REHABILITATION Angststörungen 

Abstand von zu Hause kann helfen, Konflikte und

Spannungssituationen besser lösen zu können.

Jugendliche unter Druck

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Wie Depressionen und Angststörungen bei Jugendli- chen rechtzeitig erkannt und behandelt werden können.

Laut der in Österreich im Jahr 2017 veröffentlichten „Mental Health in Austrian Teenagers (MHAT)“-Studie zur psychischen Gesundheit von Jugend- lichen leiden über 20 % der Zehn- bis 18-Jährigen an psychischen Problemen. Etwa die Hälfte von ihnen benötigt professionelle Hilfe, zwei Drittel davon brauchen sie sogar dringend. Depressive Störungen und Angststörungen gehören zu den häufigsten. Die Prävalenzrate bei Depressionen liegt bei 5 bis 6 %. Bei Mädchen kommt diese Erkrankung doppelt so häufig vor wie bei Burschen. Auch der psychosoziale Hintergrund spielt eine wichtige Rolle für das Erkrankungsrisiko. Die Rückfallrate innerhalb eines fünfjährigen Beobachtungszeitraumes beträgt mehr als ein Drittel. Dazu kommen saisonal bedingte depressive Verstimmungen (SAD seasonal affective disorder). In nicht wenigen Fällen führen diese Beeinträchtigungen dazu, dass die Betroffenen aus Schul- und Ausbildungssystemen herausfallen.


Anzeichen von Überforderung

Kinder und Jugendliche zeigen uns durch ihr Verhalten, wenn es ihnen nicht gut geht oder etwas „nicht stimmt“, da es ihnen oft noch an verbalen Ausdrucksmöglichkeiten fehlt. Erste Anzeichen für psychische Probleme sind, je nach Alter, meistens Schwierigkeiten in der Schule oder in der be- ruflichen Ausbildung. Es kommt zu einem Leistungsabfall oder vermehrten Fehlstunden. Auch somatoforme Beschwerden wie Übelkeit, Kopf- oder Bauchschmerzen können Anzeichen von Überforderung sein. Vor allem bei Mädchen beobachten wir Veränderungen des Essverhaltens im Sinne einer beginnenden Magersucht, aber auch Binge-Eating oder starke Gewichtszunahme. Bei Burschen ist die Aufgabe eines

Hobbys wie etwa Fußball spielen und die damit verbundene Verminderung der körperlichen Aktivität ein erstes Vorzeichen. Sozialer Rückzug, zum Beispiel an den Computer, der Verlust von Freundschaften oder aggressive Verhaltensweisen führen zu Vereinsamung und Stimmungstiefs. Sehr häufig kommt es auch zu Ein- und Durchschlafstörungen, was wiederum zu einer Umkehr des Tag-Nacht-Rhythmus führen kann. Wenn Jugendli- che zur Lösung ihrer Probleme zu Alkohol oder Drogen greifen, haben sie oft schon einen längeren Leidensweg hinter sich.

Viele Jugendliche verlieren so den Bezug zu ihren eigenen Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten und verlagern ihre Kontakte zu anderen Men- schen in den virtuellen Raum der sogenannten „Sozialen Medien“. Durch neurobiologische Veränderungen im Gehirn im Rahmen der pubertären Entwicklung ist die Verletzlichkeit und Kränkbarkeit zusätzlich erhöht, es kommt leichter zu impulsiven Handlungen. Die letzte Konsequenz, wenn Jugendliche keinen Ausweg mehr sehen, ist der Suizid, die zweithäufigste Todesursache bei Jugendlichen nach Autounfällen.


