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Durchfall gehört zu den zwanzig häufigs- ten Beratungsanlässen in der Hausarztpra- xis. Wenn Patienten mit bereits länger an- dauerndem, unspezifischem Durchfall die Ordination aufsuchen, ist neben umfas- sender Diagnostik vor allem auch Aufklä- rung gefragt.
AUTOR:
Dr. Erwin Rebhandl
Arzt für Allgemeinmedizin
(Geriatrie), Univ.-Lektor für AM an der med.
Fakultät der JKU Linz, Präsident von AM plus – Initiative für Allgemeinmedizin und Gesundheit,
erwin.rebhandl@hausarztmedizinplus.at,
Diarrhö an sich stellt ja keine Erkrankung, sondern nur das Symptom als Ausdruck zahlreicher Erkrankungen und Zustände dar. Den Betroffenen ist vordergründig die vielfach vorherrschende Angst zu nehmen, dass es sich per se um ein Kolonkarzinom handeln muss.
An der Kasuistik eines möglichen Praxisfalles lässt sich die breite Palette möglicher Ursachen des unspezischen Durchfalles darlegen: Frau A. ist 26 Jahre alt, Mutter zweier Kinder und seit der Kindheit Patientin in der Haus- arztpraxis. Die Compliance ist sehr gut, das Vertrauensverhältnis ein lang-
jährig bestehendes. Sie äußert im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung zum ersten Mal, dass sie seit ein paar Jahren ohne sichtlichen Anlass im- mer wieder kurzfristige Durchfälle habe, welche innerhalb von zwei Tagen ohne spezifische Therapie wieder abklingen. Frau A. hat bereits mehr- mals erfolglos versucht, die Ernährung umzustellen. Der Leidensdruck, an Krebs oder einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung erkrankt zu sein, hat sie jetzt dazu veranlasst, das Gesrpäch zu suchen. Zunächst sollte an Nahrungsmittel, Medikamente, vorangegangene Operationen oder Bestrahlungen im Abdomen als mögliche Ursache gedacht werden. Aufgrund der langjährigen, regelmäßigen Hausarztbesuche kann rasch fest- gestellt werden, dass bei Frau A. bisher keine gravierenden internistischen Vorerkrankungen vorliegen. Lediglich TE und Appendektomie im Klein- kindalter sind in der Akte vermerkt. Es liegt keine Medikation, außer einem Ovulationshemmer vor. Die Patientin raucht nicht und konsumiert keinen Alkohol. Einen Gewichtsverlust verneint sie.
Dem Sicherheitsgefühl der Patienten entgegenkommen
Wenn Patienten wegen unspezifischer Durchfälle ärztliche Hilfe suchen, sollten sie über die häufigsten Formen und die jeweilige Therapie aufge- klärt werden, um dem Sicherheitsgefühl der Betroffenen entgegenzukommen. Die Kriterien für Diarrhö laut EBM-Guidelines – also mehr als drei un- geformte Stühle und/oder wässrige Konsistenz sowie Stuhlmenge über 200 g innerhalb von 24 Stunden – sind gemeinsam zu erörtern. Bei anhal- tender Diarrhö liegt das Beschwerdebild bereits mehr als vier Wochen vor. Eine mögliche Beeinträchtigung der Lebensqualität zur Abklärung des Schweregrades ist zu erfragen.
Anhaltende Diarrhöen werden normalerweise in drei Formen unterteilt: wässrig, fettig und entzündlich. Oft handelt es sich um eine Kombination verschiedener Formen und eine der Komponenten ist dominant. Die Untersuchungen der Patienten richtet sich immer nach deren Begleitsymptomatik.
Bei jungen Patienten ist eine anhaltende Diarrhö oft funktionell und wird durch Malabsorption oder durch Lebensmittelunverträglichkeiten verur- sacht. Meteorismus, Bauchschmerzen, Flatulenz und Schleimabgänge in Kombination mit Diarrhö wechselnden Schweregrades sind Hinweise auf ein Reizdarmsyndrom.
