsstrategien für die besondere Situation. Insbesondere informelle Hilfen sind dabei ein wichtiger Unterstützungsmechanismus. Ei- nen Blick auf die Situation von alten Menschen und die Folgen der Isolation durch die pandemiebedingten Hygienevorschriften wirft
Dr. Doris Bach, Leiterin von BrainCare, Institut für seelische Gesundheit. Sie ist freiberufliche Klinische Psychologin und Psychotherapeutin im Haus der Barmherzigkeit und unter andrem auch Lehrende für die Fächer „Gerontopsychologie und -psychotherapie“, „Kommunikation“ und „Psychosomatik“.
?Wie isoliert waren oder sind ältere Menschen tatsächlich seit Beginn der Pandemie?
Besonders in den intramuralen Pflegeeinrichtungen sind ältere Menschen sehr alleingelassen. Während der Lockdowns wurden die Pflegeperso- nen teilweise zum einzigen Sozialkontakt. Menschen, die in Pflegeeinrichtungen wohnen, konnten sich nicht dazu entscheiden, einen Spaziergang zu machen oder zumindest eine Person ab und an zu treffen. Je nach Einrichtung waren sie zum Teil einzeln in ihren Zimmern eingeschlossen und mussten jeglichen Kontakt zu anderen Menschen möglichst meiden, weil sie aufgrund von Alter und Vorerkrankungen zu Hochrisikogruppen zähl- ten. Das Pflegepersonal selbst hatte aufgrund des Personalmangels kaum Zeit, um allen Menschen emotionalen Beistand zu leisten. Die Zeit war und ist zum Teil noch durch fehlende Selbstbestimmung, Hilflosigkeit und Einsamkeit gekennzeichnet. Gleichzeitig fallen Bewältigungsmöglichkei- ten und Ausgleich weg, denn Gruppenaktivitäten sowie Besuche von Angehörigen waren eingestellt oder nur sehr eingeschränkt erlaubt. Da älte- re Menschen mit moderner Technologie weniger vertraut sind als junge Menschen und mögliche kognitive Defizite die Bedienung von Smartpho- nes oder Videokonferenz-Tools einschränken, sind das keine geeigneten Alternativen zur Überbrückung der kontaktlosen Zeit.
?Was fehlte den Demenz-Patienten besonders?
Demente Bewohner verloren zunehmend ihre zeitliche Orientierung durch die fehlende Alltagsstruktur. Gruppentherapie und so manche Einzelthe- rapie konnten nicht mehr eingehalten werden, der Wochenplan fehlte. Pflegepersonen übernahmen zusätzliche Aufgaben und versuchten, so gut es ging, Alltagsstrukturen – außer die regelmäßigen Pflege- und Essenszeiten – aufrechtzuhalten. Erklärungsmodelle zur Pandemiesituation waren bei schwer dementen Personen nicht möglich; daher übernahm die Pflege zusätzlich auch noch das „Aufpassen“, damit Hygienebestimmungen etwas eingehalten werden konnten. Demente Bewohner haben häufig Schwierigkeiten, mit dem Mund-Nasen-Schutz umzugehen. Nicht nur das Atmen und Bewegen mit der Maske macht Schwierigkeiten, sondern überhaupt das Tragen oder das Oben-lassen.
Durch das Tragen der Maske werden oft vertraute Personen nicht erkannt und es fehlt die so wichtige Mimik des Gegenübers. Damit fehlt auch die Aktivität der Spiegelzellen, Emotionen können nicht im Gesicht des Gegenübers „gelesen“ werden. Das führt zur Verwirrung, Unsicherheit und ver- mehrten Ängsten.
Wichtig für demente Personen ist auch die Berührung: körperlich durch Streicheln, in den Arm nehmen. Bei Besuchen mit Maske und Plexiglas- wand konnte keine Nähe aufgebaut werden, Beziehungen können nicht „behalten“ werden. Auch dadurch kam es vermehrt zu Unsicherheit und Ängsten. Das Sterben war ein so großes Thema, sowohl für Angehörige als auch für die Sterbenden: Das gemeinsame Abschiednehmen im Krei- se der engsten Angehörigen war nicht möglich; mit der Trauerarbeit blieben damit viele allein.
?Wie sieht es bei dieser Personengruppe außerhalb von Pflegeeinrichtungen aus?
