DFP & FORTBILDUNG I Verband der Leitenden Krankenhausärzte Österreichs 

Foto: VLKÖ

„Ein Abteilungsvorstand kann nicht Everybody’s Darling sein“

Primarärzte sind als Führungskräfte im Spital mit einer Reihe von Managementaufgaben betraut. Em. Prim. Univ.-Prof. Dr. Erich Pohanka, Beirat im Verband der leitenden Krankenhausärzte Öster- reichs (VLKÖ), gibt Einblick, welche Herausforderungen sich dazu in der täglichen Praxis ergeben.

?Ärzte in Führungspositionen müssen weit mehr Wissen haben als „nur Medizin“ – hat sich das im Laufe der Zeit verändert?

Der Gott in Weiß ist schon lange tot. Ein moderner Abteilungsleiter ist eine Führungsperson, die gemeinsam mit kompetenten Mitarbeitern ein star- kes Team bildet. Er muss mit den Kollegen strukturierte Gespräche zu Problemen des beruflichen Alltags, wie Leistung, Kommunikation und Zu- sammenarbeit, führen. Die Ziele dieser Gespräche reichen von der Einschätzung und Entwicklung persönlicher Kompetenzen und Perspektiven bis hin zur Überwindung von Konflikten, die deeskaliert werden sollen. Allerdings ist der Primar kein neutraler Beobachter, sondern ein Vorgesetz- ter, der letztlich Entscheidungen zu treffen hat.

Die wichtigste Aufgabe besteht darin, jeden Mitarbeiter an der richtigen Stelle einzusetzen und jene Aufgaben zuzuteilen, für die eine gute Eig- nung, im Idealfall sogar eine besondere Motivation besteht. Regelmäßige Mitarbeitergespräche, in denen auch zugehört wird, welche Ambitionen bestehen oder geweckt werden könnten, sind heute unumgänglich. Andererseits sind klare Vorgaben gefordert, Leistungsvereinbarungen müssen getroffen werden und ihre Einhaltung ist zu kontrollieren. Qualitätssicherung und ihre Überprüfung sind heute zentrale Themen. Dabei kann ein Ab- teilungsvorstand nicht „Everybody’s Darling“ sein, aber das erwarten sich die Mitarbeiter in der Regel auch gar nicht.


?Wo sehen Sie für leitende Ärzte derzeit die größten Herausforderungen?

Führungskräfte haben Personal- und Budgethoheit, beides fehlt einem Primararzt. Problematisch wird dann aber, dass ein Abteilungsvorstand für die Qualität der Leistungen seiner Abteilung und deren gesamtes Erscheinungsbild spitalsintern, aber auch in der Öffentlichkeit verantwortlich ge- macht wird. Hier besteht eine fühlbare Diskrepanz zwischen der Verantwortung und der realen Gestaltungsmöglichkeit.


?Sind junge Ärzte überhaupt daran interessiert, künftig auch zusätzliche Managementaufgaben zu übernehmen?

Das ist eine gute Frage. Für die Mehrheit der jungen Kollegen wird das wohl für Teilbereiche wie Organisation der Diensteinteilung oder Qualitäts- management zutreffen. Auffällig ist jedenfalls, dass es für früher sehr begehrte und sogar heiß umkämpfte Primararztpositionen teilweise nur eine geringe Anzahl von Bewerbern gibt. Das sollte die Verantwortlichen doch nachdenklich machen. Zur Work-Life-Balance ist festzuhalten, dass lei- tende Ärzte von Arbeitsdienstzeitregelungen ausgenommen sind. Ich halte das grundsätzlich für richtig, es wird aber problematisch, wenn in klei- neren Krankenhäusern die gefährliche Vorstellung besteht, der Primararzt könnte bei Personalmangel jederzeit für Nachtdienste einspringen, weil er ohnedies keiner arbeitszeitlichen Reglementierung unterliegt.

Dieses Szenario ist für jüngere Kollegen sicher nicht besonders attraktiv. Ich bin dennoch optimistisch, ich habe immer wieder junge Mitarbeiter mit außergewöhnlicher Motivation erlebt, von denen man sich nicht nur medizinisch-fachliche und wissenschaftliche Leistungen, sondern auch Kompetenz bei Führungsaufgaben erwarten darf.


?Ist der Arzt als Ökonom gefährdet, nicht mehr zum besten Wohle der Patienten zu entscheiden?

Persönlich habe ich nie erlebt, dass Patienten aus finanziellen Gründen nicht die bestmögliche, evidenzbasierte Therapie erhalten hätten und ich denke, das gilt für das ganze Land.

