MEDIZIN | Schmerztherapie
FOTOS: ZVG, ISTOCKPHOTO/ SEBASTIAN GAUERT
Die Rolle der Faszien und der Schmerz- therapie in der Physikalischen Medizin
und Rehabilitation (PMR).
Schmerzen des Bewegungsapparates, sei es im Rücken, Gelenken, Muskulatur oder inneren Organen, kennt fast jeder Mensch. Besonders pro- blematisch sind jene Schmerzen, deren Ursachen schlecht oder kaum lokalisiert werden können oder wo trotz fachärztlicher Begutachtung keine eindeutige organbezogene Ursache gefunden werden und die etwa auch nach Unfällen oder Operationen auftreten können. In diesen Fällen ist das Aufsuchen eines Faszienspezialisten wie PMR-Facharzt oder Osteopath zu empfehlen.
Anteil der Faszien am Schmerz
Intensive Forschungen in den letzten 20 Jahren haben dazu geführt, dass wir die Rolle der Faszien bei der Schmerzentstehung von vielen derarti- gen Schmerzsyndromen damit erklären können. So weiß man etwa, dass nur rund 20 % aller so genannten „Bandscheibenschmerzen“ auch tat- sächlich in ihrer Ursache durch einen Vorfall von Bandscheiben erklärbar sind. Viel häufiger sind die Schmerzen im Wirbelsäulenbereich entweder lokal durch Faszienprobleme oder durch fortgeleitete Schmerzen aus den inneren Organen und den sie umhüllenden Faszien erklärbar. Wir spre- chen hier von Ausstrahlungsschmerz, den Head’schen Zonen entsprechend.
Ein Beispiel: Alle Organe wie auch Nieren und Darm werden von Faszien umgeben. Dies ermöglicht einerseits das Gleiten der Organe gegenein- ander bei Bewegung und hält andererseits auch alle Organe an ihrem Platz. Sowohl die Nierenfaszien als auch die den Darm umgebenden Faszi- en haben durch ihre entsprechenden Nerven eine enge Beziehung zur Lendenmuskulatur. Somit können Syndrome dieser Organe z. B. als Rü- ckenschmerzen fehlinterpretiert werden.
Faszien: größtes sensorisches Organ
Unterschieden werden oberflächliche Faszien, die sehr locker als Speicherdepot für Fett und Wasser sowie als Puffer für die Verschiebbarkeit von Organen funktionieren, von den tiefen Faszien, die sowohl einzelne Muskelfasern wie auch ganze Muskelstränge umgeben. Es gehören auch Seh- nen, Bänder, Gelenkskapseln und das Periost dazu. Wie schmerzhaft eine Knochenfaszie ist, weiß jeder, der sich das Schienbein einmal ange- schlagen hat.
Faszien haben sechs Mal mehr Nervenendigungen als der Muskel und werden daher auch als größtes Sinnesorgan des Körpers bezeichnet. Die genaue Positionierung im Raum wird durch die entsprechende Spannungsrückmeldung an das Gehirn für den Körper geregelt. Faszien stabilisie- ren den Körper wie Spannleinen von Zelten und spielen eine wichtige Rolle bei der Kraftübertragung. Sinkt die Spannung von Faszien etwa durch Bewegungsmangel bei sitzenden Berufen oder älteren Personen mit wenig Trainingserfahrung, so verliert der gesamte Körper an Spannung. Die Kraftübertragung erfolgt damit nicht mehr dynamisch, Gelenke werden überproportional belastet. Abnützungen von Bandscheiben, Menisci und entsprechende Knochenabstützungsreaktionen, die schmerzhaft wahrgenommen werden, sind die Folge.
Verklebungen und Vernarbungen
Faszien umspannen nicht nur wie ein Netz alle Organe, sie sind auch Depot für Flüssigkeiten und werden von Lymph- und Blutgefäßen durchzo- gen. Interessant ist dabei, dass die Muskeln ein bevorzugtes, durchblutetes Organ sind, weniger so die Faszien. Wird zum Beispiel beim Sport durch ruckartige Bewegungen, fehlendes Aufwärmen oder Überbelastung die Faszie oder der Muskel verletzt, so ist zu bedenken, dass durch die Mehrdurchblutung des Muskels, dieser schneller heilt als die Faszien per se. Sind Patienten nun ungeduldig und belasten weiterhin, so kommt es zum Austritt von Fibrinogen in das umgebende Fasziengewebe. Es entstehen Verklebungen sowie Narbenbildungen. Dies ist bei jeder Therapie- beratung und Belastungsgeboten dem Patienten zu erklären. Verklebte Faszien und Vernarbungen führen zu einer deutlichen Verschlechterung des als Spiralsystem aufgebauten Bewegungssystems des Körpers, es treten dadurch disproportionale Be- bzw. Entlastungen auf, die zu weiteren Schmerzen mit erhöhter Verletzungsgefahr führen können.
