Immobilienmarkt | Ordination
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Kleine Maßnahmen, große Wirkung
Barrierefreiheit muss nicht teuer sein. Schon mit kleinsten Veränderungen kann Menschen mit Beeinträchtigungen der Besuch der Ordination erleichtert werden.
Der Einbau eines Lifts oder eines Behinderten-WC, der Bau einer Rampe, die Verbreiterung von Türen oder das Anheben von Durchgangshöhen – all das sind Maßnahmen, die den barrierefreien Zugang zu Ordinationen ermöglichen. Und sowohl beim Neubau als auch bei der Adaptierung bestehender Praxen Kosten verursachen. „Wird vorausschauend geplant, halten sie sich allerdings in Grenzen“, sagt Cornelia Scheuer, Beraterin für bauliche und gestalterische Barrierefreiheit vom Wiener Behindertenberatungszentrum Bizeps – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben. Sie beziffert die Mehrkosten für die Herstel- lung von im Wesentlichen auf Gehbehinderungen ausgerichteter Barrierefreiheit beim Neubau mit fünf bis sieben Prozent. Klaus Candussi, Geschäftsführer der atempo Betriebsgesellschaft in Graz, sieht die Kostendiskussion generell ein wenig differenzierter: „Man sollte nicht fragen, was die Maßnahmen kosten, sondern vielmehr, was es kostet, wenn meine Praxis nicht barrierefrei ist.“ Schließlich würden auch Ärzte im Wettbewerb stehen. „Ist meine Praxis für einen Gehbehinderten schwierig zu erreichen, darf es mich nicht wundern, wenn er zu einem Kollegen geht, dessen Ordination barrierefrei ist“, so Candussi.
Kaum Mehrkosten
Abgesehen von den bereits erwähnten Maßnahmen, die häufig mit einem höheren baulichen und daher finanziellen Auf- wand verbunden sind, gibt es noch viele andere Möglichkeiten, die Barrierefreiheit der Praxis zu verbessern. „Und 90 Pro- zent davon kosten wenig oder gar nichts“, weiß Candussi. Wie etwa die Barrierefreiheit der Website. „Es kostet nichts, dar- auf zu achten, dass sich die Nutzer auf der Website auskennen und dass die Infos leicht verständlich sind“, sagt Candussi. Darüber hinaus sollte darauf geachtet werden, dass die Schrift zu vergrößern ist und es eine Vorlesefunktion gibt. Auch Ter- mine sollte man sich im Idealfall online ausmachen können – ein Service für Hörbehinderte und Taube. „All diese Maßnah- men zur Barrierefreiheit verursachen keine Mehrkosten“, sagt der Experte.
Gleiches gilt für die Positionierung von Haustür- und Türglocken. Diese sollten in einer Höhe von 80 bis 110 Zentimetern an- gebracht werden, um Rollstuhlfahrern, aber auch kleinwüchsigen Menschen das Anläuten bequem zu ermöglichen. Hand- läufe, in rund 90 Zentimetern Höhe montiert, sind ebenfalls ein wichtiges Hilfsmittel, um Gehbehinderten den Weg zu er- leichtern. „Geringe Mehrkosten entstehen maximal dann, wenn man sie auf beiden Seiten von Treppen montiert“, sagt Can- dussi. Handläufe sollten seiner Meinung nach einen Durchmesser von vier Zentimetern haben, um gut greifbar zu sein. Au- ßerdem sollten sie über die erste und letzte Stufe hinausreichen. „Ich muss den Handlauf halten können, bevor ich noch den ersten Fuß hebe“, raten Scheuer und Candussi. Apropos Bedienbarkeit: Stylische Türknäufe oder Armaturen sind für ältere Patienten nicht immer leicht zu bedienen – entweder sind sie zu klein, zu dünn oder man braucht zu viel Kraft, sie um- zudrehen. Armaturen mit Sensoren sind in diesem Fall eine komfortable und sparsame Lösung. Das gilt ebenso für Be- leuchtungssysteme auf Bewegungssensorbasis.
