Die weltweite – und somit natürlich auch die österreichische – Rehabilitationslandschaft muss sich seit der Covid-19-Pandemie einer neuen Herausforderung stellen, nämlich der Behandlung von Patienten mit organischen Grund-erkrankungen und Erschöpfungssyn- drom nach Covid-19-Erkrankung.
Rezentes Wissen hierzu konnte im Rahmen der jüngsten Jahrestagung der Ös- terreichischen Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rehabilitation (ÖGPMR) präsentiert werden.
Gemäß der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus 1981 um- fasst die Rehabilitation „den koordinierten Einsatz medizinischer, sozialer, be- ruflicher, pädagogischer und technischer Maßnahmen sowie Einflussnahmen auf das physische und soziale Umfeld zur Funktionsverbesserung zum Errei- chen einer größtmöglichen Eigenaktivität zur weitestgehend unabhängigen Partizipation in allen Lebensbereichen, damit der Betroffene in seiner Lebens- gestaltung so frei wie möglich wird“.
Diese Maßnahmen werden vier verschiedenen Rehabilitationsphasen zugeord- net. Die Phase 1 entspricht der Rehabilitation entspricht den Behandlungen im Rahmen des Aufenthalts im Akutspital. Phase 2 betrifft die stationären und am- bulanten Anschlussheilverfahren nach Operationen, Verletzungen und Erkran- kungen sowie Heilverfahren bei chronischen Erkrankungen, wobei landläufig
vor allem das stationäre Heilverfahren in Österreich gerne mit dem Begriff der „Rehabilitation“ gleichgesetzt wird.
Nur in ambulanter Form wird die Phase 3 in Ambulanzen und niedergelassenen Ambulatorien und Instituten für Physikalische Medizin und Rehabi- litation durchgeführt. In diesem Zeitraum steht es im Mittelpunkt, funktionelle Verbesserungen, die in der Phase 2 erarbeitet wurden, zu erhalten und möglichst weiter zu optimieren.
Die Phase 4 wiederum setzt Eigeninitiative der Betroffenen in Selbsthilfegruppen und Vereinen voraus, um dort erlernte Übungen und Trainingsplä- ne der bisherigen Rehabilitation weiter umzusetzen. Allen gemein sollte als Ziel die größtmöglichen Eigenaktivität zur Erlangung weitestgehender Teilhabe im Leben gelten!
Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass in der letzten Zeit zur Optimierung des Rehabilitationserfolgs bei geplanten Eingriffen und stationä- ren Aufenthalten immer öfter bereits im Vorfeld im Rahmen der sogenannten Prähabilitation bereits vorbereitende Therapien durchgeführt werden.
Was beeinträchtigt nun Patienten nach durchgemachter Covid-19-Erkrankung?
Laut der S1-Leitlinie Long/Post-Covid der AWMF werden verschiedenste Post-Covid-Symptome in unterschiedlichster Ausprägung identifiziert. Be- sonders häufig treten Erschöpfung, Dyspnoe in Ruhe und/oder Belastung, Leistungs- und Aktivitätseinschränkungen, Kopfschmerzen, Muskel- und Gelenksschmerzen sowie eine Reduktion des Geruchs- und Geschmackssinns auf. Viele Patienten leiden auch unter Husten, Schlafstörungen, de- pressiver Verstimmung, Angstsymptomatik, Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung, allgemeiner Schmerzsymptomatik, einem ver- ändertem Atemmuster, kognitiven Einschränkungen, Zwangshandlungen, Haarausfall und einer Stresssymptomatik. Sehr selten, aber auch außer- ordentlich belastend sind Lähmungserscheinungen und Sensibilitätsstörungen, Schwindel, Übelkeit, Diarrhoe, Appetitverlust, Tinnitus, Ohren- schmerzen, Stimmverlust, Palpitationen und Tachykardie.
Die entsprechenden Symptome weisen auf eine Long/Post-Covid-Symptomatik hin, wenn sie länger als drei Monate bestehen, wobei diese auch persistierend, rezidivierend, neu auftretend oder sich verschlechternd sein können und sich keiner anderen Ursache zuordnen lassen.