Entzündliche Darmerkrankungen ausschließen
Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) treten oft bei jungen Personen auf. Blutige Diarrhö ist das wichtigste Symptom der Colitis ulce- rosa. Bei Morbus Crohn können folgende Symptome auftreten: Diarrhö, Bauchschmerzen, Fieber und Gewichtsverlust. Um eine CED auszuschlie- ßen, ist es wichtig, den Stuhl auf die Nachweisbarkeit von Calprotection zu untersuchen. Ein eventuell erhöhter Wert dieses Biomarkers kann dabei helfen, zwischen einer organischen Ursache der Beschwerden und einer funktionellen Störung zu unterscheiden. Unspezifischer Durchfall kann auch mit enteropathogenen Erregern verbunden sein. Molekularbiologische Nachweismethoden schaffen hier Abhilfe. Bei älteren Personen muss neben den zuvor genannten Störungen an systemische Erkrankungen und Malignome gedacht werden.
Eine prolongierte Diarrhö kann weiters durch Infektionen, funktionelle Störungen, verschiedene Medikamente, post-operative Folgeerscheinungen, endokrinologische Erkrankungen (Diabetes, Hyperthyreose) oder chronische Mesenterialischämie verursacht sein. Auch Stress und Nervosität spielen eine nicht unbedeutende Rolle, auch an Vergiftungen und Schwermetallschäden ist möglicherweise zu denken. Selten, aber möglich ist bei immunkompetenten Patienten auch eine Infektion als Ursache der anhaltenden Diarrhö. Mögliche Erreger sind Giardia lamblia, Clostridioides diffi- cile und Entamoeba histolytica.
Meist kurze und milde Krankheitsverläufe
In der Mehrheit der Fälle handelt es sich um kurze und milde Krankheitsverläufe ohne bleibende Gesundheitsschäden. Im Falle von Frau A. blie- ben alle Untersuchungen ohne pathologischen Befund, das Abdomen war weich und eindrückbar, die Leber und die Milz zeigten ebenfalls keine Auffälligkeiten. Die Darmgeräusche waren eher lebhaft; es konnte keine tastbare Resistenz festgestellt werden. Neurologisch exisitierten keine Reiz- oder Ausfallerscheinungen. Final wurde eine psychosomatische Störung aufgrund von familiärer Überforderung festgestellt, die mithilfe von Therapiegesprächen und begleitender probiotischer Behandlung rasch behoben werden können. Oft sind es neben oder zusätzlich zu körperli- chen Beschwerden seelische Belastungen und fehlende soziale Teilhabe, die krank machen.
Alles unter einem Dach: PVE von Vorteil
Die Überweisung an einen Facharzt für eine Gastroskopie erfolgt im Bedarfsfall, wenn diese in der Primärversorgung nicht verfügbar ist, insbeson- dere bei Verdacht auf Colitis ulcerosa und Morbus Crohn sowie anhaltend heftiger Symptomatik trotz Therapie und/oder unklarer Diagnose. Die ra- sche Kommunikation und Verfügbarkeit der entsprechenden Therapeuten in einer PVE stellen in solchen Fällen einen großen Vorteil dar. Auch in der PVE Haslach verstärkt seit März 2023 eine Diplom-Sozialarbeiterin das Team, welche gemeinsam mit den Patienten Wege der Entlastung findet und die Brücken zu weiteren Hilfsangeboten baut. Durch Information, Beratung und Vernetzung kann den Betrofffenen rasch geholfen werden. Die- se Form der interdisziplinären Zusammenarbeit bietet verschiedene Blickwinkel und Therapieansätze. Manchmal reicht ein klärendes Erstge- spräch, oftmals braucht es längere Begleitung.
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QUELLEN:
• www.hausarzt.digital/praxis/abrechnung-nicht-jeder-durchfall-ist-ein-infekt-21734.html
• Arasaradnam RP, Brown S, Forbes A et al. Guidelines for the investigation of chronic diarrhoea in adults: British Society of Gastroenterology, 3rd edition. Gut 2018;67(8):1380-1399. PubMed