Psychische Traumen infolge einer Herzerkrankung sind ein häufiges und bisher wenig asteht eine Methode zur Verfügung, um eine Traumatisierung im Rahmen eines stationären Settings erfolgreich zu behandeln.
Herzerkrankungen, insbesondere der Herzinfarkt, werden oft als isoliertes körperli- ches Ereignis gesehen. Ein Herzinfarkt ist aber ein lebensbedrohliches Ereignis mit dem Gefühl der Bedrohung von Leib und Leben und dem Gefühl sterben zu müssen und somit ein psychischer Ausnahmezustand. Wenn sich Patienten nach dem Herzin- farkt nicht erholen und immer wieder mit Beschwerden medizinische Hilfe suchen, so kann es daran liegen, dass der Herzinfarkt nicht verarbeitet ist und das Erlebte sich zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) chronifiziert hat. Traumatisierte Herzpatienten sind in der Medizin ein häufiges Problem. Über 300.000 Patienten wer- den in Österreich pro Jahr wegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen stationär behandelt und davon leiden rund zehn bis 25 % an der Folge einer PTBS. Dazu zählen Sympto- me, die Ähnlichkeit mit einer Depression haben wie Angst, Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen, Reizbarkeit, Weinerlichkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Nervosi- tät und „inneres Zittern“. Flashbacks vom Infarkt und von der Situation auf der Inten- sivstation, immer wieder auftauchende Schmerzen im Brust- und Halsbereich, die ei- nem Infarkt ähnlich sind, aber ohne organischen Befund bleiben, weisen auf eine PTBS hin. Manchmal werden nur die körperlichen Symptome wahrgenommen, die Angst vor einem Reinfarkt auslösen. Von einer PTBS kann ausgegangen werden, wenn die Symptome erst seit der Herzerkrankung bestehen. Eine angstlösende Medi- kation oder Antidepressiva können Erleichterung bringen, die notwendige psychische Verarbeitung wird damit aber oft nicht erreicht.
Anerkannte Methode
Seit sechs Jahren wird im Herz-Kreislaufzentrum (HKZ) Groß Gerungs ein neuer Be- handlungsansatz angewendet: Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) wurde von der amerikanischen Psychologin Francine Shapiro vor über 20 Jahren speziell zur Behandlung von psychischen Traumen entwickelt. Die Wirksam- keit von EMDR wurde schon in vielen Falldarstellungen und Studien belegt, so wurde EMDR 1995 von der American Psychological Association und von der deutschen Bundesärztekammer 2006 wissenschaftlich geprüft und als spezielle Methode zur Be- handlung von PTBS anerkannt.
Traumabehandlung hat im psychosozialen Bereich schon vor 30 Jahren begonnen Fuß zu fassen. Heute ist psychologische Unterstützung mit Traumabehandlung bei
Suizid, sexuellem Missbrauch, Großschadensereignissen oder bei überlebter Gewalt wie Folter selbstverständlich. In der Medizin gibt es Ansätze zur Traumabehandlung mit EMDR in der Onkologie. Bei Herzerkrankungen ist das bislang noch ein Novum.
Angst vor Reinfarkt
Traumatisierend wirkt, wenn der Betroffene vom Ereignis überrascht wird, sich ausge- liefert und hilflos fühlt, Todesangst erlebt und das Ereignis aufgrund des extremen psychischen Stresses nicht adäquat verarbeiten kann. Das Ereignis wird fragmentiert und unverarbeitet abgespeichert. Dadurch werden durch bestimmte Reize, soge- nannte Trigger, Teile des Traumas wieder reaktiviert. Häufig melden sich Patienten in unserer Klinik in der Nacht mit einem Druckgefühl in der Brust, einem Globusgefühl im Hals gepaart mit Unruhe und erhöhtem Puls. Nach einem überstandenen Herzinfarkt liegt die Vermutung eines Reinfarktes nahe. Ergibt die medizinische Abklärung keine organbezogenen Ursachen und werden die Beschwerden nach einem Gespräch und der Gabe eines Beruhigungsmittels besser, dann ist durch einen klinischen Psycholo- gen zu klären, ob nicht ein Trauma vorliegt. Differentialdiagnostisch sind folgende Fra- gen hilfreich:
• Bestehen die Symptome seit dem Infarkt?
• Gleichen die Symptome denen des erlebten Infarkts?
• Treten die Symptome in Ruhe auf?
• Ist es für den Patienten belastend, an den Infarkt zu denken, das heißt, zeigt er eine Stressreaktion?
• Beschleicht mich als Arzt das Gefühl einer „psychischen Überlagerung“?
