Praxis | Ärztemangel

FOTOS: P. SCHMIDT, ÄK WIEN / ANNA RAUCHENBERGER, LKH KLAGENFURT, LISI SPECHT, ISTOCKPHOTO/ KAANC

Zu viele,

zu wenige oder

die Falschen?

In den 70er-Jahren schien das Schicksal des Waldes besiegelt: Ein Massensterben durch sauren Regen war prognostiziert. „Wenn der Wald stirbt, stirbt der Mensch“, so der Slogan von Aktivisten. Der Wald lebt immer noch und was hat das mit den Hausärzten zu tun?

Ohne Hausarzt keine Gesundheitsversorgung und „stirbt der Allgemeinmediziner, stirbt der Mensch“, tönt es aus dem Gesundheitswesen. In regelmäßigen Abständen, und das schon seit Jahrzehnten, werden Warnungen laut, dass der Hausarzt ausster- ben wird, dass es einen massiven Ärztemangel bei steigendem Bedarf an Versor- gungsleistungen gibt. Vielleicht wird es den Hausärzten gehen wie dem Wald und sie sind künftig immer noch da. Vielleicht werden wir uns aber auch die Frage stellen müssen, warum niemand die Warnungen rechtzeitig ernst genommen hat.

„Die Verschärfung des Ärztemangels trifft nicht nur ländliche Regionen, auch in den Spitälern und in Ballungszentren wird es zunehmend eng. Die Gründe sind vielfältig – aber auch hinlänglich bekannt“, wie Dr. Rudolf Likar, MSc, Vorstand der Abteilung für Anästhesie und allgemeine Intensivmedizin am Zentrum für Interdisziplinäre

Schmerztherapie Onkologie und Palliativmedizin des LKH Klagenfurt, unter anderem in seinem Buch „Im kranken Haus“ beschreibt: „Die demo- grafische Entwicklung spielt uns nicht gerade in die Hände. Die Ausbildungsreformen bei den Ärzten und in der Pflege, die Auswirkungen des Ar- beitszeitgesetzes und den finanziellen Restriktionen erfordern einen proaktiven, flexiblen und lösungsorientierten Zugang“, sagt der Mediziner.


Aus dem revolutionären Wandel wurde nichts

Eine dieser Lösungen ist aktuell – wieder einmal – die „strukturiertere Patientenlenkung“. Sie ist auch nicht neu, erinnern wir uns doch noch an die Zeit der Ambulanzgebühren. Auch das sogenannte „Hausärztemodell“, das seit 2010 immer wieder aus Schubladen ausgegraben wird, um dann genauso schnell dort zu verschwinden, hat die Entlastung der Spitäler und die Lenkung der Patienten zum Ziel. Erinnern wir uns: Der Hauptver- band der österreichischen Sozialversicherungsträger forderte damals, dass die Aufgaben des Allgemeinmediziners in Richtung eines Gesund- heitskoordinators neu zu definieren wären. Ende 2011 hielt die Österreichische Ärztekammer in einer Studie fest, dass durch ein Hausarztmodell erhebliche Rationalisierungsreserven im österreichischen Gesundheitswesen gehoben werden könnten. Ein Einsparungspotenzial von 335 Millio- nen Euro wurde berechnet, wenn die Patienten mitspielen würden. Sie sollten im Fall des Falles zuerst ihren Arzt des Vertrauens aufzusuchen und nicht bei jedem Wehwehchen gleich Fachärzte und Spitalsambulanzen ansteuern. Tätigkeitsprofile und Vergütungssysteme wurden vorgeschla- gen, um am Ende wie so oft zu dem Schluss zu kommen: Die Implementierung einer hausarztbasierten medizinischen Primärversorgung in Öster- reich ist mit grundlegenden Systemveränderungen verbunden, die einen revolutionären Wandel darstellen würden.


Es ist wieder Zeit für „Patientenlenkung“

Angesichts der herausfordernden Personalsituation im Gesundheitswesen ist es wie- der einmal soweit, dass der Ruf laut wird, Patienten auf klaren Wegen durch das Ge- sundheitssystem zu lenken „Mit der Einführung der E-Card 2005 ist das damalige Modell der Patientensteuerung weggefallen, das den Zugang zu Krankenhaus oder Facharzt reglementiert hat. Seither ist eine zunehmende Orientierungslosigkeit der Patienten festzustellen“, ist Dr. Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, überzeugt. Überfüllte Ambulanzen zeigen, dass Patienten den ver- meintlich für sich besten, aber nicht immer den für das System kosteneffizientesten

Zugang in der Versorgungspyramide wählen. Mit sinkender Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung wird das System bis zum Anschlag aus- gereizt. „Die Alltagserfahrung zeigt, dass viele Patienten nach einer Internet-Selbstdiagnose von viel zu gravierenden Krankheitsbildern ausgehen und daher Anlaufstellen wählen, die für den Anlassfall meist zu hoch spezialisiert sind“, sagt Steinhart.

