DFP-FORTBILDUNG & KLINIK I Porträt
Tradition trifft Moderne
Foto: Gesellschaft der ärzte in wien
Die Gesellschaft der Ärzte in Wien wurde im Jahr 1837 gegründet und hat ihren Sitz im „Billrothhaus“ im 9. Wiener Gemeinde-
bezirk. Das Angebot stellt bis heute einen einzigartigen Brückenschlag zwischen Ver- gangenheit, Gegenwart und Zukunft der
Medizin dar.
Der Anlass zur Gründung der medizinischen Traditionsgesellschaft war vor rund 180 Jahren aktueller denn je: „Die Choleraepidemie weckte bei den Ärzten das Bedürfnis, sich zu vernetzen“, gibt Prim. Univ.-Prof. Dr. Beatrix Volc-Platzer Einblick in die Geschichte der wohl traditionsreichsten medizinischen Gesellschaft Österreichs. Sie wurde jüngst zur neuen Präsidentin der Gesellschaft gekürt und hat damit als erste Frau in der Ge- schichte diese Rolle inne. Ein Umstand, der sich auch auf die Aktivitäten der Gesellschaft auswirken wird: „Wir wollen in Zukunft vermehrt auch junge Forscherinnen vorstellen und diesen Schwerpunkt ausbauen“, sagt die Medizinerin.
Damals wie heute besteht die Hauptaufgabe der Gesellschaft in der Vernetzung der Ärzte, der Fortbildung und der Präsentation neuester medizi- nischer Forschungsergebnisse. Zu diesem Zweck werden regelmäßig wissenschaftliche Veranstaltungen durchgeführt und eine eindrucksvolle Bi- bliothek geführt: „Mitglieder haben einen Onlinezugriff auf medizinische Fachzeitschriften und Datenbanken. Nicht nur die aktuelle Entwicklung hat es erforderlich gemacht, dass wir die Onlineangebote weiter ausbauen. So steht zum Beispiel über das „Billrothhaus.TV“ eines der umfangreichs- ten Videoangebote zur medizinischen Fortbildung zur Verfügung“, beschreibt Volc-Platzer das Angebot. Mit den Videos war die Gesellschaft Vor- reiter in Sachen E-Learning, denn schon in den 90er-Jahren wurden die ersten Aufzeichnungen durchgeführt. Allein mit dem hier zur Verfügung gestellten DFP-approbierten Angebot können im Jahr mehr als 100 Fortbildungspunkte erreicht werden.
Die Ausbildung der Jungmediziner liegt der Dermatologin besonders am Herzen: „Medizinstudenten können kostenlos Mitglied in der Gesellschaft werden und an einem umfassenden Angebot an Workshops teilnehmen, in denen sie wichtiges Basiswissen vermittelt bekommen. Praktische In- puts aus allen Fachdisziplinen stehen hier zur Verfügung, wie etwa klinische Untersuchungen, EKG-Lesen oder das Führen von Anamnesegesprächen.“
In Sachen Fortbildung kann die Gesellschaft der Ärzte auf eine lange historische Tradition zurückblicken, die heute unter dem Begriff „Interdiszipli- narität“ neuen Aufschwung erlebt: „Wir haben sogenannte wissenschaftliche Sitzungen, der Begriff stammt aus einer Zeit, als viele Krankheitsbil-
der erstmalig umfassend beschrieben wurden. Ärzte aller Fachdisziplinen haben sich hier einmal pro Woche getroffen und Fallbesprechungen durchgeführt, Patienten vorge- stellt oder Diagnosen analysiert“, erzählt Volc-Platzer. 1850 trug etwa Ignaz Semmelweis seine Entdeckung der Ursachen des Kindbettfiebers vor. Sigmund Freud hielt ab 1886 zahlreiche Vorträge in der Gesellschaft und Karl Landsteiner war ab 1901 ordentliches Vereinsmitglied. „Die Treffen haben sich bis heute fortgesetzt. Aktuell finden wissen- schaftliche Abende statt, wo aus unterschiedlichen Facharztdisziplinen die Perspektiven zu einer Indikation gesammelt werden“, spannt die Präsidentin den Bogen zwischen Ge- schichte und Gegenwart.
Offen für alle
Die sehr gut sortierte Bibliothek trägt seit ihrer Einrichtung im Jahr 1840 wesentlich zur Versorgung der Wiener Ärzte mit aktuellen medizinischen Informationen bei. Die Univer- sitätsbibliothek Wien stellt seit Jahrzehnten einen Bibliothekar dafür ab. Die Bibliothek zählt zu den ältesten medizinischen Fachbibliotheken im deutschsprachigen Raum und gilt bis heute als die größte private Sammlung medizinischer Literatur Europas. Vor Er- richtung der Medizinischen Universität Wien im Jahr 1994 war sie auch die größte medi-
zinische Bibliothek in Österreich. Im Lesezimmer liegen nach wie vor die aktuellen Jahrgänge von mehr als 40 Fachzeitungen und -magazinen aus dem medizinischen und gesundheitspolitischen Bereich auf. „Mithilfe von stu- dentischen Mitarbeitern wird ein umfassendes elektronisches Literaturservice angeboten, das Mitglieder der Ge- sellschaft bei der Beschaffung medizinischer Fachliteratur unterstützt. Bis zu 25 Artikel pro Jahr können dabei kos- tenlos bestellt werden“, weist die Medizinerin auf ein häufig genutztes Service hin. Darüber hinaus wird über die Website des Vereins ein Zugang zu den wichtigsten Datenbanken im medizinischen Bereich angeboten. Die Ge- sellschaft der Ärzte war außerdem Partner im EU-Projekts KHRESMOI – Knowledge Helper for Medical and Other Information Users. Hier wird eine mehrsprachige, multimodale Suchmaschine aufgebaut, die medizinische Laien und Ärzten bei der Suche nach aktueller und verlässlicher medizinischer Information unterstützt.
Ideen für die Zukunft
„Wir haben einen historischen Bestand an Büchern, der bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht, und den wollen wir mehr in die Öffentlichkeit bringen“, so die Präsidentin. Geplant hat die engagierte Ärztin daher künftig kleinere Aus- stellungen rund um diesen Bücherfundus: „Wir wollen zu bestimmten Werken Fortbildungsthemen anbieten und damit einen Brückenschlag zwischen dem historischen Buchbestand und dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Der Festsaal mit seinem einzigartigen Flair kann auch für externe Veranstaltungen gebucht werden.
Künftig will sich Volc-Platzer in ihrer Rolle als Präsidentin weiteren Themen öffnen: „Wir werden uns nicht in die Ta- gespolitik einmischen, aber viele dieser aktuellen Themen aus der Sicht der medizinischen Experten aufgreifen. So waren wir eine der ersten, die wichtige Links zu Covid-19-Themen und Videointerviews mit Immunologen oder Ge- rinnungsexperten zur Verfügung gestellt haben.
rh