In Tierversuchen wurde festgestellt, dass Bindege- webszelltypten vorliegen, die das Gleiten der Fas- zien verstärken, auch Rezeptoren für Cannabinoide oder Östrogen wurden dabei entdeckt. Das könnte eine Erklärung sein, warum manche Frauen wäh- rend der Periode unter Rückenschmerzen leiden, da die Hypermobilität deutlich zunimmt. Auch Ma- krophagen finden sich im Fasziengewebe, die Teil des Immunsystems sind. Sie sind in der Lage Pa- thogene und zerstörtes Gewebe enzymatisch aufzulösen.
Veränderung des Flüssigkeitsanteils
Die Wasserbindungsfähigkeit ist ein wesentlicher Teil der Erhaltung der jugendlichen Spannung im Körper. Ältere Menschen weisen im Vergleich zu
jüngeren meist einen wesentlich niedrigeren Flüssigkeitsanteil im Körper auf. Durch die Veränderung des Flüssigkeitsanteils verändert sich auch die räumliche Struktur der Faszien, sodass diese oft anfangen, miteinander zu verkleben und zu verfilzen. Dies führt zur Einschränkung der Be- weglichkeit, daher beklagen ältere Menschen oft eine Schmerzhaftigkeit beim Beugen oder Strecken der Gelenke.
Mögliche Therapieoptionen
Primär sind bei unklaren Schmerzen Fachärzte für Physikalische Medizin sowie anderer Fachrichtungen, die entsprechende Ausbildungen aufwei- sen, und speziell ausgebildete Therapeuten aufzusuchen, die durch ihre manuellen Kenntnisse den Ursachen der zur Chronifizierung neigenden Schmerzen auf die Spur kommen. So können zum Beispiel im Rahmen von schmerzhaften Verletzungen der Wadenmuskulatur Fehlbelastungen dazu führen, dass Patienten mit Schmerzen in Rücken und Schultern bis hin zu Kopfschmerzen als primäres Schmerzsyndrom die Praxen aufsu- chen. Erste genaue Analyse und eine sorgfältige Anamnese tragen dazu bei, dass das Problem an der Wurzel behandelt wird und die Kollegen sich nicht durch die fortgeleiteten Schmerzen irreführen lassen.
Sehr unterstützend neben der manuellen Medizin sind auch entsprechende Therapien wie die Radiofrequenz-Therapie (z. B. INDIBA), Lymphdrai- nagen, bei Verdacht auf Narbenbildungen Lasertherapien und die gezielte Physiotherapie, damit die Heilung gefördert wird und die Verklebungen der Faszien hintangehalten werden können.
Fehlbelastungen korrigieren
Faszien reagieren aufgrund ihrer zahlreichen sensorischen Rezeptoren auf mechanische und chemische Reize wie auch auf Temperaturschwan- kungen ebenso wie auf hormonelle Zyklen und psychische Belastungen. Es kann durchaus sinnvoll sein, bei immer wiederkehrenden chronischen Schmerzen sowohl das Arbeitsumfeld zu analysieren und Fehlbelastungen zu korrigieren, als auch zu überlegen, ob eine vegetative Dysbalance durch Stress zu einer entsprechenden Verspannung und damit zu Schmerzen führen kann. Hier stellt die diagnostische Anwendung der Herz-Ra- ten-Variabilität in 24- bis 48-Stundenmessungen in Kombination mit einem Schmerztagebuch eine gute Möglichkeit dar, um festzustellen, wann und durch welche Situation ausgelöst, das Schmerzmaximum auftritt.
Tipp: Was Ihre Patienten selbst beitragen können
Die Aufrechterhaltung der Fasziengesundheit gehört zu den wichtigsten Maßnahmen, die jeder Mensch für sich selber übernehmen kann. Dies ist vor allem durch regelmäßige Bewegung, die die Durchblutung von Organen, Muskeln und Faszien fördert, gegeben. Spezielle Trainingsmethoden, die vor allem auf Durchblutung und Dehnung sowie Kräftigung der Muskulatur unter Entlastung von Gelenken abzielen, sind hier als optimal zu nennen. Dazu gehören Pilates, Yoga, Tai-Chi und Qi Gong, aber auch jede Form der angeleiteten Bewegungstherapie durch entsprechend ausgebildete Therapeuten. Häufig wird eine Faszienrolle für die Eigenmassage als Hilfsmittel den Patienten ange- boten. Diese stimulieren bei regelmäßiger Anwendung das Fasziengewebe und lösen verklebte Fas- zien. Dringend zu empfehlen ist, dass diese Form der Eigenmassage zumindest einmal unter fachli- cher Aufsicht durchgeführt wird, da zu schnelles Arbeiten oder die Faszienverläufe nicht beachten- de Nutzung auch kontraproduktiv und vor allem schmerzhaft sein können.