KURMEDIZIN - Radon

Der Gasteiner Heilstollen ist der

einzige, bei dem durch die berginnere Umgebungstemperatur von 37,0 bis 41,5 Grad Celsius und einer Luftfeuchtigkeit von 70 bis beinahe 100 Prozent eine Anwendung unter hyperther- men Bedingungen möglich ist.

Radonbalneotherapie: vielversprechende Perspektiven

Weltweit existieren circa 490 Standorte, die über eine oder mehrere radonhaltige Quellen verfügen. Mehr als 200 dieser Quellen wurden oder werden aufgrund ihres Wirkungsvermögens für eine Radontherapie verwendet.

Autor: Univ.-Prof. Dr. Markus Ritter

Institut für Physi- ologie und Patho- physiologie – For- schungsinstitut Gastein, Paracel- sus Medizinische Privatuniversität

Strubergasse 22, 5020 Salzburg,

martin.gaisberg- er@pmu.ac.at und

markus.rit- ter@pmu.ac.at

Die Radontherapie bedient sich des Einsatzes niedriger Dosen des radioaktiven Alphapartikel emittie- renden Edelgases Radon (222Rn) zur Behandlung einer Vielzahl unterschiedlicher Krankheitsbilder. Diese umfassen entzündliche und nicht entzündlich-degenerative Erkrankungen des rheumatischen For- menkreises, der Atemorgane, der Haut, des Nervensystems, des Herz-Kreislauf-Systems sowie eine Vielzahl anderer Krankheitsentitäten. Die im Vergleich zu Standardtherapien kosteneffektivere klassi- sche Balneotherapie erfolgt meist im Rahmen einer Kur, in Form von Dunstbädern oder als Inhalations- anwendung. Die meisten dieser Indikationen basieren primär auf empirischen Erfahrungen, die im We- sentlichen das Ergebnis einer über hundertjährigen Tradition der Radonbalneotherapie sind. Dies wird eindrucksvoll durch die weltweite Zahl der Orte und Regionen, in denen Radontherapien angewandt werden, belegt.


Weltweit verbreitet

Weltweit existieren circa 490 Standorte, die über eine oder mehrere radonhaltige Quellen verfügen. Mehr als 200 dieser Quellen wurden oder werden aufgrund ihres Wirkungsvermögens für Radonthera- pie verwendet. Diese Form der medizinischen Behandlung ist insbesondere in Europa mit einer Dichte von über hundert Radontherapie-Einrichtungen durchaus gängig. In Russland wird die Radonbalneothe- rapie an zumindest 39 Kliniken und Kurorten für vielfältige Indikationen angeboten. Mindestens weitere 47 radonhaltige Quellen sind in Asien zu finden, wobei die Dichte in Japan mit 16 therapeutischen Ein- richtungen besonders hoch ist. Man kann davon ausgehen, dass weltweit sehr viele zu therapeutischen Zwecken genutzte Thermalquellen noch nicht auf vorhandene radioaktive Elemente untersucht wurden.


Besondere Bedingungen

Eine besondere Form der Anwendung ist die Speläotherapie, bei der die Applikation des Edelgases in natürlichen oder künstlichen Höhlen, die über eine therapeutisch adäquate atmosphärische Radonkon- zentration verfügen, erfolgt. Sie bietet den Vorteil der kombinierten perkutanen und inhalativen Aufnah- me des wirksamen Agens. Von den bekannten Radonstollen in Boulder und Basin (Montana, USA), Bad Kreuznach (Deutschland) und Bad Gastein – Böckstein (Österreich) ist der letztgenannte aufgrund sei- ner besonderen Gegebenheiten hervorzuheben. Der Gasteiner Heilstollen ist der einzige, bei dem durch die berginnere Umgebungstemperatur von 37,0 bis 41,5 Grad Celsius und einer Luftfeuchtigkeit von 70 bis beinahe 100 Prozent eine Anwendung unter hyperthermen Bedingungen möglich ist, die zu einer Ef- fektivitätssteigerung der Therapie beitragen.


Minimales kanzerogenes Risiko

Die Radioaktivitätskonzentrationen liegen je nach Stand- ort, Quelle und Anwendungsart etwa zwischen 0,8 und 5,0 kBq/l bei balneotherapeutischen und bei durch- schnittlich 44 kBq/m3 (Gasteiner Heilstollen) bis 63 kBq/m3 (Free Enterprise Radon Health Mine, Montana, USA) bei speläotherapeutischen Anwendungen. Hin- sichtlich der Strahlenbelastung gilt es anzumerken, dass bei kurmäßiger Applikation die kumulative Strahlendosis geringer ist als jene, welcher man natürlicherweise durchschnittlich pro Jahr unterliegt. Erhöhte Prävalenzen für onkologische Leiden nach Radontherapien (auch wiederholten) sind bislang nicht bekannt. Einige Studien erbrachten sogar Hinweise, wonach im niedrigen Dosis-

bereich, entsprechend der sogenannten Hormesis-Hypothese, ein negativer Zusammenhang zwischen den Morta- litätszahlen und der Radonkonzentration bestünde. Dessen ungeachtet ist in dubio derzeit aufgrund mangelnder Datenlage von einem eventuellen, wenn auch minimalen, kanzerogenen Risiko auszugehen. Das Verhältnis zwi- schen Nutzen und Risiko ist daher in jedem Fall individuell durch einen dafür qualifizierten Mediziner abzuwägen.