Zur Beurteilung des Stadiums der funktionellen Einschränkung von Grad 0 (keine) über Grad 1 (vernachlässigbar), Grad 2 (leicht), Grad 3 (mäßig) bis Grad 4 (schwer) unterteilt werden. Dies dient auch zur Risikostratifizierung, da ab Grad 2 (leichte funktionelle Einschränkung) weitere diagnosti- sche Maßnahmen sinnvoll sein können und erwogen werden sollten.
Teilziele im Rehabilitationsprozess
Beachtet man diese – durchaus recht mannigfaltige – Symptomatik unter dem Aspekt des Rehabilitationszieles einer größtmöglichen Teilhabe in allen Lebensbereichen, so können – natürlich individuell unterschiedlich gewichtet – folgende Teilziele für einen erfolgreichen Rehabilitationspro- zess definiert werden: die Erleichterung bei der Durchführung von Alltagstätigkeiten, die Verbesserung der Kraft und Ausdauer, die Verbesserung der Atmung, die Unterstützung bei psychischer Belastung durch Langzeitfolgen, die Verbesserung des Ernährungszustandes, die Regeneration und Erholung sowie letztlich auch die Akzeptanz der Erkrankung.
Folgende physikalische und rehabilitative Maßnahmen können – nach ärztlicher Evaluation und unter ärztlicher Aufsicht – den Patienten sinnvoller- weise angeboten werden: Eine der zentralen Behandlungsformen ist die Bewegungstherapie mit den Bewegungsübungen, die auch im Wasser durchgeführt werden können, sowie die medizinische Trainingstherapie als Ausdauer- und als Krafttraining. Der rezenten Literatur können mittler- weile auch Trainingsempfehlungen entnommen werden. So wird Folgendes gemäß S1-Leitlinie Long/Post-Covid der AWMF für Personen nach Co- vid-19-Erkrankung angegeben:
• Ein Training der großen Muskelgruppen mit ein bis zwei Sätzen bei etwa zehn Wiederholungen mit deutlich spürbarer, lokaler muskulärer Ermü- dung in Verbindung mit einem Ausdauertraining von fünf bis 30 Minuten bei etwa fünf bis acht metabolischen Äquivalenten (MET)
• Wenn möglich, sollten diese Trainingsempfehlungen mit einer Dauer von 40 bis 60 Minuten in einem Umfang von drei bis sechs Trainingseinhei- ten pro Woche durchgeführt werden.
Großen Stellenwert haben aber auch die Atemtherapie, Heilmassagen, Thermotherapie oder hydrophysikalische Behandlungen zur Regeneration. Zur Erreichung einer verbesserten Partizipation im Alltag leistet die Ergotherapie einen sehr wichtigen Beitrag. Im Mittelpunkt dieser Behandlungen stehen die Funktionsverbesserung und das Training der alltäglichen Tätigkeiten, aber auch durch die Versorgung mit Hilfsmitteln, die Alltagsaktivi- täten in manchen Fällen erst ermöglichen oder erleichtern. Weiters sind die Elektrotherapie zur Schmerzbehandlung und auch zur Muskelstimulati- on, die klinische und Gesundheitspsychologie zur psychologischen Unterstützung, diätologische Ernährungsberatungen, aktivierende Pflegemaß- nahmen sowie weitere indikationsspezifische Schulungen wesentliche Therapieformen für diese Patientengruppe.
All diese in Abstimmung durchgeführten multimodalen Behandlungsmethoden sind Bestandteile des Therapiespektrums der Rehabilitation und in den Leistungsvorgaben, den sogenannten Leistungsprofilen der Sozialversicherungen, enthalten.
Wesentlich ist aber, darauf hinzuweisen, dass die Rehabilitationsmaßnahmen bei Erschöpfungszuständen nach einer Covid-Erkrankung immer in Zusammenschau mit der Grunderkrankung aus dem internistischen oder orthopädischen oder neurologischen Indikationsspektrum gesehen und behandelt werden muss. Die Zuweisung muss dementsprechend in ein Rehabilitationszentrum des jeweiligen Formenkreises erfolgen, das beide Themen in der Therapie berücksichtigt.
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Literatur:
• AWMF S1 Leitlinie Long/Post – COVID (Stand 17.08.2022)
• Long Covid Leitlinie S1 Kurzfassung – Version 04 (Stand 14.10.2021)