Long-Covid & Psyche | Stressbewältigung

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Alles Corona –

oder was?

Eine Pandemie führt dazu, dass die gesamte Be- völkerung ein signifikant erhöhtes Niveau an Stress erlebt. Je länger so eine Belastungssitua- tion andauert, desto eher sind die psychischen Widerstands- und Regenerationskräfte überfor- dert und es kann zu psychischen Erkrankungen kommen.

Menschen benötigen regelmäßigen sozialen Kontakt sowie ein gewisses Maß an Si- cherheit, Strukturen. Das war und ist während der Pandemie nicht immer möglich, dazu kommen Unsicherheit, soziale Isolation und für manche Menschen auch eine gewisse Perspektivenlosigkeit. Der Corona-Alltag mit ständig wechselnden Vor- schriften wirkt zusätzlich destabilisierend. Zudem belasten Ängste vor der Anste- ckung mit dem Virus, finanzielle Sorgen, Jobunsicherheit oder Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig entfallen aufgrund der Vorschriften bewährte Strategien zur Stressbe-

wältigung und Aktivitäten, die Ausgleich schaffen und Freude machen.

Viele Menschen verfallen in einen typischen Katastrophenmodus, das heißt, sie sind auf das Hier und Jetzt fokussiert, um der drohenden Gefahr oder Bedrohung zu entkommen und schaffen es dabei nicht, langfristige Ziele zu verfolgen oder langfristig zu denken. Dieses Verhalten kennen wir aus dem Tierreich: Ein Tier, das vor Fressfeinden flieht, reagiert mit Stress und damit mit seinem vegetativen Nervensystem. Entkommt es der Gefahr, ist der Stress vorbei. In der Pandemie kam es aber zu diesem „Vorbei“ bisher nicht und viele Menschen sind im Dauerstressmodus. Die Folgen sind Gereiztheit, Aggressivität, Grübeln, Angst, Sorgen, verminderter Antrieb oder auch agitiertes Verhalten.


Belastete Familien besonders betroffen

Zahlreiche Studien haben sich bereits mit den Fragen der psychischen Folgen der Pandemie beschäftigt. So etwa die COPSY-Längsschnittstudie, die an der Forschungsabteilung Child Public Health am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf durchgeführt wurde und unter anderem unter- suchte, welche Auswirkungen und Folgen die Covid-19-Pandemie auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland hat. Bei der repräsentativen Befragung von Kindern und Jugendlichen im Alter von elf bis 14 Jahren gaben 71 % der Kinder an, sich belastet zu fühlen sowie lernen und Schule anstrengender als vor der Pandemie zu empfinden. Die Befragung von mehr als 500 Eltern von Sieben- bis Zehn- jährigen zeigte, dass es in der Zeit von Homeschooling und Homeoffice häufiger zu Streit kam und dass diese Auseinandersetzungen auch öfter eskalierten. Die subjektiv erlebte Lebensqualität ist nach den Studiendaten signifikant gesunken. Vermehrt traten psychosomatische Beschwerden wie Gereiztheit, Einschlafprobleme, Niedergeschlagenheit oder Bauchschmerzen auf. Das Risiko für psychische Auffälligkeiten stieg (18 % auf 30 %). Es wurde zwar keine erhöhte depressive Symptomatik, aber eine gering ausgeprägtere generalisierte Ängstlichkeit mit geringer Effektstärke beobachtet. Vermutet wird, dass Kinder und Jugendliche, die ein schlechtes Klima zu Hause erleben, deren Eltern gleichzeitig einen niedrigen Bil- dungsabschluss, Migrationshintergrund haben oder die Familie sehr beengte Wohnverhältnisse hat, deren Veränderungen durch die Pandemie als besonders belastend empfinden. Die Befunde ähneln Studien aus China, Indien, Italien, den USA und Deutschland, die während der Pande- mie auch mehr depressive, Angst- und Stressreaktionen fanden, wobei die Datenlage unzureichend ist. Im zweiten Durchgang der COPSY-Studie, die um den Jahreswechsel 2020/2021 durchgeführt wurde, zeigte bereits jedes dritte Kind psychische Auffälligkeiten – vor der Pandemie war es jedes fünfte Kind. Sorgen und Ängste haben weiter zugenommen, depressive Symptomatiken waren verstärkt zu beobachten, die Lebensqualität hat sich verschlechtert. Dennoch: Die Auffälligkeiten dürfen nicht mit psychischen Störungen oder Krankheiten verwechselt werden – es handelt sich nur um ein Screening, das weiterer Abklärung bedarf.