Zusammenreißen reicht nicht

Fehlende Zukunftsperspektiven bringen Familien und Bezugspersonen oft an die Grenzen der Be- lastbarkeit. Daher ist die frühzeitige Behandlung von Depressionen und anderen psychischen Stö- rungen bei Jugendlichen von unendlich hoher Wichtigkeit für die öffentliche Gesundheit. Die derzeitige Situation, in der Probleme der Jugend- lichen in erster Linie im – sofern vorhanden – fa- miliären Rahmen gelöst werden müssen, da Schulen und andere öffentliche Einrichtungen ge- schlossen sind, lässt befürchten, dass die Zahl der psychisch belasteten Jugendlichen erheblich steigen wird. In Österreich gibt es zahlreiche Stel- len, an die sich Betroffene oder deren Angehörige wenden können. Allerdings ist eine psychische Erkrankung nach wie vor ein Tabuthema in Famili-

en. Einzugestehen, dass ein „reiß dich zusammen“ nicht ausreichend ist, um eine Verhaltens- oder Stimmungsänderung zu erreichen, ist ein enor- mer Schritt für Eltern. Oft sind die ersten Ansprechpartner Hausärzte, Kinderärzte oder psychosoziale Beratungsstellen. Aber auch Schulärzte oder -psychologen oder -sozialarbeiter können erste Schritte einleiten und an einen Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie weiterverweisen.


Grundlage für Therapieplanung

Kinder- und Jugendpsychiater machen sich ein umfassendes Bild der Gesamtsituation im Rahmen einer ausführlichen Anamnese gemeinsam mit Eltern oder wichtigen Bezugspersonen. Es kommt zur Klärung der familiären und schulischen/beruflichen Rahmenbedingungen. Eine klinisch-psy- chologische Diagnostik gibt Aufschluss über Stärken und Schwächen sowohl im kognitiven als auch im emotionalen Bereich. Alle diese Informatio- nen sind die Grundlage für die weitere therapeutische Planung. Die Behandlung besteht aus mehreren Säulen, die wichtigsten sind Psychothera- pie/psychologische Behandlung, Medikation und Unterstützung im Alltag.

Je nachdem, ob es Komorbiditäten gibt, ergibt es Sinn, zusätzlich Förderprogramme wie Ergotherapie, Logopädie und Lernunterstützung oder eine diätologische Beratung einzuleiten. Erweiterte Hilfsmaßnahmen im Sinne einer Unterstützung direkt in der Familie können über die Jugendhilfe organisiert werden. Wenn ambulante Hilfsmaßnahmen nicht ausreichen, kann die Aufnahme in eine fachspezifische Klinik notwendig sein. Hier können die Jugendlichen in ihrer Peer-Group an ihren Problemen arbeiten und Unterstützung in der Tagesstrukturierung bekommen. Oft hilft der „Abstand von zu Hause“, Konflikte und Spannungssituationen besser lösen zu können.


Reha hilft, alltagsfit zu werden

Neben den Akutkrankenhäusern in den Landeshauptstädten stehen in Österreich mittlerweile drei Rehakliniken für „Mental Health“ zur Verfügung, die in einem fünfwöchigen individualisierten Therapieprogramm die Jugendlichen wieder „alltagsfit“ machen sollen. Ein stationäres Setting bietet den Vorteil, alle Berufsgruppen unter einem Dach zu haben, die zu einer multimodalen Behandlung notwendig sind. In Wildbad liegen die Schwer- punkte der Behandlung im Bereich Psychotherapie/psychologische Behandlung. Regelmäßige Kontrollen bei den Fachärzten ermöglichen das ge- naue Beobachten einer medikamentösen Einstellung. Das Sport- und Bewegungsprogramm wird ausschließlich von eigens dafür ausgebildeten Therapeuten durchgeführt und ist bei den Jugendlichen sehr beliebt. In den hauseigenen Schulklassen wird Lernstoff nachgeholt oder vertieft, so- dass der Wiedereintritt ins schulische Setting nach der Reha ohne Probleme erfolgen kann. In der therapiefreien Zeit werden die Jugendlichen von unseren Sozialpädagoginnen betreut. Rund um die Uhr stehen eine Pflegekraft und eine Ärztin als Ansprechpartner zur Verfügung. Nicht weniger wichtig ist auch die professionelle Nachbetreuung nahe dem Wohnort, um den Therapieerfolg langfristig zu stabilisieren. Die Zuweisung zur Reha erfolgt wie bei Erwachsenen über die behandelnden Fach- oder Hausärzte, die den Antrag bei ihrem Sozialversicherungsräger stellen.