Traumabehandlung mit EMDR
Shapiro geht in ihrem AIP-Modell (Adaptive Information Processing) der Traumaverar- beitung von einem Informationsverarbeitungssystem in unserem Gehirn aus. Wird die- ses richtig aktiviert, findet es von selbst einen Weg, dysfunktionale Zustände in bes- ser adaptierte Zustände zu transformieren. Ziel dabei ist, dass belastende Erinnerun- gen und Erinnerungsfragmente verarbeitet werden, eine Neubewertung möglich wird und als nicht mehr belastende Erinnerung abgespeichert wird. Dies funktioniert grundsätzlich in drei Schritten:
1. Sequenzielles Identifizieren und Aktivieren der dysfunktional gespeicherten Erinne- rungsfragmente,
2. Aktivieren des AIP-Systems durch den Prozess unterstützende Elemente (zum Bei- spiel bipolares Klopfen auf den Brustkorb oder bipolare Augenbewegungen) und
3. Einfügen neuer relevanter Informationen
In der Traumabehandlung mit EMDR wird das Erlebte noch einmal erinnert, diesmal aber langsam mit Pausen und in Begleitung eines klinischen Psychologen. Dabei wird auch ein Körperreiz durch bipolares Klopfen auf den Brustkorb gesetzt, des Weiteren werden positive Tatsachen (positive Kognitionen) bezüglich des Infarktes eingewo- ben. Diese können sein: „Ich habe überlebt. Es ist vorbei. Es ist gut gegangen. Ich habe Glück gehabt.“ Sie müssen für den Patienten stimmig sein und dem Erlebten an- gepasst.
Dem Gehirn wird in dem Behandlungsprozess Zeit gegeben, die fragmentierten Infor- mationen zu sammeln, zu bearbeiten und neu abzuspeichern. Eine typische Reaktion bei einem Trauma ist: „Wenn ich jetzt dran denke, beginne ich zu schwitzen, mir drückt es die Brust zusammen, ich bekomme schlecht Luft und ich bekomme Angst!“ Nach einer gelungenen Behandlung würde derselbe Patient sagen: „Damals beim In- farkt, da hatte ich kalten Schweiß, es hat mir die Brust zusammengedrückt, ich habe fast keine Luft bekommen und ich bekam furchtbare Angst. Doch jetzt geht es mir gut. Ich kann daran denken und es macht mir gar nichts aus.“ Aus einem traumati- schen Wiedererleben ist eine normale Erinnerung geworden. Mit EMDR gelingt die Traumaverarbeitung oft sehr schnell und dauerhaft.
Gute Erfolgsaussichten
Die Behandlung wird im Rahmen einer drei- bis vierwöchigen Rehabilitation im HKZ Groß Gerungs angeboten. In einer hauseigenen Studie gelang es bei 33 Patienten, die subjektive psychische Belastung von durchschnittlich fast acht auf unter zwei ei- ner zehnteiligen Belastungsskala zu reduzieren, wobei zehn die maximale Belastung darstellt. Bei den meisten Teilnehmern lösten sich die Symptome ganz auf und der Er- folg war auch nach einem halben Jahr stabil. Neben dem Infarkt waren auch die Ver- arbeitung anderer Krankheitsbilder wie Aortendissektionen, Bypassoperationen, Klap- penoperation, Insulte oder medizinische Komplikationen Thema.
Unterstützt wird der Behandlungserfolg auch durch das Setting einer stationären Re- habilitation. Hier finden die Patienten die notwendigen Informationen, um ihre Erkran- kung zu verstehen. Sie haben genügend Zeit, ihre Befunde mit den behandelnden Ärzten zu besprechen, und es bieten sich Möglichkeiten, sich mit anderen Patienten über die Erkrankung auszutauschen.
Das stationäre Setting in der Rehabilitationsklinik stellt für Patienten eine sehr sichere Umgebung dar, in der sie sich wieder an ihre Leistungsgrenzen herantasten und mit gezieltem Training ihre körperliche Leistungsfähigkeit steigern können. Dies hilft ne- ben der Traumabehandlung, wieder Vertrauen zum eigenen Körper zu gewinnen.
Sichere Umgebung
Die Rehabilitationsklinik ist auch für behandelnde klinische Psychologen eine sehr si- chere Umgebung. Manche Traumatherapeuten sehen in der Behandlung von Herzpa- tienten eine Kontraindikation für ein konfrontatives Behandlungsverfahren wie EMDR. Dahinter steht die Angst vor einem Reinfarkt während der Traumaexposition. In den sechs Jahren des Einsatzes von EMDR und der Behandlung Hunderter Patienten ist bisher aber noch kein einziges Mal ein Infarkt während einer EMDR-Behandlung auf- getreten. Sollte dies der Fall sein, so stünde sofort medizinische Hilfe zur Verfügung.