Kontrastreich und blendungsfrei
Ein weiterer wichtiger Punkt ist nach Ansicht der Experten die Beschilderung innerhalb und außerhalb der Ordinati- on. So sollten Spiegelungen vermieden und auf genügend Kontraste zwischen Schrift und Hintergrund geachtet werden. Das Zusammenspiel der Farben Rot und Grün sollte dabei vermieden werden – Farbenblinde sehen dann nur Grau in Grau. Eine möglichst schnörkellose und in einer gut lesbaren Größe gewählte Schrift erleichtert die Les- barkeit der Schilder ebenfalls. Blinden könnte ein Zusatz in Brailleschrift sowie ein taktiles Leitsystem die Orientie- rung am Weg zur Ordination erleichtern. Als hilfreich haben sich ebenso Piktogramme erwiesen. Diese erleichtern vor allem Personen mit intellektuellen Behinderungen die Orientierung. Gleiches gilt für eine einfache Sprache, bei- spielsweise von Informationsmaterial, Formularen oder im Gespräch mit den Patienten. „Versteht jemand sein Ge- genüber nicht, ist es viel schwieriger, ein Vertrauensverhältnis entstehen zu lassen“, weiß Candussi. Das sei jedoch gerade beim Arztbesuch enorm wichtig.
Von großem Nutzen ist darüber hinaus für Menschen mit Sehschwächen die farbliche Markierung der ersten und letzten Stufe bei Treppen. Monochrome Treppen, wie sie derzeit im Trend liegen, erhöhen in diesen Fällen die Unsi- cherheit und Sturzgefahr. Unter Barrierefreiheit fallen für die Experten darüber hinaus die Markierung von Glastüren und -flächen, um ein Hineinlaufen zu vermeiden. „Man kann mit Folierungen oder Plakaten arbeiten und gleichzeitig Informationen vermitteln. Wichtig ist, dass sich die Markierungen zum Raum hinter dem Glas deutlich kontrastreich abheben, auch bei verschiedenen Lichtverhältnissen“, rät DI Christel Helene Schmidt vom Ingenieurbüro werk- rausch. Um ein Unterlaufen von Treppen und Kopfverletzungen zu vermeiden, rät die zertifizierte Expertin für barrie- refreies Bauen dazu, unter Treppen Blumentröge oder Bänke aufzustellen.
Wie eine Festung
Barrierefrei sollte weiters die Möblierung sein. „Heute gleicht der Platz, an dem die Ordinationshilfe sitzt, häufig einer Festung“, sagt Scheuer. Denn die derzeit in Mode befindlichen hohen Pulte würden es Rollstuhlfahrern unmöglich machen, die dahinter sitzende Ordinationshilfe zu sehen und umgekehrt. Gleichzeitig könnten Personen, die schlecht auf den Beinen sind, die Aufnahme ebenfalls nur im Stehen und nicht im für sie bequemeren Sitzen absol- vieren. Theken mit einem abgesenkten Bereich würden dieses Problem zur Zufriedenheit aller einfach und günstig lösen. Mitdenken ist auch bei der weiteren Einrichtung gefragt: Um Patienten mit Rollstühlen bzw. Rollatoren oder auch Müttern mit Kinderwägen mehr Bewegungsfreiheit zu verschaffen, würde es gelegentlich reichen, einfach den Papierkorb oder Garderobenständer an einen anderen Platz zu stellen. Oder die Sessel anders zu positionieren. Wer älteren Menschen das Aufstehen im Wartezimmer erleichtern will, der wählt Sessel mit Armlehne. Eine höhen- verstellbare Untersuchungsliege ist ebenfalls ein wesentlicher Schritt in Richtung Barrierefreiheit.
Keine Mehrkosten verursacht auch die Sensibilisierung der Mitarbeiter. „Dazu gehört, sie auf den Umgang mit Men- schen mit Beeinträchtigung vorzubereiten“, sagt Candussi. Etwa auf den Fall, wenn jemand in Begleitung eines Partnerhundes die Praxis betritt. Denn anders als andere Vierbeiner dürfen sich diese, so der atempo-Chef, sehr wohl in den Räumlichkeiten aufhalten.
Überhaupt ist seiner Ansicht nach generell noch ein wenig Umdenken notwendig. Candussi: „Immer noch denken viele beim Wort Barrierefreiheit nur an Rollstuhlfahrer, aber nicht beispielsweise an Ältere mit Sehschwierigkeiten.“ Dadurch würde jedoch ein großer Bevölkerungsteil außer Acht gelassen: Immerhin
15 Prozent der Österreicher haben nach Angaben Candussis in irgendeiner Form eine Behinderung – sei es auf Dauer oder temporär, etwa in Form eines Gipsbeines. „Ganz abgesehen davon dient Barrierefreiheit allen Men- schen“, weiß Schmidt. Oder wie Candussi sagt: „Für zehn Prozent ist Barrierefreiheit existenziell notwendig, für 40 Prozent sehr wichtig und für 100 Prozent bequem.“