Eine wirkliche Herausforderung stellt die Behandlung von „Orphan Diseases“ dar, für die in jüngster Vergangenheit innovative Medikamente entwi- ckelt wurden. Nachdem die Anzahl der Erkrankten und damit auch die zu erwartenden Umsätze niedrig sind, müssen die Entwicklungskosten über sehr hohe Arzneimittelpreise hereingebracht werden. Hier werden Politik und Gesellschaft grundsätzliche Vorgaben liefern müssen, wo die Grenzen zur Machbarkeit liegen. Ein aktuelles Problem, das alle betrifft, stellt der Mangel an Fachärzten dar, der in einigen Bereichen sowohl den intramuralen Spitalsbereich als auch den extramuralen Bereich der niedergelassenen Ärzte betrifft. Hier sind Entscheidungen zu treffen, wo ein Patient zu seinem besten Wohl behandelt werden kann oder soll. Zahlreiche Ambulanzen sind stark überlastet, leiden unter Personalmangel und müssen Patienten ablehnen. Die Auslagerung in den niedergelassenen Bereich ist grundsätzlich sinnvoll, aber nur möglich, wenn dort ausreichen- de Kapazitäten bestehen. Die Empfehlung „zum Wahlarzt zu gehen“, wird nicht für jeden Patienten leistbar sein und oft und auch zu Recht als zy- nisch wahrgenommen werden. Klar ist, dass sich Spitäler vorwiegend auf Spezialambulanzen fokussieren sollen. Personalbedingte Leistungsre- duktionen in diesen sehr speziellen Bereichen müssen aber für jeden leitenden Arzt mit sozialem Verantwortungsgefühl ein Dilemma darstellen.


?Braucht es für Ärzte in Führungspositionen fortführende Aus- und Weiterbildungen und auch eine passende Unternehmenskultur?

In praktisch jeder Ausschreibung sind solche Ausbildungen gefordert, aber es mag sein, dass die diesbezügliche Weiterbildung optimiert werden kann. In jedem großen Unternehmen gehört die Schulung und Weiterbildung zur selbstverständlichen Unternehmenskultur. Fluglinien trainieren ihre Piloten, Banken und staatliche Unternehmungen schulen ihre Mitarbeiter intern und extern. Im Gesundheitsbereich wird diese Aufgabe gerne an die Industrie delegiert, wodurch für die öffentliche Hand viel Geld gespart wird. Man muss sich nur gut überlegen, ob diese Kooperationen ge- nützt oder kritisiert werden sollen.


?Wohin entwickelt sich die Rolle der leitenden Ärzte, wohin sollte sie sich entwickeln?

Der Vorstand einer Abteilung muss den Spirit seiner Abteilung prägen, er muss zeigen, wofür seine Klinik steht und welche Prioritäten gesetzt wer- den. Diesen Geist sollen alle Mitarbeiter mittragen und auch nach außen transportieren. Dazu gehört auch Öffentlichkeitsarbeit nach dem Motto: „Mach gute Medizin und sprich darüber.“ Wer schweigt, wird auch nicht wahrgenommen.

In Zeiten von Personalmangel wird es wichtig sein, hochqualifizierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen durch attraktive Angebote anzulocken und zum Bleiben zu bewegen. Leistungen herunterzufahren, mag manchmal kurzfristig nötig sein, stellt aber kein Konzept für die Zukunft dar.

Ein Leiter muss die geistige Avantgarde bilden, innovative diagnostische und therapeutische Methoden frühzeitig implementieren und besondere Talente in der Gruppe seiner Mitarbeiter erkennen und fördern. Es reicht nicht, bloß der Verwalter von Urlaubsscheinen und Dienstplänen zu sein.

?Welche Rolle übernimmt der VLKÖ dabei?

Der Verband leitender Krankenhausärzte soll ein Ort der Bewusstseinsbildung für alle sein, die leitende Funktionen im Gesundheitssystem inneha- ben, um gemeinsame Probleme zu definieren und um Lösungen zu finden. Er soll Brücken schlagen zwischen im Krankenhaus tätigen Ärzten und den Stakeholdern im System, was die Vertreter der Verwaltung, der Kranken- oder Gesundheitskassen, der Industrie, der Medien und der Politik inkludiert. Ich denke, hier ist noch reichlich Bedarf für einen konstruktiven Gedankenaustausch.

Ich bin immer wieder überrascht, welche Summen im Gesundheitssystem für externe Beratungen ausgegeben werden. Diese Unternehmungen suchen dann Abteilungsleiter auf und lassen sich Probleme schildern, die ohnedies längst bekannt, aber ungelöst geblieben sind. Angebotene Lösungen stammen dann entweder vom Team selbst oder sind in vielen Fällen nicht praktikabel und nicht umsetzbar.

Viel Geld wäre einzusparen, wenn die Ratschläge der direkt Betroffenen vorab ernst und angenommen würden. Gerade jetzt mit einer Regierung aus sehr erfahrenen Experten, erscheint es logisch, auch im Spitalswesen auf jene zu hören, die ihr Fach von der Pike auf gelernt haben und über viel Praxis verfügen.


rh