Außerhalb solcher Einrichtungen geht es älteren Menschen mitunter besser, da sie potenziell mehr Möglichkeiten haben, die neue, vielleicht be- drohliche und einschränkende Situation selbstbestimmter zu handhaben. Ältere Menschen haben meist ein niedrigeres Angstniveau – sie stehen nicht mehr im Berufsleben und haben weniger bedrohliche Existenzängste als Jüngere. Aufgrund ihrer Lebenserfahrung scheinen sie den Um- gang mit der Krise besser bewältigen zu können. Negativ wirkte sich – zumindest im ersten Lockdown – die Tatsache aus, dass viele ambulante Betreuungseinrichtungen nur für Notfälle erreichbar waren und auch die Heimpflegedienste zum Teil ausfielen. Damit fiel auch die Versorgung für die zu betreuenden Personen weg.
?Wie konkret trägt soziale Isolation zur Verschlechterung von Symptomen bei De- menz oder Angststörungen bei?
Durch das Fehlen von Bezugspersonen, eine der wichtigsten Bedingung für die Entwick- lung von Resilienz, fehlt die emotionale und rationale Unterstützung. Auf emotionaler Ebe- ne musste der Kontakt mit Menschen mit Demenz sehr stark auf eine verbale Kommunika- tion – etwa per Telefon – reduziert werden. Gerade die nonverbale Kommunikation mit Mi- mik und Gestik oder auch Berührung hat bei Menschen mit Demenz im Krankheitsverlauf eine zunehmende Bedeutung. Durch Verlust von kognitiven Funktionen können ausschließ- lich verbal präsentierte Informationen nicht mehr ausreichend verarbeitet und aufgenom- men werden – jene mit nonverbalem Inhalt jedoch bis ins schwergradigste Demenzstadium.
In einem Positionspapier der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft (ÖAG) werden die größten Herausforderungen beschrieben. Dazu gehört der begrenzte Zugang zu genauen Informationen über die Covid-19-Pandemie, Schwierigkeiten, sich an Schutzverfahren wie das Tragen von Masken zu erinnern oder die zur Verfügung gestellten Informationen zu verstehen. Demenzpatienten leben häufig allein oder mit ihrem Ehepartner, ihren Bezugs-
personen zu Hause oder in Pflegeheimen. Durch die sozialdistanzierenden Maßnahmen verloren ältere Menschen den persönlichen Kontakt zu ih- ren Familienmitgliedern und wurden sozial isoliert. Abgesehen davon, dass Einsamkeit und Isolation die Symptome potenziell verschlechtern, kann sich auch eine Komorbidität mit hinzukommenden Angst- oder Depressionsstörungen entwickeln.
Schlafbeeinträchtigungen sind bei Menschen, die an Alzheimer erkrankt sind, häufig; Verstärkte Angst (vor einer Infektion, vor neuer bedrohlicher Situation etc.) und Fehlen sozialer Rhythmen („Zeitgeist“) kann die Schlafbeeinträchtigungen verschlimmern. Das Fehlen von Aktivitäten und Schlaf wiederum könnte zu Delir und damit zu weiterer Komorbidität und Mortalität führen.
Der Verlust von Angehörigen aufgrund einer Corona-Infektion kann zu Trauer und depressiven Symptomen führen; die Pandemie kann auch trau- matisch erlebt werden und zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen, die wiederum kognitiven Verfall beschleunigt und generell zu ei- ner Vermehrung der Risikofaktoren führt. Während der Pandemie laufen an Demenz erkrankte Personen auch Gefahr, doppelt stigmatisiert zu wer- den: einerseits durch die Krankheit an sich und zweitens, da sie zur Risikogruppe gehören.
?Welche Symptome genau sind es, die sich verschlechtern?
In Folge der Sars-Epidemie, die insbesondere Hongkong betraf, wurde von einem Anstieg der Suizidraten von 30 % in der Gruppe der über 65- Jährigen berichtet. Ähnlich wie bei Covid-19 wa- ren auch von Sars überwiegend Personen über 60 Jahre von einem letalen Ausgang der Erkran- kung betroffen. Trotz der in Hongkong ohnehin höheren Suizidraten als in westlichen Ländern muss auch bei uns mit einem Anstieg der Suizide oder suizidalen Krisen in der älteren Bevölkerung gerechnet werden. Auch kam es bei 30–50 % der Menschen, die eine Sars-Infektion überstanden hatten, zu persistierenden Angstsymptomen.
Bei Menschen mit Demenz ist der Umgang mit negativen Gefühlen durch die bestehenden ko- gnitiven Defizite zusätzlich erschwert. Insbeson- dere in Krisen sind hilfreiche Coping-Strategien und die Fähigkeit zur Resilienz bei Menschen mit Demenz oft nur eingeschränkt umsetzbar. Die komplexe Informationsflut über die Medien und der teils fehlende Austausch mit vertrauten Mit- menschen bergen die Gefahr von potenziell schädlichen Entscheidungen mit sich.
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Info & Kontakt: Dr. Doris Bach
BrainCare, d.bach@braincare.at