DFP-FORTBILDUNG & KLINIK I Triage
Fotos: zvg, adobe stock/ Dennis M. Swanson
Wenn der Hut
brennt …
Schon unter Normalbedingungen waren die Ressourcen im Gesundheitssystem manchmal angespannt. Und wie wir alle wissen: Derzeit ist nichts „normal“.
Krankenhäuser, Ordinationen und Pflegeeinrichtungen schlagen zunehmend Alarm: Die Ressourcen werden knapp. Dabei geht es nicht immer um Intensivbetten. War es am Anfang der Pandemie die Schutzausrüstung, die fehlte, so verlagern sich jetzt die Engpässe in Richtung von Personal- ressourcen und medizintechnischer Ausrüstung. Das trifft nicht mehr nur Covid-19-Patienten, sondern alle, die ärztliche oder pflegerische Hilfe be- nötigen. Eine systematische und strukturierte Bestimmung der Behandlungsdringlichkeit – bekannt als Triage – kann dann erforderlich werden. Das Ziel dieser Ersteinschätzung ist, eine hohe Behandlungsdringlichkeit zuverlässig zu erkennen und jene Patienten, für die es notwendig ist, zeitnah der Behandlung durch den Arzt zuzuführen.
Die Erfahrungen, die Nachbarländer wie Italien gemacht haben, zeigen deutlich, dass sich die Frage nach dem Umgang mit knappen Ressourcen in der Gesundheitsversorgung rasch zuspitzen kann. Kein Arzt möchte dann mit diesen Entscheidungen allein gelassen werden. Juristin Dr. Chris- tiane Druml, Vorsitzende der Bioethikkommission, gibt Einblick in die Handlungsspielräume und die wichtigsten Eckpunkte, die bereits im März in einer Stellungnahme der Bioethikkommission für diesen Fall zusammengefasst wurden.
?Das Damoklesschwert der Triage lag in den letzten Tagen zunehmend öfter über dem Gesundheitssys- tem. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?
Durch das aktuell sehr dynamische Infektionsgeschehen kann im Extremfall ein Dilemma entstehen, für das es keine ethisch oder rechtlich befriedigende Lösung gibt. Nichtsdestotrotz gilt es, den Fokus der Aufmerksamkeit auf die kranken Menschen zu legen. Ihr individuelles Wohl, ihre Prognose und ihr Wille sind die maßgeblichen Kri- terien für die ärztlichen Entscheidungen. Kollektive Überlegungen im Sinn der öffentlichen Gesundheit tauchen in der konkreten Behandlungssituation allenfalls als Randbedingung auf.
Ärzte müssen sich immer Gedanken zu ethischen Prinzipien ihres Handelns machen, nicht nur während der Pan- demie. Jede medizinische Behandlung ist wissenschaftlich fundiert, aber auch von einer Geisteshaltung geprägt. Ärzte haben sich von Alters her schon mit ethischen Fragen auseinandergesetzt. Der hippokratische Eid war ein wichtiger Baustein dieser ethischen Grundhaltung.
?Triagen werden auch bei Katastropheneinsätzen oder bei vollen Notaufnahmen im Normalbetrieb erfor- derlich. Warum erzeugt das Thema derzeit so viel Angst und hat ein so negatives Image bekommen?
Wir sind gewöhnt, dass unser Gesundheitssystem auf einem sehr guten und hohen Niveau funktioniert. Das kann sich jetzt im Zuge der Pandemie aber rasch verändern und plötzlich steht nicht mehr alles zur Verfügung, auf das
wir uns bisher verlassen konnten. Jedes Gefühl eines Mangels – auch wenn er noch nicht eingetreten ist – erzeugt diese Angst vor dem Unbe- kannten und Ungewissen.
?Trifft das hauptsächlich auf die breite Bevölkerung zu?
Nicht nur. Auch für Ärzte ist das eine sehr kritische Situation und geht natürlich nahe – das darf man nicht unterschätzen! Jede kritische Ent- scheidung, die auch das Lebensende betreffen kann, ist für die Behandler schwer.
?Wie kann man Ärzte dabei unterstützen?
Wir haben versucht mit unserer Stellungnahme ein handhabbares Papier zu verfassen, das buchstäblich auch am Krankenbett Hilfestellung bieten kann. Wir haben auch festgehalten, dass es schon im Vorfeld Handlungsalternativen gibt, damit es gar nicht zu diesem Dilemma kom- men muss. Das können Aktivitäten auf klinischer Ebene oder auf gesellschaftlicher Ebene sein, die diese Situation entschärfen können. Auf kei- nen Fall können Alter oder soziale Stellung ein Maß für die Entscheidung sein. Die Triage ist die Ultima Ratio in einer Mangelsituation. Dazu ge- hört es zum Beispiel, Patienten in andere Kliniken zu verlegen oder auf andere Stationen. Was uns besonders wichtig ist: Es gilt auch in der
Pandemie der Wille des Patienten, das Vorliegen einer Indikation für eine Behandlung und ein klares Therapieziel.
?Geht es bei der Diskussion auch darum, dass wir als Gesellschaft nun gezwungen werden, uns aktiv mit dem Tod auseinanderzusetzen?
Diese Auseinandersetzung praktizieren wir jedes Jahr um Allerheiligen, auch hier wird der Tod plötzlich thematisiert, der sonst gerne weggeschoben wird. Auch aus Sicht des Arztes muss man verstehen, dass er seine zu behandelnden Patienten überlebend haben will. Der Tod stellt in gewisser Weise eine Niederlage dar. Auch für uns als Gesellschaft, wenn wir es nicht schaffen, Maßnahmen zu setzen, um das Infektionsgeschehen wieder einzudämmen und da- mit viele Menschen der Gefahr aussetzen, die Erkrankung nicht zu überleben.
rh