Und genau in diesem planlosen und kostspieligen Umherirren der Patienten fordert nun noch der stellvertretende Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) Andreas Huss einen „kompletten Umbau“ des Gesundheitssystems. Geht es nach dem ÖGK-Experten, so ist der Land- arzt ohnehin eine aussterbende Spezies. Daher ist es jetzt an der Zeit, weg von den Einzelärzten hin zu Versorgungszentren zu denken und Pri- märversorgungszentren (PVE) auszubauen.


Stärkung des niedergelassenen Bereichs

Angesichts der aktuellen Mängel in der Gesundheitsversorgung sei es wichtig, die Lenkung der Patientenströme strukturierter und konsequenter aufzustellen. Ein ent- sprechender Beschluss wurde in der jüngsten Vorstandssitzung der Österreichischen Ärztekammer gefasst. „Dazu gehört aus unserer Sicht die Vorgabe von klar struktu- rierten Pfaden ebenso wie eine deutliche Stärkung des niedergelassenen Bereichs. Denn man kann Patienten nicht zumuten, dass sie die aktuellen Entwicklungen im kassenärztlichen Bereich ausbaden“, sagt Steinhart. Leistungen dürfen aber auch nicht eigenmächtig an den teuersten Punkt der Gesundheitsversorgung, nämlich in die Spitäler, verlagert werden, wenn keine Notwendigkeit besteht. „Ich erwarte mir zur

Patientenlenkung von Politik und Systempartnern praktikablere und treffsicherere Werkzeuge, die gleichzeitig das Recht des Patienten auf freie Arztwahl respektieren“, sagt Steinhart. Man müsse dennoch darüber nachdenken, die Patientenlenkung auch mit einem stringenteren Reglement zu versehen. „In vielen europäischen Ländern gibt es bereits Modelle, die vielversprechend sein können. Wir bringen uns als Vertretung der Ärzte- schaft selbstverständlich gerne mit unserer Kompetenz in die Entwicklung eines österreichischen Weges ein“, sagt der ÖÄK-Präsident.


PVE als Allheilmittel

Huss will zum Ausbau von Versorgungszentren 500 neue Kassenplanstellen vergeben. Wer sich schon im Studium dazu verpflichtet, der soll bei der Vergabe vorgereiht werden. Mehr Studienplätze sollen helfen, den Ärztemangel zu beheben. Auch diese Pläne sind nicht neu, doch wir hin- ken aktuell schon die PVE-Ausbauplänen hinten nach und bei null Bewerbern auf so manche Kassenstelle hilft auch das Vorreihen nichts. 500 Mil- lionen Euro jährlich soll der Systemwechsel bis 2033 kosten. Ein guter Teil soll aus dem Finanzausgleich kommen, der aktuell gerade verhandelt wird.

Dr. Max Wudy, Vizepräsident der Ärztekammer für Niederösterreich, kann diesen Plä- nen nur wenig abgewinnen, denn 500 Kassenarztstellen seien zu wenig. „Das ent- spricht nur einer Erhöhung um 12 %, obwohl der Anteil der Bürger über 60 Jahre um mehr als das Dreifache gestiegen ist“, berechnet Wudy. Die Zentralisierung der Allge- meinmedizin in Versorgungszentren stößt dem Kammervertreter besonders negativ auf, denn: Primärversorgung muss wohnortnah und niederschwellig sein, ist also eben nicht zentralisiert in einem „Haus“.

Die Aufstockung der Studienplätze sieht Wudy auch nicht zielführend: „Es gibt im ge- samten OECD-Raum kein einziges Land, das pro Einwohner mehr Mediziner als Ös- terreich ausbildet. Allerdings gibt es auch nur wenige Länder, in denen so wenige

Ärzte als niedergelassene Allgemeinmediziner im öffentlichen Gesundheitssystem arbeiten.“ Neuerlich zeigt Wudy Probleme auf, die längst be- kannt, aber immer noch nicht gelöst sind: Medizin ist komplexer, aber auch gesprächsintensiver geworden, ein moderner Leistungskatalog fehlt und die Bürokratie hemmt Ärzte bei ihrer täglichen Arbeit. Auch Steinhart kann den ÖGK-Plänen wenig abgewinnen: „Das Gesundheitssystem braucht keinen kompletten Umbau, sondern mehr Flexibilität, um auf regionale Besonderheiten einzugehen und Ärzte als Kassenärzte zu gewin- nen.“ Eine optimale Patientenversorgung sieht für den ÖÄK-Präsidenten anders aus: „Alles über einen Kamm zu scheren, die Einzelordinationen abschaffen zu wollen und alle – nämlich Ärzte und Patienten – in Versorgungszentren zu zwingen, das wird nicht aufgehen“, meint Steinhart.


rh

Dr. Rudolf Likar, MSc, Vorstand der Abteilung für Anästhesie und allge- meine Intensivmedizin am Zentrum für Interdisziplinäre Schmerztherapie

Onkologie und Palliativmedizin des LKH Klagenfurt

OMR Dr. Johannes Steinhart,

Präsident der Österreichischen

Ärztekammer

Andreas Huss, Obmann der

Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK)

Dr. Max Wudy, Vizepräsident der

Ärztekammer für Niederösterreich