LONG-COVID & PSYCHE Gesundheitsberufe 

Erholung aktiv gestalten

Der Ärzte- und Pflegemangel sind kein neues Thema auf der Agenda des Gesundheitsministeriums. Die Pandemie hat einmal mehr die Überlastung der Gesundheitsberufe deutlich gemacht.

Gesundheitsberufe sind sowohl im Spital als auch im niedergelassenen Bereich sehr häufig hohen Belastungen ausgesetzt. Ein hohes Patienten- aufkommen, der Zeitdruck und die Erfordernisse, sehr rasch oft schwierige Entscheidungen zu treffen, gehören zum Alltag. Verschärft hat sich die Situation durch die Pandemie erheblich. Zudem hat die Digitalisierung die Arbeitswelt entscheidend verändert, das gilt auch für das Gesundheits- wesen. Ständige Erreichbarkeit ist für viele zur Selbstverständlichkeit geworden, was zur Folge hat, dass ein Abschalten vom Arbeitsalltag auch außerhalb der Dienstzeiten immer schwieriger wird. „Seit nunmehr über einem Jahr gehen die Bediensteten im Spitals- und Pflegebereich konstant an ihre Leistungsgrenzen und darüber hinaus“, sagt Dr. Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienob- mann der angestellten Ärzte, erst kürzlich anlässlich des von der Regierung vorgeschlagenen Covid-Bonus. Der geleistete Einsatz ist kaum in Geld auszudrücken und der Personalmangel im Gesundheitswesen braucht neben den politischen Strategien vor allem auch auf individueller Ebene passende Handlungsspielräume. Gerade Mitarbeiter in Gesundheitsberufen sollten wissen, dass es regelmäßiger Erholung bedarf, um auf Dauer auch leistungsfähig zu bleiben.


Müdigkeit ist ein Risiko

„Jede Arbeit führt früher oder später zu einer gewissen Müdigkeit. Diese Ermüdung kann zu Ungenauigkeiten und langsamen Reaktionen führen, die im Arbeitsleben immer ein Risiko darstellen.“, sagt Univ.-Prof. Mag. Dr. Gerhard Blasche. Er ist klinischer Psychologe, Gesund- heitspsychologe und Psychotherapeut und ist am Zentrum für Public Health der Medizini- schen Universität Wien tätig. Fehler bei der Ar- beit können gerade bei Ärzten oder Pflegeper- sonal massive Auswirkungen haben, wenn sie die Sicherheit der Mitarbeiter, aber auch die der Patienten gefährden. „Eine fortschreitende

Ermüdung erschwert auch die Befolgung von Vorschriften – Müdigkeit macht uns nachlässiger. Bei unzureichender Erholung summiert sich unsere Ermüdung. Dies steigert den Stresspegel, verschlechtert unseren Schlaf und führt auf diesem Weg zu einer Beeinträchtigung der seelischen und körperlichen Gesundheit“, fasst Blasche zusammen.

Dass diese Entwicklung weder für die Arbeitssituation noch für den einzelnen Betroffenen befriedigend sein kann, liegt auf der Hand. „Freizeit al- leine ist zur Erholung nicht genug. Vonnöten ist vielmehr eine kluge Freizeitgestaltung. Dazu gehört nicht nur ein Abschalten der arbeitsbezogenen digitalen Kommunikation, sondern ein Einplanen der Erholung im Alltag. Das betrifft nicht nur die Arbeitspausen, sondern auch längere Erholungs- episoden während des Tages sowie den Schlaf, das Wochenende und den Urlaub. Das Ziel ist, aufkommende Ermüdung stets von Neuem abzu- bauen, um Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit und Gesundheit zu erhalten“, betont der Experte.