Breites Indikationsfeld

Durch systematische, wissenschaftliche Erforschung konnten in den vergangenen Jahrzehnten sichere evidenzba- sierte Wirksamkeitsnachweise für eine Reihe von Indikationen erbracht werden. Dies trifft insbesondere auf den Formenkreis der entzündlichen und degenerativen Erkrankungen des Bewegungsapparates zu. So konnten in ran- domisierten, klinischen Studien bei Patienten mit rheumatoider Arthritis, Spondylitis ankylosans und Osteoarthritis, die eine kurmäßige Serienanwendung von Radonbalneo- oder Radonspeläotherapie erhielten, signifikante anhal- tende Verbesserungen betreffend Schmerz, Krankenstände, Befindlichkeiten, Medikamentenverbrauch und Funkti- onsverbesserung festgestellt werden. Auf Basis dieser Studien und unter Einbeziehung der klinisch-empirischen Erkenntnisse ist die in der Factbox dargestellte Liste von Indikationen und Kontraindikationen für die Radonbe- handlung konsensual anerkannt (www.euradon.de). Im Vergleich dazu fällt die von der Free Enterprise Radon

Health Mine (www.radonmine.com) publizierte Indikationsliste wesentlich umfangreicher aus. Der Einsatz der Radontherapie kann also unter stringenter Risiko-Nutzen-Abwägung durchaus weiter gefasst werden.


Kosteneffektive therapeutische Option

Trotz des enormen Fortschritts in der Behandlung rheumatischer Erkrankungen seit der Einführung von Disea- se-Modifying Antirheumatic Drugs (DMARDs) und Biologicals ist die Radontherapie nach wie vor Teil eines modernen Krankheitsmanagements – nicht zuletzt deswegen, weil die medikamentösen Therapieformen Ne- benwirkungen und enorme Kosten verursachen. Sie betragen etwa 6.000 bis 15.000 Euro pro Patient. Gleich- zeitig liegt die Ansprechrate bei diesen Behandlungsformen bei etwa 60 bis 70 %. Darüber hinaus ist die Op- tion einer Therapie mit DMARDs und Biologicals in der Regel auf Länder mit einem hochentwickelten Ge- sundheitssystem beschränkt und nicht weltweit verfügbar. Das weltweite Vorkommen von Radonquellen kann jedoch auch für Bevölkerungsgruppen, die über keine moderne medizinische und pharmakologische Versor- gung verfügen, eine kosteneffektive therapeutische Option sein.

Die Notwendigkeit einer gut abgesicherten evidenzbasierten (Re)-Evaluierung bestehender Indikationen der Radontherapie lässt sich aber nicht nur im Hinblick auf die erwähnten therapeutischen Limitationen, sondern auch aus der prospektiven Prävalenz rheumatischer Erkrankungen sehr deutlich ablesen. Wie Abbildung 1 verdeutlicht, wird es bis zum Jahr 2050 in Österreich zu einem dramatischen Anstieg der Anzahl von Perso- nen mit rheumatischen Erkrankungen in der Altersgruppe über 75 Jahren kommen. Die demografische Ent wicklung lässt den Schluss zu, dass ähnliche Entwicklungen auch in anderen Ländern anzunehmen sind. Im Hinblick auf die dargestellten Argumente muss also eine solide Erforschung der Radontherapie als ethische und gesundheitsökonomische Notwendigkeit betrachtet werden.


Forschung rund um die Radontherapie

Das Forschungsinstitut Gastein ist ein unabhängiges Institut der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität, dessen Aufgabe die Durchführung und Koordination klinischer, translationaler und grundlagenwissenschaftli- cher Studien zur Erforschung von Radon als Heilmittel in seinen verschiedenen Applikationsformen, insbe- sondere in der Kombination mit der Hyperthermie-Behandlung, ist. Das Institut verfügt über eine breite Palette modernster Technologien, um die wissenschaftlichen Fragestellungen im Sinne einer „Molecule to Treatment“- Forschung zu bearbeiten und kooperiert mit den Mitgliedern der EURADON, Radon Spas in Japan sowie na- tionalen und internationalen universitären Wissenschaftseinrichtungen.