Ursachen vielfältig und individuell sehr unterschiedlich

Auch das Department für Psychotherapie und Biopsychosoziale Gesundheit untersucht seit Beginn der Covid-19-Pandemie die psychische Gesundheit der Bevölkerung. Bereits im April, Juni und September 2020 zeigte sich ein Anstieg depressiver Symptome, Ängste oder Schlafprobleme. Eine Folgestudie belegt rund um den Jahreswechsel eine erneute Ver- schlechterung. Laut der aktuellen Studie leidet rund ein Viertel der Bevölkerung (26 %) an depressiven Symptomen, 23 % an Angstsymptomen und 18 % an Schlafstörungen. Die Stu- die rund um den Jahreswechsel umfasst eine repräsentative Bevölkerungsstichprobe von rund 1.500 Personen.

Besonders gravierend sind die Ergebnisse bei jungen Menschen zwischen 18 und 24 Jah- ren, die schon in den vergangenen Untersuchungen stets am stärksten belastet waren. Hier kam es zu einem sprunghaften Anstieg von rund 30 % auf 50 %. Des Weiteren sind Frauen,

Arbeitslose und Alleinstehende besonders betroffen. Das zeigt sich auch in einem deutli- chen Rückgang der Lebensqualität, die im Vergleich zur Untersuchung von 2019 um rund ein Fünftel abgenommen hat. Ausge- nommen ist hier die Gruppe über 65 Jahre, die wie bei den vorangegangenen Studien am besten durch die Krise kommt. Men- schen, die in einer Beziehung leben, ein gu- tes soziales Umfeld haben und regelmäßig Sport betreiben, sind vergleichsweise weni- ger belastet.

Die Ursachen für den Anstieg psychischer Probleme sind zweifelsohne vielfältig und in- dividuell sehr unterschiedlich. Neben Sorgen um die eigene Gesundheit können Zukunfts- ängste, finanzielle Sorgen, Jobverlust oder Einsamkeit eine Rolle spielen. Als besonders belastend werden neben der Pandemie an sich die schwierige wirtschaftliche Lage so- wie Folgen und die Maßnahmen zur Eindäm- mung erlebt. Hilfreich werden hingegen das familiäre oder soziale Umfeld, offensive Stressbewältigungsmechanismen, Sport oder Hobbys erlebt.


Wer kommt gut durch die Krise?

International zeigt sich ein ähnliches Bild: Je stärker ein Land oder eine Region von der

Pandemie betroffen ist, umso häufiger finden sich die genannten Symptomatiken wieder: Angststörung, Depression, Suchtmittelmissbrauch, psy- chosomatische Beschwerden. Am besten kommen Personen über 65 durch die Krise, junge Erwachsene zeigen hingegen hohe Belastungswerte, genauso wie Frauen, Singles und Personen ohne Arbeit. Die Ursachen sind dabei die Sorge um die eigene Gesundheit, Zukunftsängste, finanziel- le Sorgen, Existenzängste, unsichere Arbeitsplätze oder Einsamkeit. Hilfreiche Strategien wären körperliche Bewegung, die Nutzung eines guten sozialen Netzwerkes und eine zuversichtliche Lebenseinstellung. In schweren Fällen ist jedenfalls die Inanspruchnahme professioneller Hilfe erfor- derlich. Eine psychische Belastung ist – neutral formuliert – etwas, das auf unser Befinden einwirkt. Ob Belastungen, die uns täglich beanspru- chen, eine negative oder positive Wirkung entfalten, ist vom sozialen Kontext und den individuellen Bewältigungsstrategien abhängig. Häufige, in- tensive und lang andauernde Normabweichung des Erlebens, Befindens und Verhaltens deuten auf eine psychische Erkrankung hin. Die Grenze zwischen Belastung und Erkrankung ist nicht immer ganz klar zu ziehen. Als Faustregel gilt, wenn man selbst ein Gefühl von Hilflosigkeit und Ver- zweiflung verspürt, ist es an der Zeit, Hilfe anzunehmen. Dieses Gefühl kann sich in der Überforderung mit alltäglichen Aufgaben zeigen, in Bewäl- tigungsstrategien, die nicht mehr greifen oder aber wenn Suizidgedanken auftreten. Betroffene warten meist zu lange, bevor sie sich ihrem Haus- arzt anvertrauen oder psychologische Therapie in Anspruch nehmen.