Erholung gehört zum Gesundheitsverhalten

Die wirksamsten Erholungsaktivitäten orientieren sich dabei an unseren Bedürfnissen und machen Freude. Dazu gehört zunächst das Bedürfnis nach Ruhe und einer Entbindung von Verpflichtungen, um den Stresspegel zu senken. „Damit wir auch geistig zur Ruhe kommen, hilft alles, was behutsam ablenkt, wie Lesen, Musik, moderate Bewegung oder Natur. In zweiter Linie geht es darum, auch andere Bedürfnisse wie jene nach Selbstbestimmung, Kompetenz und Zugehörigkeit zu stillen. Dies steigert Elan und Wohlbefinden und heilt die kleinen seelischen Wunden des All- tages. In diesem Sinn ist – vergleichbar zu Ernährung und Bewegung – Erholung ein nicht unwichtiger Teil unseres Gesundheitsverhaltens“, sagt

Blasche. Gerade wenn die Belastung sehr hoch ist und „kein Ende in Sicht“, ist es unbedingt erforderlich, sich zu erholen, damit die Leis- tungsfähigkeit und das Wohlbefinden erhalten bleiben. Schon kleine Arbeitspausen können helfen, um den Druck zu reduzieren. „Ärzte vernachlässigen diese Pausen leider häufig, meist aus dem Gefühl heraus, dass keine Zeit dafür ist“, weiß der Experte aus Erfahrung und ergänzt: „Natürlich ist es schwierig, wenn alle am Limit arbeiten, auch noch Pausen einzufordern, aber gerade in einem Gesundheits- beruf ist man das sich selbst und den Patienten schuldig.“


Erholung kann man nicht speichern

Das Tückische daran ist: Je mehr man gefordert wird, desto mehr entsteht ein Flow, ein Glücksgefühl. Wer ständig über Leben und Tod entscheidet und auf Hochtouren fährt, schüttet ständig Adrenalin aus. „Das maskiert eine Zeit lang auch die Müdigkeit“, sagt Blasche und plädiert für kurze Auszeiten: „Es reicht schon, eine Minute beim Fens- ter rauszuschauen und ein paar tiefe Atemzüge zu nehmen.“ Denn wer längere Zeit auf Erholung verzichtet, übersieht meist selbst den Punkt, an dem die ersten Beeinträchtigungen erkennbar sind. So wie man nicht auf Vorrat schlafen kann, kann man auch Erholung nicht speichern. Je höher der Ermüdungspegel, desto länger dauert es, bis man wieder erholt ist. Hier spielt auch das Alter eine Rolle: Wäh-

rend man in jungen Jahren, etwa für Facharztprüfungen, durchaus längere Zeit mit weniger Erholung auskommt und dann nach ein paar Tagen wieder fit ist, kann bei älteren Mitarbeitern nach mehreren Zwölf-Stunden-Diensten ein Tag Erholung oder ein Wochenende nicht mehr ausreichen, um wieder in Form zu kommen.


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Welche Erholungstipps haben Sie für das Gesundheistpersonal?

• Nicht zu viel von sich fordern, Ärzte sind auch nur Menschen mit ihren Grenzen. Mitunter haben Spitalsärz- te das Gefühl, alles alleine stemmen zu müssen. Hier ist es wichtig anzuerkennen, dass man im Team durch- aus Hilfe hat und sich Auszeiten nehmen muss.

• Die mit emotionaler Belastung einhergehenden Gefühle nicht verdrängen, sondern mit einer gewissen Nachsicht annehmen und darüber sprechen, auch wenn es schwerfällt, das ermöglicht eine raschere Erho-



Nachgefragt bei ...


… Univ.-Prof. Mag. Dr. Gerhard Blasche, Zentrum für Public Health, Medizinisches Universität Wien

lung. Oft kommt es zu Scham- und Schuldgefühlen, wenn Pateinten sterben, weil man meint, nicht genug getan zu haben, um das zu verhindern. Nega- tive Gefühle führen zu einer Verminderung des Selbstwertgefühls – wenn man aber darüber spricht, kommt es zu einer rascheren Auflösung der Gefüh- le und die Erholung tritt rascher ein.

• In der Freizeit Hobbys nachgehen, die Freude bereiten, das schafft mental Abstand zur Arbeit. Das ist auch heilend für das Selbstwertgefühl.