Neben klinischen Studien zur besseren evidenzbasierten Absicherung bestehender Indikationen für die Ra- dontherapie erforscht das Institut insbesondere auch die molekularen, zellulären und systemischen Wirkungs- weisen von Radon. So konnte in jüngsten Studien gezeigt werden, dass es bei Patienten mit entzündlichen rheumatischen Erkrankungen im Rahmen einer Radon/Hyperthermie-Speläotherapie zu einer positiven Ände

rung des Knochenstoffwechsels kommt. Konkret konnten Änderungen von Botenstoffen wie TGF-β1, IL6,

TNFα, Osteoprotegerin (OPG) und Receptor Activator of Nuclear Factor κB-Ligand (RANKL), also von Zytoki

nen, welche eine Schlüsselrolle im Inflammationsgeschehen spielen, gemessen werden. Interessanterweise wurde das Verhältnis des Botenstoffes OPG, welcher den Knochenabbau hemmt, zu jenem von RANKL, wel- cher der stärkste Aktivator von Osteoklasten und somit des Knochenabbaus ist, zugunsten des OPG verscho- ben. In einer unabhängigen Studie konnte diese Beobachtung auch unter Einbezug einer Kontrollgruppe be- stätigt werden. Da ein ungünstiges OPG/RANKL-Verhältnis mit der Manifestation von Osteoporose korreliert, deutet diese Änderung auf eine durch die Kur hervorgerufene Umkehrung des Knochenstoffwechsels von ka- tabol zu anabol hin. Außerdem konnte durch das Institut jüngst gezeigt werden, dass es bei Patienten mit Spondylitis ankylosans durch die Radon/Hyperthermie-Speläotherapie zu einer signifikanten Reduktion des Titers von Autoantikörpern gegen zyklische zitrullinierte Antikörper kommt. Letztere sind bei entzündlichen rheumatischen Erkrankungen, insbesondere bei Patienten mit rheumatoider Arthritis, erhöht. Dies ist wieder- um ein Hinweis auf die Fähigkeit von Radon, in das Entzündungsgeschehen positiv einzugreifen.


Prävention von Osteoporose

Im Rahmen derzeit laufender klinischer Studien wird untersucht, ob sich die beobachteten Veränderungen der knochenstoffwechsel-regulierenden Parameter durch Radonbalneobehandlung auch bei Patienten mit nicht entzündlichen, degenerativen Erkrankungen des Bewegungsapparates und, in Kombination mit einem strukturierten Bewegungsprogramm, bei gesunden Probanden im Alter von 50 bis 65 Jahren beobachten las- sen. Bei letzterem Kollektiv handelt es sich um Personen, die als Zielgruppe für eine Osteoporose-präventive Anwendung der kombinierten Radonbalneo- und Bewegungstherapie betrachtet werden können. Vorläufige Ergebnisse lassen erkennen, dass es zu starken longitudinalen und nachhaltigen Änderungen der Konzentra- tion von Hormonen und Umsatzparametern wie OPG, RANKL, Parathormon, Leptin, Osteoclacin und Osteo- pontin kommt (Winklmayr, M. et al.; Manuskripte zur Publikation eingereicht). Im Hinblick auf die hohe Präva- lenz, das enorme Leid und die extremen Kosten, die durch Osteoporose verursacht werden, ist die exakte wissenschaftliche Untersuchung eines möglichen Einsatzes der Radonbehandlung zur Osteoporose-Präventi- on ein Gebot der Stunde. Zur Verdeutlichung: In Österreich leiden insgesamt etwa 740.000 aller über 50-jähri- gen Personen an Osteoporose. Alleine die hierdurch bedingten Knochenfrakturen belasten das österreichi- sche Gesundheitssystem pro Jahr mit rund 1,7 Milliarden Euro. Jüngsten Schätzungen zufolge werden sich die Ausgaben für die Behandlung der Osteoporose und ihrer Folgekrankheiten bis zum Jahr 2050 von circa 40 auf 80 Milliarden Euro für die Länder der Europäischen Union verdoppeln.


Zusammenfassung

Die kurmäßige Radonbalneotherapie und Radonspeläotherapie haben sowohl im Hinblick auf ihre nachweisli- che Effektivität in der Behandlung verschiedener Erkrankungen als auch mit Blick auf das attraktive Kosten- Nutzen-Verhältnis und das gering anzunehmende Risiko sowie durch ihre weltweite Verfügbarkeit einen be- gründeten Stellenwert als medizinische Behandlungsformen und werden ihn auch künftig haben. Selbstver- ständlich sind umfassende grundlagenwissenschaftliche, klinische und epidemiologische Studien zum Ver- ständnis der Wirkungsweise sowie zur Absicherung und Schärfung der Indikationen und Kontraindikationen dieser Therapieformen dringend notwendig.




Das Verhältnis zwischen Nutzen und Risiko ist in jedem Fall individuell durch einen dafür qualifizierten Mediziner abzuwägen.

Fotos: gasteiner heilstollen/Alpentherme Gastein